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Good Gaming – Well played Democracy Antifeminismus und LGTBIQ-Feindlichkeit in Gaming-Communitys

(Quelle: Unsplash)

Veronika Kracher ist Autorin, Publizistin, Mitarbeiterin im Projekt de:hate der Amadeu Antonio Stiftung und beschäftigt sich mit Antifeminismus,Rechtsextremismus und Online-Radikalisierung. Nele Wobker ist freie Autorin und schreibt über Games, Hardware, Queerness und Geschlechtergleichheit. Mick Prinz sprach mit ihnen u.a. über Frauenfeindlichkeit im Gaming.

Good Gaming: Haben Gaming-Communitys ein Sexismus-Problem? Wenn ja, wie sieht dieses aus?
Veronika Kracher: Zum einen hat die Gaming-Community ein strukturelles Sexismus-Problem, weil die patriarchale Gesellschaft als solche sexistisch ist und die Gaming-Szene dies widerspiegelt. Zum anderen war die Szene lange Zeit spezifisch auf ein weißes, heterosexuelles und cis-männliches Publikum ausgelegt. Dies hat sich in Hauptcharakteren und Narrativen manifestiert, die Männerfantasien bedienen sollen, oder darin, dass Zeitschriften Bildergalerien mit „heißen Gaming-Babes“ hatten. Dass dies von FLINTA-Personen und solidarischen Männern kritisiert und zum Glück zunehmend aufgebrochen wird, stößt auf heftige misogyne Gegenreaktionen. Die bekannteste davon wohl die Hasskampagne GamerGate.

Dazu kommt, dass Gamer sich stellenweise so sehr mit ihrem Hobby identifizieren, dass jede Kritik an Spielen als persönlicher Angriff aufgefasst wird. So wird die Kritik, ein Spiel sei sexistisch, ganz schnell zu „Die sagen, dass ich ein Sexist bin!“ oder wie bei dem antifeministischen Ausfall im Rahmen von GamerGate und dessen Nachwehen: „Die wollen mir mit ihrem feministischen Genörgel meine Spiele-Erfahrungen kaputt machen.” Hinzu kommt ein exklusives Selbstbild als „Gamer“. Wer Spiele nicht im härtesten Modus spielt oder nicht aus dem Stegreif sämtliche Dark Souls-Lore herunterbeten kann, wird dafür verlacht. Das schließt viele Leute aus.

Nele Wobker: Ein weiteres Problem ist, dass viele Spieler Gegenwind nicht gewohnt sind. Wenn dann aber kritische Stimmen sexistische Stereotype oder misogyne Geschlechterbilder thematisieren, entsteht bei den Gatekeepern schnell eine solidarische Dynamik. Veränderungen sollen im Keim erstickt werden. Legitime Kritik weicht frauenverachtenden Kommentaren, persönliche Angriffe sind dort normal. Ich habe das während eines Events des Magazins GamePro, den Held:innen-Wochen, als besonders extrem erlebt. Beispielsweise habe ich einen Artikel über Rollenspiele und Charaktereditoren geschrieben und darüber, warum Games wie „The Witcher 3“ für mich keine richtigen RPGs (Role-Playing Games) sind – also einen Meinungsartikel, deutlich als solcher kenntlich. Nur eine Stunde nach Veröffentlichung dieses Beitrags musste der Kommentarbereich „aufgrund beleidigender und verletzender Kommentare […]“ geschlossen werden. Ich selbst musste die Kommentare zum Glück gar nicht erst sehen, weil das GamePro-Mod-Team einfach unfassbar schnell ist. Dafür übrigens ein dickes Lob an dieser Stelle. Ich bin froh, dass ich den Mist nicht lesen musste …

Da „The Witcher 3“ mit seinem heteronormativen Protagonisten unter vielen Spieler:innen aber als das Rollenspiel überhaupt gilt, kann ich mir schon denken, was da so an verbalen Ergüssen kam. Und dann schreibe ich auch noch, dass ich Geralt nicht mag! Da entstehen dann regelrechte Glaubenskriege, bei denen es nicht einmal immer um das Primärobjekt „Game“ geht. Diese Giftspritzen pushen sich gegenseitig, werden immer aggressiver, und schon traut sich niemand mehr, einen Beitrag, um den es ursprünglich mal ging, zu loben. Für mich als Schreiberin war das ziemlich belastend, ehe ich die GamerGate-Mechanismen verstanden hatte.

Diese Leute mutieren teilweise zu regelrechten Stalkern, die über die Unruhestifter:innen in „ihren“ Games alles herauszufinden versuchen, was sie in ihren Augen angreifbar macht. Da wird dann vor allem geguckt, wie die Person aussieht. Gibt es Fotos? Social Media-Profile? Um dann direkt dort anzusetzen. Doxxing, Lookismus-Formen, Rassismus, Sexismus und Ableismus gehen hier oft Hand in Hand, während die Gegenseite sich um Objektivität bemüht. Ich beobachte immer wieder, dass unter toxischen Gamern so getan wird, als würde man versuchen, ihnen etwas wegzunehmen.

