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Goldschleier und „Schuldkult“ Zur Rolle der Desiderius-Erasmus-Stiftung im neurechten Geschichtsdiskurs

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(Quelle: picture alliance/Matthias Balk/dpa)

Ein Auszug aus dem Themenheft „Wie die Rechten die Geschichte umdeuten – Geschichtsrevisionismus und Antisemitismus“ der Bildungsstätte Anne Frank.

Der Gründung der Stiftung gingen auch im AfD-Umkreis heftige Diskussionen voraus: Politische Stiftungen seien ein Instrument der „Altparteien“, so die Kritik, von denen sich die AfD als Bewegungspartei bewusst abzugrenzen habe. Befürworter*innen konterten dies mit der Forderung nach „Waffengleichheit“ 2 (Erika Steinbach: „Man darf dem David nicht die Steinschleuder wegnehmen, um den Goliath zu erlegen“ 3 ), die gegen – über den anderen Parteien herzustellen sei. Mittlerweile ist die Stiftung in der AfD unumstritten, die von ihr gebotenen Vorteile dürften schlicht zu verführerisch sein: Neben direkten staatlichen Zuwendungen hat die Partei nun die Möglichkeit, über die Stiftung Geld auch aus anderen Quellen anzunehmen und über Honorarzahlungen weiterzugeben – die Buchhaltungspflichten für politische Stiftungen sind großzügig. Die Stiftung ist aber auch in programmatischer, ideologischer und publizistischer Hinsicht von unschätzbarem Wert für die Partei: als Forum einer Metapolitik, die Diskursverschiebungen gerade in einem kulturellen und bildungsbürgerlichen Milieu gestattet, das sich sonst von schrillen politischen Auftritten wenig beeindrucken lässt.

Politische Stiftungen in der Bundesrepublik

Die Rolle politischer Stiftungen im politischen System der Bundesrepublik ist sehr hervorgehoben und wahrscheinlich einzigartig unter den westlichen Demokratien. Jährlich wird über eine halbe Milliarde Euro an die Stiftungen gezahlt – fast ohne öffentliche Kontrolle und Transparenzpflichten. Bewilligt werden die Mittel als sogenannte Globalzuschüsse durch den Bundestag, dessen Mitglieder meist auch den Stiftungen vorstehen (Beispiel: Die Parlamentarierin Angela Merkel sitzt als MdB zugleich im Vorstand der Konrad-Adenauer-Stiftung).

Ein Stiftungsgesetz, welches etwa die Höhe der Zuwendungen regelte und von NGOs wie Transparency International seit Jahren gefordert wird, ist weiterhin abwesend. Im Unterschied zur Parteienfinanzierung, welche über die Skandale vergangener Jahrzehnte viel stärker reguliert wurde – staatliche Mittel wie auch jährliche Zuwächse sind strikt gedeckelt – gibt es bei den Stiftungen nichts Vergleichbares. Der Verdacht, dass Parteien fragwürdige Finanzierungsmodelle nun – mehr über den Umweg der Stiftungen abwickeln, findet seinen Nährboden in zahlreichen dokumentierten Unregelmäßigkeiten. Die politischen Aktivitäten der Stiftungen im Ausland, die oft weit über ihr Gründungsmandat hinausreichen, wirken ebenfalls befremdlich: Erinnert sei nur an das Verständnis, welches Vertreter*innen der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung für den Putsch in Honduras 2009 aufbrachten.

Auch demokratietheoretisch lässt sich die Arbeit der Stiftungen kritisieren, besonders in ihren Stipendienprogrammen: Parteiübergreifend pflegen sie eine elitäre Sprache, eine Rhetorik der Exklusivität und Erwähltheit. Kader- und Korpsgeist ist auch dezidiert linken Stiftungen nicht fremd. Trotz ambitionierter Förderung marginalisierter und einkommensschwacher Schichten verstärken Stiftungen soziale Ungleichheit eher, denn sie zu überwinden – so dienen den Parteien die Stiftungen parteiübergreifend oft nur der Reproduktion ihrer Funktionärs- und Führungsreserve.

