Durch Videospiele lassen sich die unterschiedlichsten Geschichten erzählen. Einige basieren auf fiktiven Szenarien, andere orientieren sich an historischen Prozessen und realen Gegebenheiten. Vielfältige Spielmechaniken ermöglichen die Umsetzung diverser Erzählungen und die Platzierung unterschiedlicher Narrative. Nicht nur die Rahmenhandlung legt fest, welche Werte und Moralvorstellungen ein Spiel verkörpert. Auch die Abbildung und Einbindung heterogener gesellschaftlicher Gruppen, die Repräsentation unterschiedlicher Geschlechtermodelle oder die Thematisierung geistiger oder körperlicher Beeinträchtigung geben Videospielen einen immersiven Charakter. Vielfältige Themen machen Spiele nicht nur authentischer. Sie ermöglichen einen leichteren Zugang zu verschiedenen Rollen und Szenarien. Viele Produktionen blenden jedoch Themen rund um Diversität aus oder reproduzieren gar stereotype Darstellungsweisen. Dabei ist es nicht verwerflich, Themen wie Sexismus, Rassismus oder andere Formen von Menschenfeindlichkeit in Spiele zu integrieren, wenn sie eingeordnet und widerlegt werden oder die Betroffenenperspektive ausgiebig dargestellt wird.
Während einige Spiele durch problematische Darstellungen Stereotype verfestigen, bemüht sich ein Teil der Industrie, zu einer bewussteren Repräsentation verschiedener Perspektiven in ihren Neuerscheinungen beizutragen. Ein Grund dafür: Bewegungen wie Black Lives Matter oder #MeToo sind in Gaming-Communitys angekommen und fordern auch dort Veränderung.
Große Szene-Events wie die Game Developer Conference (GDC) oder das Games for Change Festival geben dem Thema Repräsentation mehr Raum, wissenschaftliche Publikationen widmen sich diversen Fragestellungen, und auch in der Entwickler:innenausbildung werden die Themen stärker behandelt. Dennoch bleibt trotz der Versuche, dem Thema Diversity mehr Gewicht zu geben, mangelnde Repräsentation von Diversität ein Problem der Games-Industrie. Immerhin sind 81 % der Entwickler:innen Weiß, der allergrößte Teil ist zudem männlich und hat wenig Erfahrungen mit struktureller Diskriminierung. Eine Entwicklung, die sich letztlich in vielen Videospielgeschichten wiederfinden lässt.
Representation matters – Der Ruf nach mehr Diversität
Die Darstellung von Charakteren in Medien formt die Wahrnehmung und den Status der repräsentierten Akteur:innen. Dies wirkt sich auf die Handlungsmacht der dargestellten Gruppen aus. Daraus folgt eine Form von gesellschaftlicher Macht oder Ohnmacht. Die Bilder in den Medien formen nicht nur die gesellschaftliche Wahrnehmung, sondern auch die Selbstwahrnehmung von Gruppenzugehörigen. Eine stereotype Darstellung von Gruppen und insbesondere Minderheiten fördert Vorurteile und drängt in letzter Konsequenz Individuen in klischeebehaftete Rollen. Harwood und Anderson stellten schon 2002 fest, dass Prime-Time-Fernsehen den sozialen Status von Gruppen in einer Gesellschaft nicht nur spiegelt, sondern gleichermaßen formt und so zur Erhaltung eines Machtgefälles beiträgt.
Das Sichtbarmachen von diversen und nicht stereotypen Charakteren ist nicht nur eine Frage guten Storytellings. Es zeigt auch eine Anerkennung gesellschaftlicher Verantwortung für menschenrechtliche und demokratische Werte. Gleichberechtigung erfordert aktives Handeln. Wo dies ausbleibt, fördert es eine Kultur, in der in vielen Bereichen Hassrede an der Tagesordnung ist. Das kann dazu führen, dass Betroffene im Gaming sich Bewältigungsstrategien wie die Maskierung ihres Geschlechts oder die Verschleierung ihrer Identität zulegen. Vor allem weiblich gelesene Spieler:innen berichten regelmäßig davon, den Voicechat in Spielen aufgrund von sexistischen Anfeindungen der Mitspielenden zu meiden.
Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in Videospielen
Der Begriff der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit (GMF) geht zurück auf die Studienreihe „Deutsche Zustände“. 17 Er beschreibt einen Prozess, bei dem eine vermeintliche Zweiteilung in „Wir gegen die“ gegen meist marginalisierte Gruppen stattfindet. Der Begriff umfasst alle Anfeindungen, die rassistisch, antisemitisch, misogyn, LGBTIA+-feindlich, islamfeindlich, ableistisch etc. motiviert sind. Dabei werden der angegriffenen Person oft Eigenschaften zugeschrieben, die der ihr zugewiesenen Gruppe zugeordnet werden – so entstehen die oft generalisierenden und diskriminierenden Aussagen, die mit GMF assoziiert werden.
Obwohl der Begriff nicht unumstritten ist, bietet er sich an, um die Prozesse zu untersuchen, die Diskriminierung in Videospielen und diskriminierende Videospiele entstehen lassen. Besonders, da es sich bei Videospielen um artifizielle Kreationen handelt, lohnt sich hier ein genauerer Blick: Ein sehr bekanntes Beispiel in diesem K ontext ist die „damsel in distress“-Trope, die auf die Videospiel-Reihe „Super Mario“ zurückgeht. Die hier hilflose Prinzessin (Peach) wird durch einen Bösewicht (Bowser) entführt und durch den männlichen Helden (Mario) gerettet; ein Narrativ, das sich zum Beispiel auch in der Zelda-Reihe wiederfindet. Dieses Narrativ ist vor allem deshalb misogyn, weil es eine weiblich gelesene Person in eine Rolle setzt, die oftmals ohne eigene Intentionen agiert. Ihre einzige Funktion im Spiel ist es, die männlich gelesene Hauptfigur als heldenhaft zu etablieren.
Des Weiteren werden weibliche Charaktere in Videospielen oft hypersexualisiert dargestellt, in knapper Bekleidung und mit übertrieben dargestellten Geschlechtsmerkmalen. Bekanntestes Beispiel hierfür ist Lara Croft aus der „Tomb Raider“-Reihe, aber auch viele mobile Games wie „Raid Shadow Legends“ greifen auf ähnliche Darstellungen zurück.
Beispiel auch in der Zelda-Reihe wiederfindet. Dieses Narrativ ist vor allem deshalb misogyn, weil es eine weiblich gelesene Person in eine Rolle setzt, die oftmals ohne eigene Intentionen agiert. Ihre einzige Funktion im Spiel ist es, die männlich gelesene Hauptfigur als heldenhaft zu etablieren. Des Weiteren werden weibliche Charaktere in Videospielen oft hypersexualisiert dargestellt, in knapper Bekleidung und mit übertrieben dargestellten Geschlechtsmerkmalen. Bekanntestes Beispiel hierfür ist Lara Croft aus der „Tomb Raider“-Reihe, aber auch viele mobile Games wie „Raid Shadow Legends“ greifen auf ähnliche Darstellungen zurück.
So wie die Entwickler:innen-Industrie zum größten Teil männlich ist und deswegen Content für männliche Zielgruppen produziert, so ist sie auch zum größten Teil Weiß – mit demselben Effekt. Nur 10,7 % der spielbaren Charaktere in Videospielen sind BIPoCs (Black, Indigenous and People of Color). Und das, obwohl viele Spiele in den USA entwickelt werden, deren diverse Realität nicht in diesem geringen Anteil widergespiegelt wird. Dass darüber hinaus BIPoCs häufig nur in einer unterstützenden Position, als Sportler:innen oder als Antagonisten eingebracht werden, reproduziert Stereotype, wie sie auch schon aus der Filmlandschaft bekannt sind.