Kurze Frage, viel zu lange Antwort. Also ja, Gaming-Communitys haben ein strukturelles Sexismus-Problem!

Fällt euch eher offene, direkte Frauenverachtung auf oder auch ein latenter, unterschwelliger Sexismus?
Wobker: Online-Rollenspiel-Spielerinnen geben oft vor, männlich zu sein und verleihen auch ihren Avataren eine männlich definierte Optik, umweniger Aufmerksamkeit zu generieren. Wohl auch, um sich so von vornherein zu schützen. Ich persönlich erlebe häufig latente Frauenverachtungund Feindseligkeit. Für manche ist dieses Verhalten so alltäglich, dass sie damit vermutlich nicht einmal immer böse Absichten verfolgen oder sich darüber im Klaren sind, dass sie sich so verhalten. Damit meine ich ebenfalls den „gut gemeinten Sexismus“, der auch eine Form des klassisch Patriarchalischen ist. Am häufigsten erlebe ich Männer, die mir „Tipps“ geben wollen, beispielsweise zu meiner „Karriere als Frau in einer Männerdomäne“ oder zu Gaming-Hardware. Mansplaining ist da definitiv ein Thema. Aber auch Aussagen wie „Für eine Frau bist du echt gut in diesem Spiel“ gibt es immer mal. In den verschiedenen Kommentarspalten, auf Social Media oder bei Veranstaltungen geht es jedoch auch gerne mal direkter zur Sache, mit offenen Diffamierungen. Sexuelle Belästigung haben wohl die meisten Spielerinnen schon erlebt – ich ebenfalls.

Kracher: Ja, vor allem Streamerinnen werden besonders häufig sexistisch beleidigt. Man spricht ihnen ihre Kapazitäten ab und behauptet, sie würden eher mit ihrem Aussehen als ihrem Können Zuschauer:innen-Zahlen erzielen. Sie werden objektiviert und sexualisiert. Oder sie werdenOpfer von patriarchalem Anspruchsdenken, im Sinne von: „Ich habe deinen Stream abonniert, deswegen bist du mir Zuneigung schuldig.”

Welche Folgen haben diese Formen von Frauenverachtung für die Betroffenen?
Kracher: Das Ziel von misogyner Gewalt ist es ja, FLINTA aus Räumen zu vertreiben. Dies wird erreicht, indem man sie konsequent darauf zurückwirft, vermeintlich nichts in der Community verloren zu haben, und sie sexistisch diskriminiert. Das zehrt an den Nerven. Man glaubt, sichpermanent beweisen zu müssen, zweifelt an den eigenen Fähigkeiten, verliert die Lust an Videospielen. Ich selbst spiele zum Beispiel überhaupt keine Multiplayer-Spiele mehr – unter anderem, weil mir der Alltagssexismus auf die Nerven geht. Im schlimmsten Fall kommt es zu Vergewaltigungs- oder Morddrohungen oder eben Stalking. Die von GamerGate Betroffenen mussten umziehen, genauso wie von Stalking betroffene Streamerinnen. Das ist mit einem enormen psychischen und finanziellen Aufwand verbunden.

Wobker: Genau das. Menschen ziehen sich aus Bereichen zurück, weil sie sich Anfeindungen nicht mehr aussetzen möchten oder können. Selbstzweifel, Minderwertigkeitsgefühle, Selbstwahrnehmungsstörungen und selbstverletzendes Verhalten können die Folgen sein. Aber auchfinanzielle und bürokratische Folgen können eine enorme Tragweite annehmen. Wer bei den zuständigen Ämtern schon einmal versucht hat zu erreichen, dass die eigene Wohnadresse privat bleibt und Dritten nicht mitgeteilt werden darf, weiß, was ich speziell mit bürokratischem Aufwand meine. Das kostet nicht nur Nerven, sondern auch viel Zeit. Wer sowieso schon angeschlagen ist, bekommt also nicht direkt Unterstützung, sondern muss erst einmal beweisen, dass überhaupt Handlungsbedarf besteht. Es ist zermürbend.