Alle Stiftungen sehen sich aber in der Pflicht, ihr kulturelles Programm mit historischen Vorträgen, Seminaren und Konferenzen zu begleiten, die die NS-Vergangenheit thematisieren und sich ihrer wie auch immer gearteten Aufarbeitung verpflichten. Mit der AfD tritt in dieses Spektrum nun erstmals eine Partei, in der namhafte Akteur*innen geschichtsrevisionistische Thesen befördern, „erinnerungspolitische Wenden um 180 Grad“ fordern oder die NS-Zeit als „Vogelschiss“ bagatellisieren. Aus Gedenkstätten gibt es Berichte über AfD-Reisegruppen, die mit offen revisionistischen Thesen provozieren wollen. Nicht zufällig: Das Ende des „deutschen Schuldkults“ ist zentrales Motiv der AfD-Geschichtspolitik. Nur eine selbstbewusste, von den Fesseln einer selbstquälerischen „Zivilreligion“ befreite deutsche Nation, so der Tenor, könne der Zukunft entschlossen entgegentreten.

Die Rolle der Desiderius-Erasmus-Stiftung

Die zur Drucklegung noch andauernde Gründungsund Konsolidierungsphase der Desiderius-Erasmus-Stiftung (DES) ist öffentlich vor allem durch Streit, Chaos und schrille Einzelakteur*innen gekennzeichnet. Die Auseinandersetzung darüber, ob die AfD überhaupt einer Stiftung bedürfe, wurde bald abgelöst von der Diskussion über ihren möglichen Namenspatron: Zeitweise war mit der Stresemann-Stiftung ein hauseigener Konkurrent erwachsen. Die stärkere historische Belastung des Namens wie auch der Einspruch der Nachkommen Stresemanns haben diese Alternative inzwischen obsolet gemacht.

Bizarre öffentliche Stellungnahmen, geschichtsrevisionistische Tweets und kämpferische Ansagen von prominenten Kuratoriumsmitgliedern wie der ehemaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Erika Steinbach und dem Investmentberater Max Otte haben in der Öffentlichkeit für scharfe Gegenreaktionen gesorgt. Der spektakuläre Austritt des rechten Publizisten David Berger aus dem Kuratorium zeigt, dass diese öffentliche Selbstfindungsphase noch nicht abgeschlossen ist.

Interessanterweise hat diese Selbstzerfleischung in der Öffentlichkeit eher zu einer Geringschätzung der von der DES ausgehenden Gefahr geführt: Steinbach und Konsorten seien ja nicht ernst zu nehmen, ihre Forderungen nicht mehrheitsfähig. Diese paradoxe Verharmlosung durch Skandalisierung findet im offiziellen Stiftungsprogramm eine Antwort, das betont zivil und moderat auftritt. Im Gegensatz zum viel stärker polarisierend und kämpferisch agierenden rechtsradikalen Thinktank „Institut für Staatspolitik“ (IfS) setzt die DES ausweislich ihrer bereits erhältlichen Publikationen und ihrer Homepage auf bürgerliche Themen wie Religion, Kultur, „Abendland“ etc. Statt krassen Polemiken zur „Islamisierung“ bietet die DES liberal anmutende Seminare wie „Islam: Zum Konflikt zwischen Religionsfreiheit und einer Verteidigung unserer Grundwerte“.

Wiederum in Abgrenzung zur von Schwulst und Mystizismus gekennzeichneten Rhetorik des IfS ist bei der DES eine Hinwendung zu aktueller akademischer Sprache wahrzunehmen: Sie entspricht überwiegend kurrenter soziologischer und kulturwissenschaftlicher Terminologie und scheut auch nicht den Kontakt zu linksalternativer und feministischer Theoriebildung.

Die DES will akademisch ernstgenommen werden; unterhalb des grandiosen Krawalls des Kuratoriums ist der Mittelbau der DES offenkundig bestrebt, Anschlussfähigkeit zum normalen Hochschulbetrieb herzustellen.

Dieses Programm ist aber ebenso offenkundig nur vorgeschoben: Die DES bot bereits Veranstaltungen zum Thema, wie man als Aktivist*in einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz entgeht.

