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Good Gaming – Well Played Democracy Wie politisch sind Videospiele?

Keine politische Komponente? "The Division 2" wirbt mit "Das Schicksal der freien Welt steht auf dem Spiel", aber politisch soll das nicht sein. (Quelle: Ubisoft)

Wenn über Politik und Videospiele gesprochen wird, sind es meist Titel wie das dystopische „Wolfenstein – The New Order“ oder das postapokalyptische „The Last of Us“, die exemplarisch für eine politische Videospielgeschichte genannt werden. Während im 2014 veröffentlichten „Wolfenstein“ Spieler:innen als Teil einer diversen Widerstandsgruppe in einem fiktiven Szenario auf Nazi-Jagd gehen, stellt „The Last of Us“ das Überleben gesellschaftlicher Gruppen in einer von einem parasitären Pilz heimgesuchten Zukunft in den Mittelpunkt. Kaum jemand würde mit Blick auf diese Spiele infrage stellen, dass wir es hier mit politischen Werken zu tun haben.

Die Mär vom unpolitischen Spiel

Es gibt sie aber nach wie vor: Spieleentwickler:innen, die versuchen, ihre Produkte als reinen Eskapismus, als bloßes Unterhaltungsmedium zu präsentieren. Die Idee dahinter ist, dass ihre Videospiele einer möglichst breiten Zielgruppe zugänglich gemacht werden sollen – ohne potenzielle Käufer:innen mit einer anderen politischen Haltung zu verprellen. Bezüge zu real existierenden Konflikten werden als zufällig bezeichnet. Kommentare in Spielen seien keine politischen Statements, sondern reine Fiktion – so einige Entwickler:innen. Das wirkt besonders bizarr, wenn Videospiele Themen wie Apartheid, Rassismus oder soziale Segregation in ihren Haupt- und Nebengeschichten behandeln. Das ist z.B. im Spiel „Detroit: Become Human“ der Fall, in dem neben Martin Luther King-Zitaten auch die Analogien von Rassismus und Unterdrückung thematisiert werden. Einer der Köpfe hinter dem Spiel, David Cage, erklärt in einem Interview, dass er mit dem Spiel „keine Botschaft an die Menschheit“ richten wolle. Ähnliche Formulierungen über wertfreie und apolitische Videospiele lassen sich zu vielen anderen Games wie „The Division“ oder „Deus Ex: Mankind Divided“ entdecken. Dieser aufgesetzte Objektivitätsanspruch und die Aussage „es ist ja nur ein Spiel“ werden nicht nur von einigen Entwicklerstudios getroffen. Sie wird auch von den Spielenden angebracht. Vor allem Verfechter:innen von Misogynie in der Gamer-Gate-Kontroverse greifen diese Argumentation auf. Sie fantasieren, dass ein angeblich linker, progressiver und korrupter Spielejournalismus Videospiele in ein politisches Korsett presse und „richtige Gamer“ dazu zwinge, sich mit politischen Themen zu beschäftigen.

Kurswechsel bei großen Studios: Games sind politisch!

Jedoch ist nach und nach ein Paradigmenwechsel erkennbar. Während viele kleinere Studios und vor allem Indie-Entwickler:innen schon seit Jahren formulieren, dass in Spielen transportierte Weltbilder nie wertfrei oder gar apolitisch sein können, äußert sich auch der Publisher Ubisoft im Sommer 2021 erstmals in eine ähnliche Richtung. Lange behauptete das Studio, ihre Spiele seien unpolitisch, wie z.B. „Far Cry 5“, bei dem der Kampf gegen rechtsextreme Prepper-Milizen im Vordergrund steht, oder „The Division 2“, dessen Spielecover ein brennendes Kapitol und bewaffnete Milizen abbildet. Dafür wurde der Publisher vielfach kritisiert.

Beim sechsten Ableger der „Far Cry“-Reihe wich Ubisoft von der apologetischen Argumentation des unpolitischen Spiels ab. Nach ersten Versuchen, auch „Far Cry 6“, bei dem Spieler:innen in die Rolle von Guerillakämpfer:innen auf einer von Kuba inspirierten Karibik-Insel schlüpfen, als unpolitisch zu bezeichnen, korrigierte der Narrative Director des Spiels diese Haltung. „Unsere Geschichte ist politisch“, heißt es im Ubisoft-Blog. Es gehe im Spiel um Bedingungen, die zur Verbreitung des Faschismus führen. Es gehe um Zwangsarbeit, die Rechte von LGBTQI+ und um die Bedeutung von fairen und freien Wahlen. Auch wenn dieses Eingeständnis der Existenz von politischen Narrativen in ihren Videospielen längst überfällig erscheint, versucht Ubisoft trotz dieser Äußerung den Schein von Neutralität zu wahren.

