Weiter zum Inhalt Skip to table of contents

Get the trolls out-Bericht Antisemitismus bei Impfgegner:innen in Belgien (Flandern)

Von|
(Quelle: Media Diversity Institute (MDI))

Dieser Auszug stammt aus dem Original-Bericht des Projektes „Get The Trolls Out“ (VÖ: 12/2021).

Kurze Zusammenfassung

Insgesamt scheinen antisemitische Klischees der jüdischen Dominanz eher ein Randaspekt als ein zentrales Merkmal der online-basierten Verschwörungsideologien von Impfgegner:innen in Flandern zu sein. Verschwörungsideologien wie die „Neue Weltordnung“ und der „Große Neustart“ umfassen antisemitische Dog Whistles und Klischees einer „allmächtigen jüdischen Elite“, die jedoch eine untergeordnete Rolle spielen. Aufmerksamkeit und Kritik richten sich vor allem gegen nationale Regierungen, TechGiganten und Expert:innen im Gesundheitssektor. Populäre Kritiker:innen der COVID-19-Politik, bei denen es sich in erster Linie um Politiker:innen handelt (wie Dries Van Langenhove, Theo Francken und Sam van Rooy), berufen sich auf die Verfassungswidrigkeit der Maßnahmen, ohne diese Kritik auf Juden:Jüdinnen zu richten, obwohl dieses Narrativ die Grundlage für konspirativere Perspektiven in den sozialen Medien bilden. Kurz gesagt, das jüdische Volk als religiöse Minderheit wird nur beiläufig für die COVID-19-Pandemie und ihre Folgen verantwortlich gemacht. Noch bemerkenswerter und wohl auch problematischer ist der weit verbreitete Vergleich zwischen der Behandlung von Ungeimpften und der Judenverfolgung im Zweiten Weltkrieg. Impfbefürworter:innen werden als „Impfnazis“ bezeichnet und die Impfung wird mit dem Gang in die Gaskammern der Konzentrationslager der Nazizeit verglichen. Diese Parallelen verharmlosen die Schwere des Holocausts und belasten diejenigen, die unter dem Nazi-Regime gelitten haben, Antisemitismus und Impfgegner:innen-Diskurs in Europa zutiefst. Diese Überzeugungen sind in Facebook-Gruppen von Impfgegner:innen, die Tausende Mitglieder haben, weit verbreitet.

Verschwörungsideologien von Impfgegner:innen

Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Berichts sind etwa 74 Prozent der gesamten belgischen Bevölkerung vollständig geimpft,48 in Flandern liegt die Quote jedoch bei 80 Prozent. Die Impfung ist für niemanden obligatorisch, auch nicht für Beschäftigte im Gesundheitswesen und in Pflegeheimen. Um an Massenveranstaltungen teilzunehmen oder einen Flug anzutreten, ist jedoch ein negatives COVID-19-Testergebnis oder ein Impfnachweis erforderlich. In der ersten Hälfte des Jahres 2021 kam es in Brüssel zu einigen Demonstrationen gegen die COVID-19-Maßnahmen, die damit endeten, dass die Polizei Wasserwerfer einsetzte und Hunderte von Demonstrant:innen festnahm. Am Ende des Sommers gab es in Brüssel einige weitere Proteste gegen Impfstoffe, hauptsächlich gewaltfreie Demonstrationen mit Demonstrant:innen, die Plakate mit Slogans wie „Rettet unsere Demokratie“ und „Schützt unsere Kinder“ trugen. Die übergreifende Verschwörungsideologie in belgischen Kreisen von Impfgegner:innen betrifft die Vorstellung, dass die Welt von ruchlosen „Intriganten“ bzw. einer ruchlosen Elite kontrolliert wird, die die COVID-19- Pandemie nutzt, um ein totalitäres Regime zu errichten, das die Menschen ihrer Freiheiten beraubt. Oft ist vom „Großen Neustart“ die Rede. Ursprünglich war der Große Neustart das Thema des Gipfels des Weltwirtschaftsforums (WEF) im Jahr 2020, auf dem eine neue Ordnung – eine grünere und sozialere Weltwirtschaft – nach der Pandemie gefordert wurde. Dieser Gipfel und das gleichnamige Buch des WEF-Gründers Klaus Schwab und des Wirtschaftswissenschaftlers Thierry Malleret lösten eine Verschwörungsideologie aus, die behauptet, eine bösartige Elite befinde sich in der Endphase ihrer Weltherrschaft.

