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Gilda Sahebi Die Shitshow von Rammstein

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Protest gegen ein Rammstein-Konzert in Bern (Quelle: picture alliance/KEYSTONE | ANTHONY ANEX)

Wenn eine Frau* sexualisierten oder emotionalen Missbrauch erlebt, ist es, als lege sich ein Nebel um sie. Sie empfindet Schuld, selbst wenn sie weiß, dass sie nicht schuldig ist; sie empfindet Scham, selbst wenn sie sie weiß, dass sie nichts Falsches getan hat; sie empfindet Abscheu gegen sich selbst, selbst wenn sie weiß, dass das Scheußliche bei dem Menschen liegt, der sie missbraucht hat. Wissen und Gefühl gehen auseinander, das Unbewusste nimmt überhand. Sie relativiert ihren Schmerz, aus Scham und Selbstschutz; es war doch alles nicht so schlimm. Sie wird depressiv, sie wird krank, sie isoliert sich.

Diese Spirale in den Abgrund kann gestoppt werden; wenn sie über das spricht, sprechen kann, was ihr widerfahren ist. Wenn es Menschen gibt, die ihr immer und wieder erklären, dass das, was sie erlebt hat, nicht in Ordnung ist, unter keinen Umständen. Dass es nichts auf der Welt gibt, das Übergriffe gegen ihren Körper und ihren Geist rechtfertigt, kein kurzer Rock, keine aufgeknöpfte Bluse, kein Flirten, nicht einmal Sex. Oft braucht es jahrelange innere Arbeit, bis sie die Schuld- und Schamgefühle ablegen kann, bis sie nicht nur versteht, sondern bis sie fühlt, dass nicht sie durch den Übergriff beschmutzt wurde. Sondern der Täter.

Gilda Sahebi, im Iran geboren und in Deutschland aufgewachsen, ist ausgebildete Ärztin und studierte Politikwissenschaftlerin. Sie arbeitet als freie Journalistin.

Außer den betroffenen Frauen, Till Lindemann und möglichen Zeug*innen weiß niemand, was wirklich im Umfeld der Rammstein-Konzerte vor sich gegangen ist. Gab es K.o.-Tropfen oder nicht, wie freiwillig war der Sex zwischen Lindemann und seinen Fans wirklich, haben die Frauen sexualisierte Gewalt erlebt oder nicht? Es liegt nicht an Rammstein-Fans oder Twitter-User*innen, die Wahrheit zu bestimmen. Diese Fragen werden, hoffentlich, in nicht allzu ferner Zukunft von Staatsanwaltschaften und Gerichten untersucht werden.

Eines aber wurde in den vergangenen Wochen klar: Für Rammstein, für viele Fans der Band und für Online-Trolle scheint sexualisierte Gewalt gegen Frauen nicht viel mehr als ein Kavaliersdelikt zu sein.

Die jüngste Episode in dieser, man kann es nicht anders sagen, Shitshow, die Rammstein seit Bekanntwerden der Vorwürfe abliefert, ist ein Instagram-Post von Rammstein-Schlagzeuger Christoph Schneider auf Instagram, den er am 16. Juni postete. Die „Wünsche und Erwartungen“ der Frauen in Bezug auf die Aftershowpartys hätten sich „wohl nicht erfüllt“, schreibt Schneider. Das tue ihm leid und er spüre „Mitgefühl für sie“. Er gesteht ihnen zu, dass sie sich „laut ihren Aussagen unwohl gefühlt“ hätten. Das habe ihn alles „traurig gemacht“, schreibt der Schlagzeuger in seinem Post. Aber er glaube Till Lindemann, wenn der sage, dass er „seinen privaten Gästen stets eine schöne Zeit bereiten wollte und will“. Es sei nichts strafrechtlich Relevantes passiert, so der Musiker. Auch wenn wohl Dinge passiert seien, die er „persönlich“ nicht in Ordnung findet.

Schneider eröffnet seinen Post außerdem damit, wie sehr er sich „im Schock“ fühle angesichts der Dinge, „die in den sozialen Medien und der Presse über unseren Sänger geteilt und gedruckt wurden“. Dies sei „für uns Bandmitglieder und die Crew ein Auf und Ab der Emotionen“.

Das eigentliche Opfer, so scheint es, ist in seinen Augen die Band. Es ist eigentlich alles halb so wild, die Frauen haben sich halt nicht so richtig wohlgefühlt. Schön ist das alles nicht, und er sagt ja: Er hat Mitgefühl. Aber die Frauen scheinen selbst schuld zu sein, sie waren schlicht nicht zufrieden mit dem, was sie „erwartet“ hatten. Der Mann, den diese Frauen als Täter empfinden, kann aber nichts dafür. Er meinte es nur gut.

Eine Ex-Partnerin von Lindemann, Sophia Thomalla, blies gegenüber der BILD in dasselbe Horn: Shelby Lynn, die betroffene Frau, die sich als Erste an die Öffentlichkeit wandte, habe alles nur „frei erfunden“, so Thomalla. Sie wolle nur „fünf Minuten“ Ruhm. Till Lindemann sei doch ein „Mann, der Frauen beschützt“. Thomalla scheint nicht einmal zu merken, wie misogyn die Vorstellung eines Mannes ist, der Frauen „beschützt“.