Welche Strategien und Konzepte könnt ihr innerhalb von Gaming-Communitys erkennen, um gegen Misogynie vorzugehen? Welche sind wirksam, welche eher Augenwischerei?
Kracher: Es ist wichtig, Misogynie und andere Formen Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ernst zu nehmen. Wer es wider besseres Wissen für notwendig hält, behindertenfeindliche Schimpfworte zu verwenden, das N-Wort in den Chat spammt oder misogyne Memes im Discord-Channel postet, sollte ohne Wenn und Aber aus der Gilde oder dem Clan gekickt werden. Solange so etwas nämlich toleriert wird, haben marginalisierte Menschen auch keine Lust, sich in der Community aufzuhalten. Außerdem liegt ein nicht unbeträchtlicher Teil der Verantwortung bei bekannten YouTuber:innen oder Streamer:innen, die ihre Plattform nutzen sollten, um über Sexismus aufzuklären, anstatt diesen zu reproduzieren. Zudem dürfen auch die Unternehmen nicht aus der Verantwortung gelassen werden: Spiele dürfen Frauen nicht als sexualisierte Objekte beinhalten, es braucht Narrative mit Hauptcharakteren, die keine weißen cis-Männer sind. Auch dürfen FLINTAs keine Diskriminierung am Arbeitsplatz erfahren. Hier finden seit einigen Jahren Umbrüche statt, die weder rückgängig zu machen noch aufzuhalten sind – dank intensiver Kritik aus der Community oder von Spiele-Entwickler:innen selbst! Toxische Unternehmenskultur zu thematisieren, wie im Fall von Activision Blizzard, ist wichtig. Es müssen aber strukturelle Konsequenzen folgen. Außerdem sollten sich Unternehmen deutlich gegen Sexismus in ihrer Fanbase positionieren. Das – und ein Ende von Unsitten wie Crunchtimes (exzessive Überstunden) – wäre ein wirksamer Anfang und wesentlich wichtiger als Lippenbekenntnisse.

Wobker: Aktuell sehe ich leider noch nicht, dass allzu viel gegen Frauenhass in der Gaming-Szene unternommen wird. Es gibt zwar viele Projekte, die die richtigen Ziele verfolgen. Diese finden aber meist außerhalb des Mediums Game statt und sind somit zu weit von der eigentlichen Community entfernt. Der Widerstand muss von innen kommen, um zu wirken. Was Vero in Bezug auf YouTuber:innen und Streamer:innen sagte, könnte auf jeden Fall dazu beitragen, sexistische Stereotype umfassender abzulehnen. Sicherlich gibt es bereits Einzelpersonen, die hier mit gutem Beispiel vorangehen und Flagge gegen Sexismus und Frauenhass zeigen. Insbesondere bei Menschen mit geringer Reichweite und dementsprechend eher geringem Einfluss geht das aber viel zu oft auf die eigenen Kosten. Sie haben meist keine größere Firma über sich, die für sie in die Bresche springt, wenn die eigenen Kraftreserven einmal aufgebraucht sind. Deshalb ist es umso wichtiger, dass die Fans diese Streamer:innen unterstützen und ebenfalls Flagge zeigen. Auch die Plattformen und Medien müssen Verantwortung zeigen und konsequenter vorgehen. Wenn ich mir ansehe, wie schwer es in Sozialen Medien ist gegen schädliche Accounts und Tweets vorzugehen, ist dieser Weg noch lang. Auch Plattformen wie Steam müssen unbedingt aktiv werden. Als eines der größten deutschen Gaming-Magazine hat die GamePro meiner Meinung nach aktuell die Nase vorn. Dort arbeiten viele Frauen, queere Personen usw., und das nicht nur als Freelancer:innen, sondern auch in Führungspositionen. Es ist wichtig, sich hier den Unterschied bewusst zu machen. Viele Gaming-Magazine haben zwar auch weibliche Angestellte, halten diese aber klein. So können die Chefs sagen: „Wir sind nicht misogyn, hier arbeiten ja auch Frauen!“, sich gegenseitig auf die Schultern klopfen und dennoch antifeministisch agieren.

Gibt es weitere Wege, um effektiv dem Problem zu begegnen?
Wobker: Es klingt ganz simpel, aber: Flagge zeigen! Übrigens bei jeder Form der Diskriminierung. Natürlich muss hier jede:r gucken, was im Rahmen der eigenen Möglichkeiten liegt. Wegschauen ist jedoch niemals eine gute Option. Wer Angst hat, die eigene Stimme am Ort des Geschehens zu erheben, kann aber durchaus mit anderen darüber sprechen, aufklären, es weitertragen, um Hilfe bitten, Accounts/Beiträge melden oder Zuständige anschreiben. Hilfestellungen dazu gibt es bei Initiativen wie Keinen Pixel den Faschisten! oder eben dem Projekt Good Gaming der Amadeu Antonio Stiftung. Auch HateAid hilft Betroffenen von digitaler Gewalt. Opfer und ihre Freund:innen und Angehörigen sollten sich immer vor Augen halten, dass Hass von einer lauten und sehr aggressiven Minderheit kommt, die anderen nur vorgaukeln will, in der Mehrheit zu sein. Lasst euch nicht das Gefühl vermitteln, einem David-gegen-Goliath-Kampf ausgesetzt zu sein. Aber das Allerwichtigste ist: Glaubt den Opfern! Lasst sie nicht alleine! Fragt, wie ihr helfen könnt. Spielt es nicht herunter, wenn jemand euch von einem Vorfall erzählt. Nehmt die Opfer ernst. Hört ihnen zu und handelt gegebenenfalls und auch nur, wenn es ausdrücklich erwünscht ist.

Dieser Text ist ein Auszug aus der Broschüre:

Amadeu Antonio Stiftung / Good Gaming – Well Played Democracy:
„Unverpixelter Hass. Toxische und rechtsextreme Gaming-Communitys“
Berlin 2022
90 Seiten

Mehr aus der Broschüre auf Belltower.News:

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