Antisemitische Dog Whistles innerhalb des „Großen Neustarts“

In den für diese Untersuchung analysierten Facebook-Gruppen von Impfgegner:innen finden sich zahlreiche Hinweise auf den „Großen Neustart“. Einige der Inhalte im Zusammenhang mit dem „Großen Neustart“ stellen eine antisemitische Dog Whistle dar – Codewörter oder verschlüsselte Sätze, die für manche harmlos erscheinen, aber von denen, die mit ihnen vertrauter sind, als spezifische antisemitische Anschuldigungen erkannt werden. Zum Beispiel werden statt der Worte „jüdisch“ oder „Juden“ für die Elite, die durch die Pandemie die Weltherrschaft anstrebt, andere Begriffe wie „Globalisten“ verwendet. In vielen Fällen richten sich die Anschuldigungen gegen eine bestimmte einflussreiche jüdische Person, die als Symbol für jüdische Kontrolle, Reichtum und Macht verwendet wird. In Gruppen von Covid-Skeptiker:innen und Impfgegner:innen wird der in Ungarn geborene US-Philanthrop George Soros oft beschuldigt, Medienplattformen zu kontrollieren, um die Idee zu verbreiten, dass Impfstoffe sicher und nützlich sind, und dabei die Tatsache zu verbergen, dass sie die DNA verändern, den Geist kontrollieren oder tödlich sind. In Posts und Kommentaren wird Soros als „gefährlicher Puppenspieler“ bezeichnet, der für „Gestapo-Praktiken“ verantwortlich sei.

Die Rothschild-Familie, eine weitere häufige Zielscheibe in der antisemitischen Verschwörungswelt, erhält weniger Aufmerksamkeit, aber sie wird immer noch als Kollaborateur oder Finanzier dieser geheimen Verschwörung dargestellt. Die Vorstellung, dass sowohl die Regierung als auch die Medien an dieser „Übernahme“ mitschuldig sind, veranlasst viele dazu, von der Revolte als einziger Möglichkeit zu sprechen, dagegen anzugehen, zum Beispiel in Sätzen wie „wir können [entkommen], wenn die Massen revoltieren“.

Covid-19-Beschränkungen im Vergleich zu Nazi-Deutschland

Ein weiteres beunruhigendes Narrativ in flämischen Gruppen von Impfgegner:innen ist der Vergleich zwischen der Regierung, die COVID-19-eschränkungen verhängt, und Nazi-Deutschland, das den Holocaust durchführte. “Unsere Regierungen behandeln die Ungeimpften wie Juden:Jüdinnen“ ist eine gängige Wortwahl. In der sogenannten „Corona-Diktatur“ werden Impfbefürworter:innen als „Impf-Nazis“ bezeichnet und die Impfung mit dem Gang in die Gaskammern der Konzentrationslager der Nazizeit verglichen. Einige Impfgegner:innen argumentieren, dass, ähnlich wie das Nazi-Regime die Juden:Jüdinnen für Versäumnisse in Deutschland und in der Welt verantwortlich machte, sie auch zu Unrecht für Probleme verantwortlich gemacht werden, die aus COVID-19 resultieren: „Sie werden argumentieren, dass alles die Schuld der Ungeimpften ist, oder derjenigen, die ihren Mundschutz falsch aufsetzen.“ Der Vergleich mit dem Völkermord an den europäischen Juden während des Zweiten Weltkriegs wird auch in Online-Kommentaren wie „Juden durften auch nirgendwo hingehen“ als Antwort auf die Impfnachweise gegeben, die für den Zugang zu einigen Veranstaltungsorten verlangt wurden, oder „Deutschland hat auch damit begonnen, Menschen auszuschließen. Die Geschichte wiederholt sich.“ Der Vergleich impliziert die Annahme, dass hinter den Pandemie-Beschränkungen ein Hintergedanke steckt. Dass die Beschränkungen in böser Absicht auferlegt werden und letztlich darauf abzielen, die Impfgegner:innen auszurotten. Einige gehen sogar so weit zu sagen, dass „die Konzentrationslager wieder eingeführt werden“ oder dass „jede:r, der:die die Regierungspolitik unterstützt, ein Nazi ist“.