Strukturelle Mechanismen und Anschauungen wie diese sind dabei nur der Startpunkt eines Weges, bei dem Individuen, die sich ausschließlich in der Szene aufhalten, Narrative übernehmen und wiedergeben. Sie gipfeln in Kontroversen wie der antifeministischen GamerGate-Kontroverse und fördern toxisches Verhalten gegen Minderheiten in Spiele-Communitys. Am deutlichsten werden Diskriminierungsformen in rechtsextremen Propagandaspielen und Modifikationen abgebildet.
Wo ansetzen?
Stereotype existieren nicht nur in der Darstellung von Charakteren und den damit verbundenen Erzählungen. Sie existieren ebenso in der allgemeinen Wahrnehmung von Gamer:innen; ähnlich stereotyp stellt man sich unter ihnen in der Regel primär männliche, junge und Weiße Konsumenten vor. Diese Vorstellung hat nie der Realität entsprochen. Trotzdem richtete sich die Vermarktung von Games lange Zeit hauptsächlich an eben jene Gruppe. Diese Problematik tritt in Wechselwirkung mit der Demographie in den Entwickler:innen-Studios. Das System erhält sich also selbst. Dagegen hilft nur, die eigenen Vorurteile und Beschränkungen aktiv anzugehen. Der erste Schritt dabei ist, sich der eigenen Privilegien und Stereotype bewusst zu werden, dann geht es in die Auseinandersetzung mit Positionen anderer gesellschaftlicher Gruppen, und schließlich können die eigenen Erkenntnisse angewendet und umgesetzt werden. Diversitytrainer:innen und -fortbildungen helfen nur dann, wenn die Teilnehmenden Veränderungen auch zulassen und umsetzen. Ein Team, das bewusst auf Diversität setzt und diese aktiv fördert, kann sie natürlich besser in ihren Games sichtbar machen. Die Entscheidung für Repräsentation beginnt also schon bei Stellenausschreibungen. Die Seite der Spielenden sollte ebenfalls nicht vergessen werden. Hier kann durch die Arbeit in Communitys ein Reflexionsprozess angeregt werden: durch Artikel, Workshops
und Netzwerkarbeit.
Die Analyse der Zielgruppe gehört zu den Standardschritten in der Planung und vor allem der Vermarktung eines Games. Trotzdem finden sich Beispiele wie das aus der Entwicklung von „Assassin’s Creed Odyssey“, während der die gesamte Story aus der Perspektive einer Protagonistin (Kassandra) geschaffen wurde. Erst kurz vor Fertigstellung wurde eine männliche Option eingeführt, da das Management die Überzeugung vertrat, Spiele mit Frauen in der Hauptrolle würden sich nicht gut verkaufen. Ein mehrfach widerlegter Irrglaube und nur ein Beispiel unter vielen.
Gleichzeitig existieren zahlreiche positive Beispiele für die Darstellung diverser Charaktere mit finanziellem Erfolg, wie z.B. „Horizon Zero Dawn“ oder die „Life is Strange“-Reihe. Nur wenige Menschen diskriminieren bewusst. Dementsprechend bedarf es einer stärkeren Thematisierung und Förderung des selbstreflexiven und aktiven Umgangs mit struktureller, konditionierter und unterbewusster Diskriminierung. Ein notwendiger Schritt, um toxisches Verhalten einzudämmen, Betroffene von Diskriminierung zu unterstützen und letztlich für ein vielfältiges Miteinander einzustehen – in Videospielen und um sie herum.
Dieser Text ist ein Auszug aus der Broschüre:
Amadeu Antonio Stiftung / Good Gaming – Well Played Democracy:
„Unverpixelter Hass. Toxische und rechtsextreme Gaming-Communities.“
Berlin 2022
90 Seiten