„Far Cry 6“ enthalte keine „vereinfachte, binäre politische Aussage spezifisch über die aktuelle Situation auf Kuba“. Man wolle viel eher versuchen, die Revolution der Moderne in ihrer Komplexität und aus verschiedenen Perspektiven abzubilden, heißt es schön verklausuliert in dem Blog-Post. Der Kurswechsel macht sich aber auch abseits von großen Publishern bemerkbar. In Diskussionsrunden, auf Veranstaltungen und in Artikeln wird gegenwärtig seltener darüber debattiert, ob Videospiele denn nun ein politisches Medium seien. Vielmehr steht die Frage im Vordergrund, wie politisch sie letzten Endes sind und ob es eher die Kerngeschichte, die Art der Repräsentation unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen oder doch eher der Produktionsprozess ist, der Videospiele zu dem werden lässt, was sie sind: ein politisches Medium.

Politische Perspektiven in Videospielen

Oben wurden bereits viele Beispiele für gamebezogene politische Darstellungsweisen aufgeführt. In Spielen wie „The Division“, „Anno 2070“ oder „Battlefield 1942“ wird durch die Anlehnung an real existierende Konflikte deutlich, welche Auswirkungen das menschliche Handeln für eine gesellschaftliche Zukunft haben kann. Gleichzeitig gibt es unzählige Spiele, die eine erinnerungspolitische Perspektive einnehmen. Die Initiative „Erinnern mit Games“ der Stiftung digitale Spielekultur initiierte mit dem „Arbeitskreis Geschichtswissenschaft und digitale Spiele“ eine Datenbank mit Spielszenarien in unterschiedlichen historischen Epochen. Die angeführten Spiele werden in der Datenbank nach ihrer erinnerungspolitischen Bedeutung und den relevanten Diskussionsschwerpunkten, wie Kolonialismus, NS und Holocaust oder Verschwörungsideologien, einsortiert. Zudem weist das umfassende Archiv auf Einsatzmöglichkeiten in der schulischen und außerschulischen Bildungsarbeit hin.

Auch „Attentat 1942“ wird porträtiert. Hier untersuchen Spielende historische Artefakte aus der Zeit des Nationalsozialismus und sprechen mit Zeitzeug:innen über den tschechischen Widerstand und die Shoah. Ein weiteres Beispiel für ein eindeutig politisches Videospiel ist das ebenfalls angeführte „Through the Darkest of Times“, in dem sich Spielende als Teil einer Widerstandsgruppe in Berlin gegen das NS-Regime zur Wehr setzen.

Es gibt unzählige weitere Beispiele, die den politischen Charakter eines Gros von Videospielen unterstreichen. Ob ein „Super Mario“, in dem das klassische „damsel in distress“-Narrativ („Jungfrau in Nöten“) bedient wird, ob ein „The Last of Us Part II“ mit seiner Darstellung von nicht binären und transgeschlechtlichen Perspektiven oder selbst ein Tetris 11 : Jedes Videospiel ist ein politisches Kulturgut und hat die Möglichkeit, durch Erzählmuster, Darstellungsweisen oder die Wahl des Settings eine explizite Haltung zu transportieren.

 

Einordnungen bleiben zu häufig auf der Strecke

Zentral ist dabei nicht nur, dass diese Themen Erwähnung finden, sondern auch wie sie aufgegriffen und dargestellt werden. Entkräftet das Spiel gängige Stereotype, oder reproduziert es diese? Wird Rassismus im Spiel ohne Einordnung abgebildet, oder gibt es klaren Widerspruch? Werden nicht-westliche Kulturen exkludiert, oder sind sie gelungen dargestellt? Viele Videospiele scheitern daran, vorurteilsfreie Bilder zu implementieren. Ein Beispiel ist „Risen 2“ vom deutschen Entwicklerstudio Piranha Bytes. In einem Rollenspiel-Piratensetting bewegen sich Spielende durch eine raue Videospielwelt, in der sich verschiedene Fraktionen gegenüberstehen. Dass „Risen 2“ dabei die Unterdrückung indigener Völker thematisiert, öffnet spannende Erzählstränge, die jedoch zu häufig in stereotypen Darstellungen enden. Das Spiel verpasst die Chance, toxische Narrative abzulehnen. So bleibt der gespielte Protagonist zu häufig stumm, wenn problematische Äußerungen über die Kolonialisierung von anderen Non-Player Characters (andere Figuren als die:der Spieler:in) verbreitet werden. Kritische Themen nicht nur aufzugreifen, sondern auch mit klarer Haltung einzuordnen, bleibt bei vielen Spielen auf der Strecke.

