Im Januar 2018 zog die Journalistin Keza MacDonald eine gleichermaßen ehrliche wie frustrierende Bilanz über die Videospielbranche und das Ausbleiben einer #MeToo-Welle dort, obwohl eine angrenzende Branche nach der anderen sich mit sexualisierter Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz auseinandersetzte. Sie wies darauf hin, dass selbstverständlich die Spielebranche und ein großer Teil ihrer Fan-Communitys ein Problem mit Sexismus und sexualisierter Gewalt haben und dieser Fakt für niemanden eine echte Neuigkeit darstellt. Gleichzeitig müssten u.a. Frauen aber gerade deshalb sehr vorsichtig sein, wie sie sich in diesem Umfeld bewegen und äußern. Nicht nur, aber auch, weil GamerGate, eine rechte Hashtag-Kampagne um 2014, Betroffenen klar und deutlich gezeigt hatte, dass sie im Zweifelsfall mit wenig Unterstützung aus der Presse rechnen konnten.
Versäumnisse im Diskurs
Seit diesem Artikel von MacDonald von 2018 ist viel geschehen. Zumindest die internationale Spielebranche erlebte mehrere größere und kleinere öffentliche Debatten über Diskriminierung und Belästigung am Arbeitsplatz sowohl im Windschatten einer wachsenden Arbeiter:innen-Bewegung mit Klagen wie der gegen Riot, das Studio u.a. hinter „League of Legends“, als auch in Form von Hashtag-Wellen auf Twitter. Den deutschsprachigen Raum hat davon wenig erreicht. Zum Teil, weil die Branche sehr international orientiert ist, gleichzeitig aber auch, weil die deutsche Presse nach wie vor kaum Raum für diese Art Debatten bietet. Im Feuilleton erbarmt man sich allerhöchstens ab und zu, einen Blockbuster-Titel doch mal in einer Rezension zu besprechen. Die klassische Spiele-Presse scheint jenseits der Paywalls zwischen Klickabhängigkeit und ihrer eigenen Leser:innenschaft meist ohnehin recht eingekeilt zu sein, und dazwischen gibt es noch ein paar freie Journalist:innen, Blogs, Podcasts und ähnliche Projekte, die sich zu einem guten Teil über Plattformen wie Patreon finanzieren und so versuchen, ihre eigenen journalistischen Entwürfe hochzuziehen.
Was sich seit dem Artikel von 2018 nicht nennenswert geändert hat, ist der Umstand, dass GamerGate nach wie vor kaum aufgearbeitet wurde. Dabei ist es eigentlich fast paradox: Eine zutiefst antifeministische Kampagne, die inzwischen als einer der Testläufe für viele digitale Strategien der Neuen Rechten gilt, von der aber gleichzeitig kaum jemand außerhalb der Spielebranche gehört zu haben scheint. Wie kann das sein?
Schrödingers Hasskampagne: GamerGate und der Antifeminismus
Die Antwort ist im Grunde so einfach wie frustrierend: Spiele werden nach wie vor als Medium zu wenig ernst genommen, gleiches gilt für ihre Communitys. Innerhalb von Gaming-Subkulturen ist es eine Binsenweisheit, dass es eine klischeehafte Gamer-Strömung gibt, die vor Misogynie, Queerfeindlichkeit, Rassismus und Ableismus nur so strotzt, und dass ein guter Teil der großen Studios, Publisher und Influencer:innen genau das mittragen. 2017 geriet z.B. der weltweit wohl bekannteste Streamer PewDiePie für antisemitische Witze so sehr in die Kritik, dass sich sowohl Disney als auch YouTube von ihm distanzierten. Seinem Ruhm tat das keinen Abbruch, auch wenn es ab diesem Zeitpunkt immer wieder Spekulationen über seine politische Einordnung gab. Symptomatisch daran war unter anderem, dass sich neben der Spielepresse nun auch die überregionale deutschsprachige Presse dazu herabließ, die Angelegenheit zu kommentieren und dabei in einigen Fällen nicht einmal ihre eigene Unwissenheit zu kaschieren versuchte. „Ich muss gestehen, bis gestern kannte ich den womöglich meistgesehenen YouTuber der Welt nicht“, begann so z.B. Jochen Bittner für die ZEIT seinen Kommentar, um dann mehr oder weniger zu einem relativierenden Schluss zu kommen, mit dem er gut in ein paar konservativere Spielemagazine gepasst hätte.
Dieses Kleinreden und diese Ahnungslosigkeit, die nicht einmal mit dem Anschlag in Halle 2019 wirklich ein Ende gefunden hat, ist typisch dafür, wie abgekapselt Spiele gerade im deutschsprachigen Raum noch immer wahrgenommen werden. Denn seit PewDiePie 2017 als doch ganz harmlos dargestellt wurde, gab es nicht nur mehrere reaktionäre Backlashes über die Existenz von Frauen oder queeren Figuren in Spielen wie etwa bei „Battlefield V“, „The Last of Us II“ oder „Crusader Kings 3“, sondern auch mehrere #MeToo-Wellen in der Branche selbst. 2019 fielen außerdem Teile der Community des Streamers Gronkh gezielt über einen kleinen feministischen Account auf Twitter her, als dieser Gronkh und die Rocket Beans kritisierte. Im März 2021 verkündete dann die Streamerin Shurjoka,69 dass sie dem Standard wegen der schlechten Moderation des Forums kein Interview mehr geben würde.