Mit der wachsenden Beobachtung einzelner Segmente der AfD durch die Sicherheitsbehörden werden Programme dieser Art zwangsläufig an Bedeutung gewinnen. Zu erwarten ist also eine exoterisch-esoterische Doppelstrategie: einerseits eine exoterische Normalisierung, ein Schwimmen mit dem akademischen Strom aktueller liberalbürgerlicher Diskurse, im Sinne des Narrativs: „Die AfD ist eine normale Partei mit einer normalen Stiftung.“

Gleichzeitig wird eine esoterische Radikalisierung stattfinden, in welcher exakt solche Normalisierungsstrategien diskutiert, eingeübt und ideologisch begründet werden können. Sie wird zugleich der weiteren Vernetzung disperser rechter Milieus dienen, Begegnungen zwischen Akteur*innen des IfS, der Identitären Bewegung, der Jungen Alternative, konservativer Strömungen wie der „Werteunion“ in der CDU, Burschenschaften, Kameradschaften, der „freien“ rechtsradikalen Szene etc. erlauben. Vorgeführt wurde dieses vermeintliche Kunststück, als im September 2019 mit Erik Lehnert der Vorsitzende des IfS als Schriftführer des DES-Vorstands berufen wurde. Im Raum steht nichts weniger als eine Kaderschmiede für zukünftige Aktivist*innen und Parteifunktionär*innen, die je nach Bedarf als konservative Akademiker*innen oder als radikale Einpeitscher*innen auftreten können – aber auch ein „Safe Space“ für das gesamte rechte Spektrum, in welchem die teils heftigen szeneinternen Debatten vergleichsweise schmerzfrei auf der Ebene der Kultur ausgefochten werden können.

Nicht zuletzt muss auch die Rolle der DES als eine Überwinterungsstruktur betrachtet werden, wie sie für die Selbstorganisation der Neuen Rechten elementar ist. Während die AfD abgewählt werden oder in einem veränderten gesellschaftlichen Klima auch wieder in die Bedeutungslosigkeit verschwinden kann, ist das bei einer Stiftung keineswegs der Fall. Scheidet eine Partei aus dem Bundestag aus, steht nach allgemeiner Auffassung der ihr nahestehenden politischen Stiftung mindestens für die Dauer einer Wahlperiode der volle Anspruch auf Zuteilung von Globalzuschüssen zu. Auch die Bedeutung für die Indoktrination darf nicht unterschätzt werden: Ohne Zweifel werden Stipendien der DES (wie die anderer Stiftungen) auch von politisch eher fernstehenden, aber finanziell bedürftigen Studierenden nachgefragt werden, die mit einem umfangreichen Programm ideologisch und sozial an das Netzwerk gebunden werden können. Über das Bildungswerk können Stipendiat*innen in alle akademischen Berufe, in alle Branchen ausgestreut werden. Nicht zuletzt werden sie selbst als Pädagog*innen in Schulen wirken – und auch auf das an die junge Generation vermittelte Geschichtsbild Einfluss nehmen.

Zu erwartende Geschichtspolitik

Wie schon erwähnt steht im Zentrum der Geschichtspolitik der AfD und der Neuen Rechten insgesamt die Ablösung vom Nachkriegskonsens, die Zurückweisung der deutschen Schuld an Weltkrieg und Holocaust, zugunsten eines neuen Narrativs nationaler Selbstbehauptung. Dies geschieht auf verschiedenen Ebenen, in verschiedenen Subtilitätsgraden und in jeweils dem Zielpublikum angemessener Sprache.

Ohne Zweifel ist das Auftreten der parteieigenen Stiftung auf ein bildungsbürgerliches Publikum zugeschnitten. In Abgrenzung zum rabiaten Auftreten einzelner Vertreter*innen der Stiftung werden Besucher*innen der DES-Homepage von einer betont kühlen, beruhigenden Ästhetik empfangen. Die Assoziationen, die erweckt werden sollen, sind denkbar unpolitisch, ähneln eher denen einer literarischen Gesellschaft denn einer radikalen Organisation. Genuin politische Botschaften reduzieren sich auf Appelle an humanistische Werte und abendländische Traditionen. Die DES spricht über Kultur, nicht über Politik. In ihren verfügbaren Schriften tritt sie selten polemisierend und niemals verletzend auf. Ihr Revisionismus ist subtil – krasse Shoah-Relativierungen, das hat die Neue Rechte gelernt, verschrecken bürgerliche Bündnispartner*innen. Vielmehr ermuntert sie, „weniger bekannte“ Seiten der Historie anzugehen, webt einen sanften Goldschleier über die Vergangenheit, die ja doch nicht nur schlecht gewesen sein könne. Holocaustrelativierungen geschehen wenn, dann indirekt, durch Dethematisierung oder Ironisierung – wie etwa bei einer Tagung zum Thema „100 Jahre Ende des Ersten Weltkrieges. Die Europäischen Friedensordnungen seit 1918 und das Selbstbestimmungsrecht der Völker“.