Nicht nur Videospiele als Medium sind politisch, sondern auch die damit zusammenhängenden Debatten um beispielsweise Entwicklungsprozesse, die Beschaffenheit von Communitys oder die Professionalisierung des E-Sport. Um das eben genannte „The Last of Us Part II“ beispielsweise entbrannten vielfache Diskussionen, die weit darüber hinausgingen, Charakterwahl und die Entwicklung der Haupthandlung zu bewerten. Neben
wenig fundierten Kommentaren bezüglich der Storyentwicklung und der Abbildung von marginalisierten Gruppen gab es auch jene Stimmen, die die Gewaltdarstellung im Spiel ablehnten. Andere Kritiker:innen verwiesen berechtigterweise auf den Fakt, dass „The Last of Us Part II“ in einer sogenannten „Crunch“-Arbeitsphase finalisiert wurde: Damit das Spiel rechtzeitig finalisiert werden konnte, wurden über Wochen und Monate unzählige Überstunden bei Entwickler:innen in Kauf genommen. Eine geläufige Praxis in der Games-Industrie, die unter Angestellten zu einer regelrechten Kultur der Angst um den Verlust des eigenen Arbeitsplatzes führt. Auch diese Konflikte rund um Arbeits- und Produktionsbedingungen verkörpern die politische Dimension von Videospielen.

Gaming-Communitys sind politische Orte

Auch die Spielenden selbst geben der Gaming-Kultur einen politischen Kontext. Einige Gamer:innen postulieren, dass Themen wie Diversität und Repräsentation marginalisierter Gruppen doch in Videospielen nichts zu suchen hätten. Sie verkennen damit, dass sie selbst eine politische Position verfolgen. Andere sind für eine inklusive Haltung. Politische Reizthemen wie Black Lives Matter, toxische Unternehmenskultur in der Gaming-Industrie oder der Gaza-Konflikt werden auch in den heterogenen Gaming-Communitys diskutiert. So positionierten sich viele Spieler:innen und selbst große Publisher wie Nintendo 12 oder Square Enix13 solidarisch mit den Protestbewegungen rund um Black Lives Matter. Große Influencer:innen organisierten Spendenstreams für Toleranz, und auf Plattformen wie Steam, Twitch und Reddit wurde über strukturellen Rassismus und Polizeigewalt gegen nicht-weiße Menschen diskutiert. Wie in anderen Sozialen Netzwerken gab es auch hier nicht nur Beileidsbekundungen für den Tod von George Floyd und rassismuskritische Kommentare, sondern ebenfalls solche, die Diskriminierung reproduzierten und zu legitimieren versuchten. Vor allem in den zaghaft moderierten Steam-Foren dominierten zeitweise rassistische Formulierungen, Bagatellisierung rechter Gewalt und Diffamierungen gegenüber Floyd.

Politische Dimensionen anzuerkennen ist Teil notwendiger Medienkompetenz

Für Pädagog:innen und Fachkräfte aus der Bildungs- und Sozialarbeit ist es von zentraler Bedeutung, die politische Komponente von Videospielen und ihrer Nutzung durch Spielende nicht auszublenden. Denn diese bietet Chancen und konkrete Ansätze für die politische Bildungsarbeit. Das Mitdenken der politischen Elemente ist aber auch notwendig, um die Relevanz des Kulturguts Games zu erfassen. Damit können wenig differenzierte und verallgemeinernde Beschuldigungen gegen „die Gamer“ abgewehrt und positive Tendenzen in der Gaming-Kultur gestärkt werden. Die Mär vom unpolitischen Spiel wird auch heute noch von Spieleentwickler:innen, vor allem von eher rechtsaffinen Gamer:innen erzählt. Diese zu widerlegen und damit sogenannten GamerGatern und anderen toxischen Spielenden den Wind aus den Segeln zu nehmen, ist Aufgabe einer demokratischen und medienkompetenten Zivilgesellschaft.

Dieser Text ist ein Auszug aus der Broschüre:

Amadeu Antonio Stiftung / Good Gaming – Well Played Democracy:
„Unverpixelter Hass. Toxische und rechtsextreme Gaming-Communities.“
Berlin 2022
90 Seiten

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