Ein anderer Kommentar sagt: „Die schlechte Logik der Impfgegner:innen ist vergleichbar mit der der Nazis, die behaupteten, dass die Juden:Jüdinnen zögerten‘, weil sie sich nicht freiwillig für die Konzentrationslager oder Gaskammern gemeldet haben.“

Der Vergleich der COVID-19-Beschränkungen mit dem Holocaust wird auch in Hashtags wie den folgenden festgehalten:
#VaccinGaskamerAarzeling (#Impf-GaskammerZweifel) und
#VaccinGeïnduceerdeDoodTwijfel (#ImpfstoffinduzierterTodZweifel).

Diese Parallelen sind grob unzutreffend und respektlos. Sie bagatellisieren das Leid des Holocaust und spielen das Trauma der Opfer herunter.

Facebook-Gruppen

Flämische nationalistische Medien wie Doorbraak und Pal NWS, die im Allgemeinen der „Etablierung“ kritisch gegenüberstehen und die Ideologie der „Großen Verdrängung“ wiedergeben, scheinen antisemitischen Stimmen von Impfgegner:innen keine Plattform zu bieten. Der Widerstand gegen die Covid-19- Maßnahmen und die Verwendung von antisemitischen Klischees und Dog Whistles wird hauptsächlich von gewöhnlichen Menschen in Facebook-Gruppen geäußert. Sie haben zwischen 2.000 und 45.000 Mitglieder und sind in der Regel private Gruppen, zu denen nur Nutzer:innen Zugang haben, die zuvor von den Administrator:innen zugelassen werden müssen. Einige dieser Gruppen lauten wie folgt: KVHVGent, Nee tegen vaccinatie en passpoort, Ja mensenrechten en vrijheid (Nein zum Impfstoff und Impfpass. Ja zu Menschenrechten und Freiheit), Belgie, Covid19 en de Waarheid (Belgien, COVID-19 und die Wahrheit), IK BEN EEN WAPPIE!!!! Wakker wappie (Ich bin ein WAPPIE [Anm. d. Red., jemand, der an Verschwörungen glaubt]!!!! Ein erwachter wappie), Facebook voor ongevaccineerden (Facebook für Ungeimpfte), Nee tegen het Vaccin, Nee tegen COVID-19 Impfungen en corona maatregelen (Nein zu COVID-19-Impfungen und Corona), A.L.I.V.E (LEBENDIG) und België in Opstand (Belgien im Aufstand). Nur sehr wenige dieser Arten von Gruppen treten auf Twitter entscheidend in Erscheinung.

Dokumentarfilme

Unter den online geteilten Inhalten von Impfgegner:innen finden sich auch zwei beliebte Pseudo-Dokumentationen: „Val Van De Cabal“ (Der Fall der Intrigen) der niederländischen Verschwörungsideologin Janet Ossebaard und ‚Monopoly: Een Totaalplaatje Van The Great Reset‘ (Monopoly: Ein vollständiges Bild des Großen Neustarts) von Tim Gielen. Diese Werke enthalten eine Fülle von Verschwörungsideologien: von giftigen Impfstoffen und Chemtrails bis hin zu Pizzagate und Hillary Clintons E-Mails. Antisemitismus ist nur am Rande in Form einer Dog Whistle vorhanden.

 

Alle Artikel des Berichtes auf Belltower.News:

 

Weiterlesen

Header

Schimpfen Nazis im Netz jetzt auf Islamisten?

Nach den Anschlägen des „Islamischen Staates“ in Paris am 13.11.2015, die zu 129 Toten und mehr als 350 verletzen geführt…

Von|
2016-02-08-buergerwehr

Bürgerwehren Harmlose Hilfssheriffs oder Neonazis?

„Fulda passt auf“, „Bürgerinitiative für Sicherheit in Braunschweig“, „Einer für alle, alle für einen Düsseldorf“ oder einfach „Bürgerwehr Memmingen“ –…

Von|
Eine Plattform der