Die ostentative Unbekümmertheit und der sanfte Nationalismus werden als Folie gebraucht, um gewissermaßen einen Geschichtsrevisionismus ex negativo zu erzeugen: Neben der frischfrommfröhlichen, nonchalanten Geschichtsbetrachtung der DES werden mahnende Historiker*innen, die zum Lernen aus der Geschichte auffordern, zwangsläufig als Hysteriker*innen, Nörgler*innen und Spielverderber*innen wirken, die dem fröhlichen Party-Patriotismus im Weg stehen. En passant entsteht die Frage nach der Interessenlage derart unpatriotischer Historiker*innen, ein antisemitisches Dog-Whistling par excellence. Der Geschichtsrevisionismus ex negativo entsteht auch dort, wo der Rechtsruck als vermeintlicher Linksruck dargestellt wird. Es geht gar nicht so sehr darum, selbst revisionistische Positionen zu produzieren, sondern um ein Reframing des historischen Diskurses als solchem. Beispielhaft der Redner Karl-Heinz-Weißmann (stellvertretender Kuratoriums-Vorsitzender DES), der im Juni 2019 im Berliner Kronprinzenpalais den Kongress „Meinungsfreiheit – Anspruch des Grundgesetzes und politische Realität“ eröffnete. Zu Beginn der Veranstaltung stellte er sechs Zitate in den Raum, die er erst später historischen Personen zuordnete – zu Themen wie „Rasse“, Einwanderung und Geschichtspolitik. Diese Zusammenstellung sollte laut Weißmann deutlich machen, dass die

„gegenwärtig geltenden Denk- und Sprachregelungen nichts weniger als selbstverständlich sind. Dass die Biologie des Menschen von Bedeutung ist, dass die Kollektivschuld einen unerträglichen Vorwurf darstellt, dass unsere Soldaten Ehre hatten, dass die Beziehung zwischen Mann und Frau und die Familie eine entscheidende Bedeutung für die Existenz eines – ich wage es kaum auszusprechen – eines Volkes haben, und dass es da, wo es eine Mitte und eine Linke gibt, logischerweise auch eine Rechte geben muss: Das alles steht heute mehr oder weniger stark unter Tabu.“

Der Redner der DES erzeugt selbst keine kohärente revisionistische Argumentation, sondern versucht eine Richtigstellung: In seiner Suggestion gab es einmal einen homogenen, „normalen“ Diskurs über Nation, „Rassen“ und Holocaust, der in jüngster Zeit missbräuchlich verändert worden sei. Erneut stehen nicht – revisionistische Historiker*innen als manipulativ und geschichtsfälschend da, während die DES scheinbar die Geschichte für sich selbst sprechen lässt.

Grundsätzlich muss der Nationalismus der DES unter anderen Vorzeichen als denen des 20. Jahrhunderts gesehen werden. Neue Nationalist*innen glauben nicht mehr an eine historische Mission des Vaterlands, seine göttliche oder biologische Erwähltheit. Als Schüler*innen der Postmoderne brauchen sie auch nicht mehr an den Konstruktcharakter der Nation erinnert werden, sie leben ihn vielmehr bewusst: Die als Konstruktion erkannte Nation wird gerade als solche funktional. Die Menschen, so die Argumentation, bräuchten gerade in globalisierten Zeiten das nationale Narrativ für ein Gefühl der Sicherheit.

Es ist deshalb davon auszugehen, dass die DES in ihrer Veranstaltungspolitik sich einerseits weiter an klassisch bürgerlichen Themen („Abendland“), andererseits an postmoderner und kritischer Begriffsbildung orientieren wird – gerade im Hinblick auf die akademische Jugend. Für rechte Studierende ist es nicht attraktiv, in den von ihnen als links dominiert wahrgenommenen Fächern der Sozial- und Geisteswissenschaften direkt mit der kruden und eigenbrötlerischen Terminologie der Neuen Rechten aufzutreten – wohingegen ein rechtes Reclaimen kritischer Theorie subversiv und aufregend ist. Schon jetzt sind Versuche im akademischen Teil der Identitären Bewegung auszumachen, Begriffe der queeren, feministischen oder antirassistischen Identitätspolitik „ethnopluralistisch“ auszulegen. Die Adaption der Sprache der Entmarginalisierung wird rhetorische Strategie – als scheinbar legitimes Widerstandsgebaren einer angeblich verfolgten weißen Minderheit, deren Identität lediglich dieselben Rechte beanspruche wie die genuin Marginalisierter. Zu erwarten ist hier eine Bündelung weißer, männlicher /maskulinistischer und geschichtsrevisionistischer Opfernarrative auch im internationalen Kontext.

