
Einmal im Jahr dürfen Neonazis in Sachsens Landeshauptstadt besonders ungeniert ihre Umdeutung der Geschichte zelebrieren: Zum Jahrestag der alliierten Luftangriffe auf Dresden, 13. Februar 1945, ruft die extreme Rechte zum traditionellen „Trauermarsch“ auf. Lange war es der größte Neonazi-Aufmarsch Deutschlands, mit bis zu 6.500 Teilnehmer*innen. Zum 80. Jahrestag des Bombardements in diesem Jahr war eine hohe Mobilisierung zu erwarten. Doch die Teilnehmer-Zahl, schätzungsweise zwischen 2.000 und 2.500, lag am Samstag, dem 15. Februar, unter den Erwartungen der Neonazis.

Neonazis nutzen dieses Datum, um die geschichtsrevisionistische Ideologie eines deutschen Opfermythos zu verbreiten. Diese Erzählung ist stets geprägt durch Holocaustrelativierung und antisemitische Chiffren, wonach die Bombardierung deutscher Städte durch die Alliierten schlimmer gewesen sei, als die Verbrechen der Nazis.

Die Schrecken des Nationalsozialismus werden verschwiegen, relativiert oder geleugnet. Stellvertretend dafür steht ein Banner mit der Aufschrift „Bombenholocaust“. Die Holocaustrelativierung gehört fest zur Folklore der Dresdner „Trauermärsche“, auch an diesem Samstag wurde das Banner von den Neonazis präsentiert.

Sammlungspunkt war ab 12 Uhr der Bahnhof Dresden-Mitte. Dort war an Bauzäunen eine Ausstellung aufgebaut. Auf Texttafeln waren die gleichen Opfererzählungen zu lesen, die man auch in Redebeiträgen hören konnte. Dieselbe geschichtsrevisionistische Ausstellung war zwei Tage zuvor mitten in der Dresdner Innenstadt zu sehen, auf einer Dauerkundgebung der rechtsextremen „Freien Sachsen“.

Erschienen ist das erwartbare Klientel aus Anhänger:innen von NPD, inzwischen „Die Heimat“, deren Jugendorganisation „Junge Nationalisten“ (JN) und „Freien Sachsen“. Auffällig war, wie viele junge Neonazis vor Ort waren, darunter Mitglieder der gewalttätigen „Elblandrevolte“ und Berliner*innen aus dem Umfeld der Gruppen „Deutsche Jugend voran“ und „Jung und Stark“. Erstmalig war ein „Active Club“-Blog dabei, angeführt wurde dieser durch den Neonazi-Unternehmer Patrick Schröder.

Die langjährige NPD-Aktivistin Edda Schmidt hatte einen „Auftrag“ für den Nachwuchs: In ihrer Rede forderte sie, „den immer dreisteren Lügen entgegenzutreten und auch den nächsten Generationen die Wahrheit weiterzugeben“. Kaum verhohlenen Antisemitismus steuerte ein Gast aus Ungarn bei: „Wir haben miteinander für ein christliches Europa gekämpft, aber jetzt, ohne dass ich den damaligen Feind konkretisiere, sodass ich eine irrsinnige Anklage wegen Volksverhetzung vermeiden kann“, sagte er.

In gefühlter Endlosschleife lief der braune Kitsch-Song „Bomber über Dresden“ von der Neonazi-Band Sleipnir aus den Boxen, als sich die Neonazis zum Marsch aufstellten. Unter den Kranzträgern in der ersten Reihe befanden sich Jürgen S. und Frank Haußner. Der fanatische Reichsbürger Haußner, laut Zeit ein Duzfreund von Björn Höcke, sympathisiert mit dem mutmaßlichen Möchtegern-Putschisten Heinrich Reuß. Jürgen S. stand als Teil der Gruppe „Dresden Offlinevernetzung“ vor Gericht. Laut Recherchen von ZDF und ZEIT ONLINE plante diese, Sachsens Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) zu entführen. Auch bei S. gab es eine Razzia. Beim „Trauermarsch“ am Samstag war S. als Ordner tätig.

Alexander Deptolla, Initiator des Kampfsport-Events „Kampf der Nibelungen“ war ebenfalls als Ordner eingesetzt. Zu den weiteren Kranzträgern gehörte der umtriebige Geraer Neonazi Christian Klar. Am Rande der Kundgebung, gedankenversunken rauchend, war Christian Worch zu entdecken, der in die Jahre gekommene Gründer der Partei „Die Rechte“. „Die Heimat“-Chef und rechtsextremer Netzwerker Thorsten Heise war ebenfalls zugegen. Genau wie Robin Schmiemann, ein Aktivist des verbotenen „Combat 18“-Netzwerks und Brieffreund der Rechtsterroristin Beate Zschäpe.

Auch der Holocaust-Leugner Nikolai Nerling (Der Volkslehrer) befand sich in der Menge. Dieser hatte erst kürzlich vor Gericht behauptet, er wolle einen „Schlussstrich“ unter seine rechtsextreme Karriere setzen.

Der Marsch führte vom Bahnhof Dresden-Mitte nach Norden und schließlich, auf einem Schotterweg neben einer Bahnstrecke, zurück zum Ausgangspunkt. Wegen Blockaden des Gegenprotests wurde die Marschroute verkürzt.

Zurück am Ausgangsort ordneten sich die Neonazis kreisförmig an und präsentierten auf ein Neues ihre Kränze und Transparente. Hier zeigte sich Uneinigkeit bei den Geschichtsverfälscher:innen: Einmal wurden 500.000 angebliche Bombentote beklagt, ein anderes Banner beschränkte sich auf 350.000 Opfer. Seriöse Schätzungen gehen von 25.000 zivilen Opfern aus.

Statt „Bomber über Dresden“ lief nun eine Art Marsch aus den Boxen. Wegen technischer Probleme brach die Musik jedoch immer wieder ab oder wurde von einem lauten Fiepen übertönt. Nicht nur Technikprobleme erschwerten das Gedenken: Vor Beginn des Abschlussrituals forderte Versammlungsleiter, der Neonazi-Kader Lutz Giesen, Presse und rechte Streamer auf, zurückzutreten. Rasch verlor Giesen die Geduld und stürmte unter Ausrufung des Kommandos „Ausführung, jetzt!“ auf den rechten Streamer Sebastian Weber alias „Weichreite TV“ zu. Es kam zu einem Handgemenge.

Der rituelle Höhepunkt der Veranstaltung war das Verlesen deutscher Städtenamen. Zuletzt sangen die Rechten im Fackelschein die erste Strophe der Deutschlandhymne. Giese beendete die Zusammenkunft mit dem Ausruf: „Heil euch!“

Großer Gegenprotest
Laut Polizeiangaben wurde die Demonstration der Rechtsextremen von mehreren tausend Gegendemonstrant*innen begleitet, die sich entlang der Route versammelten. Teilweise flogen Schneebälle auf die Neonazis. Sie folgten dem Aufruf zivilgesellschaftlicher Bündnisse, verschiedener Akteure und linker Parteien. Auch Dresdens Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) beteiligte sich an den Protesten.