Wenige Tage vor Beginn des neuen Schuljahres überraschte Bildungsministerin Eva Feußner (CDU) das schulisch gebeutelte Bundesland Sachsen-Anhalt mit einem Brief. Viel hätte darin stehen können: Sachsen-Anhalt hat so wenig Lehrer*innen, dass einige Schulen eine 4-Tage-Woche einführen mussten und die Schüler*innen am fünften Tag einfach ohne Anleitung lernen sollen (vgl. ZEIT). Aber statt Ideen für die Gewinnung neuer Lehrer*innen gab es im Schreiben vom Schulamt nur eine konkrete Maßnahme: Ein Verbot, mit Sonderzeichen zu gendern.
Verbote statt Freiheit, das werfen Rechtsaußenkräfte ja gern progressiven Parteien und Organisationen vor, wenn es etwa um antirassistische Sprache geht. Doch die meisten Verbote kommen dann doch von rechts – hier von der CDU. Schulen sollen in ihrer Kommunikation ab sofort niemals mit Sonderzeichen gendern – also nicht mit Sternchen, Unterstrichen oder Doppelpunkten. Maximal darf es die binäre Form etwa von „Lehrer und Lehrerinnen“ geben, oder neutrale Formen wie „Lehrkräfte“. Schreiben Schüler*innen in ihren Arbeiten anders, etwa mit Sternchen, so wie Belltower.News es tut, sollen dies Fehler sein, die die Lehrer*innen anstreichen sollen. Warum? Ist eine diskriminierungssensible Sprache wirklich eher ein Fehler als ein Fortschritt? Die Bildungsministerin meint: Die deutsche Amtssprache wolle das so.
Die AfD applaudiert bereits: „Sehr gute und wichtige Entscheidung! Hervorragend, dass unsere Positionen hier endlich umgesetzt werden“, kommentierte der AfD-Fraktionsvorsitzende Ulrich Siegmund bei „X“ (ehemals Twitter) die Entscheidung. Das gefällt der AfD natürlich: Endlich weniger Inklusion, weniger Entwicklung, weniger Vielfalt!
Mit der Amtssprachen-Interpretation ist Sachsen-Anhalt derweil nicht ganz allein: Auch Sachsen hat bereits 2021 ein Sonderzeichen-Gender-Verbot erstellt und dieses im Juli noch einmal erweitert – auf sämtliche Kooperationspartner*innen der Schulen (vgl. mdr). Auch die Verwendung von Arbeitsblättern oder Büchern, die geschlechterneutrale Sprache mit Sonderzeichen verwendet, steht somit zur Disposition. Auch Schleswig-Holsteins CDU-Bildungsministerin Katrin Prien hat einen Anti-Gender-Sonderzeichen-Erlass für Schulen 2021 verfügt. Argumentiert wird in der Regel mit einer angenommenen größeren Verständlichkeit der Worte ohne Gendersonderzeichen – die sich wissenschaftlich allerdings nicht halten lässt (vgl. Der Standard).
Andere Bundesländer gehen das Thema gelassener an, lehren etwa die Amtssprache ohne Gendersonderzeichen, kreiden diese aber auch nicht als Fehler an, dass Gendersonderzeichen ja immer mehr im Alltag verwendet würden und so auch mit den Kindern besprochen werden sollte. Bremen und das Saarland gendern selbst mit Sonderzeichen in der Amtskommunikation (vgl. RND).
Sachsen-Anhalt, Sachsen und Schleswig-Holstein geben an, sich an die Empfehlungen des Rats für deutsche Sprache zu halten (kurz: Rechtschreibrat), ein Gremium, das seit 2004 über die offizielle deutsche Amtssprache wacht. Im Jahr 2021 hat der Rechtschreibrat zwar selbst betont, dass geschlechtergerechte Sprache wichtig und notwendig sei, war aber unzufrieden mit der Nutzung von Sternchen, Gendergap und Doppelpunkt, weil diese auch andere Funktionen im Satz hätten und nicht vorgelesen werden könnten.
Inzwischen können die Reader etwa für sehbehinderte Menschen die Gender-Sonderzeichen allerdings problemlos interpretieren und vorlesen – und auch gesellschaftlich entwickelt sich die Sprache weiter, wie sie es immer tut. Und der Rechtschreibrat? Nun, der auch.
2023 heißt es dort: „Diese Wortbinnenzeichen gehören nicht zum Kernbestand der deutschen Orthografie.“ Und: „Ihre Setzung kann in verschiedenen Fällen zu grammatischen Folgeproblemen führen, die noch nicht geklärt sind, z. B. in syntaktischen Zusammenhängen zur Mehrfachnennung von Artikeln oder Pronomen (der*die Präsident*in).“ Das klingt weniger ablehnend als abwartend. Der Rat plädiert für eine einheitliche Lösung, legt sich aber nicht fest, ob die mit oder ohne Gendersonderzeichen sei: „Die Entwicklung des Gesamtbereichs ist noch nicht abgeschlossen und wird vom Rat für deutsche Rechtschreibung weiter beobachtet werden.“ Bis dahin lernen die Schüler*innen geschlechtergerechte Sprache halt weiter dort, wo sie ihnen weder aufgezwungen noch verboten wird: im Internet.
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