Aller Voraussicht nach wird dies auch die Strategie der „erinnerungspolitischen Wende“ sein, als deren maßgebliches Organ die DES schon jetzt angesehen werden kann. Der Holocaust wird nicht mehr direkt relativiert, der Faschismus als Teil der deutschen Geschichte akzeptiert – es muss lediglich ein „entkrampfter“ Bezug zu ihr gefunden werden. Ein entpolitisierter, kulturalisierender, letztlich enthistorisierter Geschichtszugang kommt dem Bedürfnis einer Öffentlichkeit entgegen, die sich entgegen jeder statistischen Evidenz als von Holocaustpädagogik überschwemmt empfindet.

Geschichte wird deshalb von rechts als Sammlung von „Geschichten“ dargestellt, in welchem die russische Gefangenschaft des SS-Opas gleichberechtigt neben der einer Überlebenden des Warschauer Ghettos steht. Mit solcherart enthistorisierter Geschichte entsteht eine reaktionäre „Multiperspektivität“, die universelle Maßstäbe ablehnt, historische Kausalität und Verantwortung leugnet und stattdessen einen emotional wie kognitiv stark distanzierten, ästhetisierten und auf gegenwartsbezogenen Mehrwert hin instrumentalisierten Geschichtszugang erlaubt. Diese neue, tückische Form des Geschichtsrevisionismus ist deswegen so effektiv, weil sie auf kritische Strategien der Geschichtspädagogik zurückgreift und sie in ihrem Sinne umdeutet – in der Konsequenz werden ihre Kritiker*innen zwangsläufig als reaktionär, gestrig oder methodisch altmodisch dastehen.

Gegenstrategien

Um die geschichtspädogischen Strategien der DES zu bekämpfen, bedürfte es zunächst einer weitergehenden Dekonstruktion und Denormalisierung ihrer Methoden, einer Sichtbarmachung ihrer Strategien und einer Dechiffrierung ihrer bereits jetzt sehr elaborierten Rhetorik, die zahlreiche Anschlusspunkte für verschiedene Milieus und gesellschaftliche Bedürfnisse bietet. Die Aufmerksamkeit darf dabei gerade nicht auf der leerlaufenden Skandalisierung der oft absichtsvoll schrill auftretenden Figuren des Kuratoriums verweilen. Vielmehr müssen die Akteur*innen im Mittelfeld benannt werden, die die Normalisierungsstrategie im Wesentlichen tragen. Zuvörderst wäre dabei das Metanarrativ anzugreifen, welches die DES als eine Stiftung wie alle anderen Stiftungen darzustellen wünscht.

Ungleich wichtiger wäre aber ein Entzug der strukturellen und institutionellen Förderung, die die DES allein schon aufgrund ihrer Teilnahme am Parteiensystem erhalten wird. Ohne auch für andere Parteien schmerzhafte Korrekturen am ausnehmend lückenhaften Stiftungs- und Parteiengesetz wird das schlicht nicht zu leisten sein.

Zugleich sind bürgerliche Akteur*innen aufgerufen, ihr eigenes Geschichtsbild darauf zu überprüfen, ob es den Zielen einer enthistorisierten Historie bereits jetzt in Teilen entspricht. Dies wird nicht gelingen ohne Rekurs auf einen im bürgerlichen Milieu immer noch anschlussfähigen Topos der historischen Verantwortung. Zugleich müssen Bürgerliche klarstellen, dass staatliche Aufgaben sich nicht in einem ideologischen Vakuum vollziehen. Zu gerne wird hier das Grundgesetz als Sammlung von Freiheitsrechten dargestellt, in deren Rahmen geschichtsrevisionistische Thesen, als grundsätzlich von der Meinungsfreiheit gedeckt, zähneknirschend hingenommen werden müssten. Das Grundgesetz als historische Antwort auf die Verbrechen des Nationalsozialismus ernstzunehmen bedeutet hingegen die Pflicht, gerade jenen Positionen entgegenzutreten, die die vom Grundgesetz gewährten Rechte gegen diese selbst richten wollen.

 

Über die Autoren:

Oliver Fassing ist Bildungsreferent bei der Bildungsstätte Anne Frank.

Leo Fischer ist Autor und Kolumnist (TITANIC, Taz, Neues Deutschland).

 

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