Die Liste ließe sich leicht erweitern, z.B. um einen misslungenen Frontal21-Beitrag, der im November 2020 GamerGate verharmloste und stattdessen bekannte Gesichter der rechtsextremen Identitären Bewegung zu Wort kommen ließ. Oder darum, wie überrascht das Spielemagazin GameStar 2018 tat, als Historiker:innen das Mittelalterspiel „Kingdom Come: Deliverance“ für seinen mindestens rechtsoffenen Chefentwickler kritisierten und dabei auch die GameStar für ihre fehlende Einordnung angriffen. Oder um den Fall, wie ein Redakteur eines großen Spielemagazins erst im April 2021 einen Kommentar über sogenannte „Hot Tub“-Streamerinnen veröffentlichte, der vor Slutshaming nur so triefte.
Ursprünge toxischer Maskulinität
All diese und ähnliche Beispiele sind letzten Endes ein Phänomen einer Kultur, die insbesondere in den 1980er und 1990er Jahren gezielt als weiß und männlich konstruiert wurde.74 Damals wollte die Spielebranche ihre eigene Zielgruppe klarer definieren, trug dabei aber gleichzeitig sehr stark dazu bei, dass das stereotype Bild des jungen, weißen und cis-männlichen Geeks gleichbedeutend mit „Gamer“ wurde, bis sich schließlich eine eigene, zutiefst exklusive und von toxischer Nerd-Maskulinität getragene Subkultur herausbildete, deren Reste bis heute den Diskurs und das Medium prägen. Es war diese Gruppe, die Rechtsradikale mit GamerGate erfolgreich abholten, und es sind Strömungen dieser Gruppe, die sich immer noch oft und lautstark darüber beschweren, wie sehr die „Social Justice Warriors“ doch „ihre“ Spiele kaputt machen würden. Es sind aber auch Strömungen dieser Gruppe, die noch immer von Publishern und Studios selbst im Marketing direkt angesprochen werden. Zur Gamescom 2018 verteilte z.B. das Studio hinter dem über Jahre gehypten Spiels „Cyberpunk 2077“ als Werbegeschenk unter Journalist:innen und Influencer:innen eine Plastikfigur einer nur mit einem Korsett bekleideten verletzten Frau, die so halbnackt und auf Knien in einer unterwürfigen Pose nach oben guckte. Später fiel das Marketing des Spiels vor allem durch Transfeindlichkeit auf, was sich auch im fertigen Spiel 2020 nicht sonderlich geändert zu haben scheint. So legt die Wahl der Stimme bei der Charaktererstellung als eine „weibliche“ oder „männliche“ fest, mit welchen Nebenfiguren der Spieler:innen-Avatar eine romantische oder sexuelle Beziehung eingehen kann.
Es bleibt viel zu tun
Das ist gleichzeitig etwas ironisch, weil es parallel dazu schon lange gut vernetzte feministische Strömungen innerhalb von Gaming-Communitys gibt, die unter anderem auch eine Grundlage für Phänomene wie die #MeToo-Wellen der letzten Jahre darstellen. Trotzdem ist der Schatten, den der Zorn reaktionärer Gamer noch immer wirft, lang und noch lange nicht verschwunden. Bei der Entwicklung von „Assassin’s Creed: Odyssey“, das 2018 erschien und am Ende eine der beliebtesten Frauenfiguren der letzten Jahre vorweisen konnte, wurde das Entwickler:innen-Team dazu aufgefordert, zusätzlich zu dem alleinig geplanten weiblichen Avatar noch einen männlichen zu ergänzen, weil sich Frauen als Hauptfiguren nicht verkaufen würden. In dieser Art von Behauptungen schwingt neben der üblichen Misogynie häufig auch eine Furcht vor der unvermeidlichen Gegenreaktion aus reaktionären Gamer-Kreisen mit.
Bis zu einem gewissen Grad ist das sogar verständlich: Wenn Kampagnen wie GamerGate, aber auch kleinere Zwischenfälle wie z.B. das Reviewbombing von „Rome 2“ oder die gelegentlichen digitalen Angriffe einzelne Entwickler:innen oder Journalist:innen eines bewiesen haben, dann die Tatsache, dass diese Strömungen der Gamer sehr schnell sehr skrupellos zuschlagen können. Das Label „GamerGate“ selbst verliert dabei inzwischen immer weiter an Bedeutung, der Schatten, den die Kampagne geworfen hat, ist aber in vielen Fällen geblieben. Sexismus, Queerfeindlichkeit und andere Diskriminierungsformen sind noch immer verbreitet und bieten damit ganz automatisch eine mögliche Brutstätte für Antifeminismus und Radikalisierung. Denn seit 2018 hat sich viel getan, aber noch lange nicht genug.
Dieser Text ist ein Auszug aus der Broschüre:
Amadeu Antonio Stiftung / Good Gaming – Well Played Democracy:
„Unverpixelter Hass. Toxische und rechtsextreme Gaming-Communitys“
Berlin 2022
90 Seiten