Hatte die Band in einem ersten Statement noch gesagt, man nehme die Vorwürfe „außerordentlich ernst“, drehte sich der Wind schnell. Bei einem Konzert am 8. Juni in München sagte Lindemann am Ende der Show zu den Fans im Stadion, dass das „Unwetter“ vorbeiziehen werde. Mit „Unwetter“ meinte er wohl die Frauen, die sich öffentlich geäußert hatten. Unwetter – lästig, gefährlich, gewaltvoll. Die Band? Bleibt standhaft. Es gab großen Applaus. Lindemann verabschiedete sich mit den Worten: „München, danke, dass ihr hier seid. Danke, dass ihr bei uns seid.“

In einem Schreiben kündigen die Anwälte von Till Lindemann an, rechtlich gegen die Behauptung vorzugehen, Frauen seien im Umfeld der Rammstein-Konzerte K.o.-Tropfen verabreicht worden: „Wir werden wegen sämtlicher Anschuldigungen dieser Art umgehend rechtliche Schritte gegen die einzelnen Personen einleiten.“ Eine klare Drohung an jede Frau, die aufgrund ihrer Erfahrungen diesen Verdacht hegt. Halt den Mund oder wir machen dich fertig.

Nicht nur die Band und die Anwälte zeigen offen ihre Haltung zu sexualisierter Gewalt: Die Konzerte in München waren voll besucht; die Band spielte vor Zehntausenden Menschen im Olympiastadion. Schwer vorstellbar, dass so viele Menschen gekommen wären, stünde Rammstein im Verdacht des Kindesmissbrauchs oder der Kinderpornographie. Erschreckend viele Menschen sind in der Lage, sexualisierte Gewalt gegenüber Frauen zu relativieren. Nicht zu verstehen, wie giftig allein der Eindruck ist, dass diese Gewalt nicht ernst genommen wird. Und große Teile der Gesellschaft machen mit; in den Sozialen Medien werden die Frauen, die sich gegen Rammstein geäußert haben, angegriffen und eingeschüchtert.

Der Umgang der Band mit den Anschuldigungen lässt vermuten, dass die Männer nicht ansatzweise verstehen – oder es sie nicht interessiert – was sexualisierte Übergriffe und Gewalt für Frauen bedeuten. Dass sie nicht einmal versuchen, so zu tun, als würden sie die Erfahrungen von Frauen, die körperlichen oder emotionalen Missbrauch erlebt haben, ernst nehmen. Denn wenn sie es täten, wüssten sie, wie gefährlich das ist, was sie tun. Weltweit beobachten Frauen, die selbst Missbrauch erleben, erlebt haben oder noch erleben werden, diesen Fall. Sie sehen, was mit jenen Betroffenen geschieht, die den Mut haben, darüber zu sprechen: Sie werden angegriffen, bedroht, der Lüge bezichtigt – kurz: Sie werden zu Schuldigen gemacht.

Das kann verheerende Wirkungen haben. Ohnehin trauen sich nur die wenigsten Frauen, zur Polizei zu gehen oder sich anderen Menschen anzuvertrauen, wenn sie Missbrauch und Gewalt erlebt haben. Die wenigsten Übergriffe werden angezeigt, die Frauen gehen allein mit ihrem Trauma um. Depression, posttraumatische Belastungsstörungen, suizidale Tendenzen können die Folge sein. Sie fressen die Scham in sich hinein, genau aus dem Grund, den man im Fall von Rammstein nun auf großer Bühne beobachten kann: Sie haben Angst, dass ihnen nicht geglaubt wird, dass sie angegriffen werden, dass ihnen die Schuld gegeben wird.

Rammstein hätte verantwortungsvoll mit den Anschuldigungen umgehen können. Sie hätten erklären können, dass sie die Vorwürfe untersuchen werden; dass sie von sexualisierter Gewalt betroffene Menschen unterstützen. Sie hätten gleichzeitig auf der Unschuld von Till Lindemann bestehen können, das schließt sich nicht aus, im Gegenteil. Stattdessen haben sie entschieden, sich und Till Lindemann als Opfer zu inszenieren. Frauen einzuschüchtern und zu bedrohen. Sexualisierte Gewalt zu verharmlosen. Ihre Konzerte zu spielen, als sei nichts. Sie feuern ihre Fans an, die Band als Opfer zu sehen, und ermuntern sie dadurch implizit, die Frauen als Täterinnen zu sehen. Sie tragen dazu bei, dass Betroffene von sexualisierter Gewalt in Zukunft noch viel schneller in der Spirale der Selbstablehnung und der Scham verschwinden werden. Egal, was an Wahrheitsfindung noch ans Licht kommt – diese Schuld haben die Rammstein-Musiker unwiderruflich auf sich genommen.

 

Die Anwälte Lindemanns verschickten bereits Unterlassungsaufforderungen an mutmaßliche Betroffene. Ihnen drohen Strafanzeigen, die sie offenbar einschüchtern sollen. Deshalb unterstützt die Amadeu Antonio Stiftung im Rahmen des SHEROES Fund für Held*innen der Demokratie die Kampagne von Jasmina Kuhnke, Nora Tschirner, Carolin Kebekus, Rezo, Roger Reckless, Micha Fritz, Jany Tempel & Me too. Hier sammeln wir Geld, um die mutmaßlichen Betroffenen zu unterstützen.

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Anmerkung der Redaktion:

In einer früheren Version des Textes stand folgender Satz, den wir gelöscht haben:

(Der gesamte Text bezieht sich auf alle Menschen, die sich als Frau identifizieren.)

 

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