Dieser Auszug stammt aus dem Original-Bericht des Projektes „Get The Trolls Out“.
Kurze Zusammenfassung
Die Bewegung der Impfgegner:innen in Ungarn ist sehr aktiv, und ihre freimütigsten Vertreter:innen sind rechtsextreme Politiker:innen (Mi Hazánk-Partei) und einflussreiche Persönlichkeiten aus dem Gesundheitswesen (Gábor Lenkei, György Gődény). Die Bewegung hat jedoch keinen Einfluss auf die breite Masse, und selbst ein erheblicher Teil der Ungeimpften in Ungarn beteiligt sich nicht an ihren Aktivitäten. Während zu Beginn der Pandemie Verschwörungsideologien, die Juden:Jüdinnen für COVID-19 verantwortlich machen, im Internet weit verbreitet waren, ist Antisemitismus in den Inhalten, die von Impfgegner:innen verbreitet werden, derzeit im Allgemeinen nicht zu finden. Wenn antisemitische Kommentare geteilt werden, bleiben sie isoliert und bestimmen nicht das Gespräch. Einige gewöhnliche Nutzer:innen könnten ihren Hass gegen George Soros zum Ausdruck bringen, was eine gängige antisemitische Chiffre ist, während andere den Holocaust verharmlosen, indem sie sich mit den Juden:Jüdinnen im Dritten Reich vergleichen. Allerdings wird der antisemitische Diskurs, der als Unterthema nur am Rande vorkommt, nicht durch Ideologien von Impfgegner:innen insgesamt angeheizt und genährt. Der Widerstand gegen Impfstoffe und COVID-19- Maßnahmen konzentriert sich hauptsächlich auf das Gesundheitsrisiko, das von den Impfungen ausgeht, und auf die repressive Polizeiarbeit der Regierung, die die Freiheiten einschränkt.
Impfgegner:innen und Verschwörungsideologien
Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Berichts sind etwa 66 Prozent der ungarischen Bevölkerung vollständig geimpft. Im Juli 2021 wurde die Impfung nur für Beschäftigte im Gesundheitswesen verpflichtend. Ende Oktober kündigte die Regierung jedoch an, dass sie auch die Mitarbeiter:innen staatlicher Einrichtungen zur Impfung verpflichten wird. Auch private Arbeitgeber:innen dürfen diese Regelung durchsetzen. Im Laufe des Sommers wurden fast alle Sperrmaßnahmen aufgehoben, einschließlich der Anforderung von Immunitätsbescheinigungen (ausgestellt für Personen, die geimpft oder von COVID-19 genesen sind), um Freizeiteinrichtungen zu betreten. Eine im Juni 2021 von YouGov durchgeführte europaweite Umfrage ergab, dass die Ungarn mit 42 Prozent am ehesten der Meinung sind, dass Lockdowns „mehr schaden als nützen“ – doppelt so viele wie diejenigen, die glauben, dass sie „mehr nützen als schaden“. Anfang 2021, als die COVID-19-Lockdown-Maßnahmen auf dem Höhepunkt waren, demonstrierten Hunderte von Menschen in Budapest gegen die Beschränkungen und trotzten dem damaligen Verbot öffentlicher Versammlungen.
Nachdem Ungarn jedoch die Maßnahmen gelockert hat und zu einem der am wenigsten strengen Länder in Europa geworden ist, haben die Straßenproteste aufgehört, und der Widerstand gegen Impfstoffe wird nun hauptsächlich online geäußert. Dennoch ist die Impfgegner:innen-Bewegung in Ungarn sehr aktiv und hat im letzten Jahr an Boden gewonnen. Laut einer Studie des Instituts „Political Capital“, die vom Beacon Project des „International Republican Institute“ unterstützt wird, wurden die gängigen Ideologien von Impfgegner:innen von der extremen Rechten und den Kremlnahen Medien ergänzt und radikalisiert.
Die Hauptakteure der Impfgegner:innen lassen sich in zwei Gruppen einteilen: Influencer:innen im Gesundheitswesen und rechtsextreme Politiker:innen. Die erste Gruppe besteht hauptsächlich aus Personen, die bereits vor der Pandemie im Gesundheitswesen und in der Wirtschaft tätig waren. Darunter der Apotheker György Gődény und der VitaminShop-Unternehmer Gábor Lenkei, die in der Impfgegner:innen-Vereinigung Orvosok a Tisztánlátásért (Ärzte für Klarheit) aktiv sind, an deren Konferenz im August 2021 in Budapest der deutsche Impfgegner-Mikrobiologe Sucharit Bhakdi als Redner teilnahm. Weitere Influencer sind der Life-Coach Dezső Repei und Imre Postas, ein ehemaliger Psychologe, der kürzlich wegen der Vorbereitung von Terroranschlägen verhaftet wurde. Die andere Gruppe, die politischen Akteure, umfasst Mitglieder der rechtsextremen Partei Mi Hazánk Mozgalom (Unsere Heimatbewegung), die sich offen gegen die Impfpflicht ausspricht. Mi Hazánk hat Straßendemonstrationen organisiert, und einige ihrer bekannten Mitglieder verbreiten in den sozialen Medien fleißig Fehlinformationen gegen den Impfstoff. Darunter die Abgeordnete Dóra Dúró und der Parteivorsitzende Laszlo Toroczkai.
Zu den Verschwörungsideologien im Zusammenhang mit den COVID-19-Impfstoffen gehören Behauptungen, dass Impfstoffe überhaupt nicht wirksam sind, Krankheiten verursachen oder neue COVID-19-Varianten hervorbringen, bis hin zu extremeren Unwahrheiten wie der Vorstellung, dass Impfstoffe das genetische System des Menschen verändern, einen Mikrochip implantieren oder zu mehr Todesfällen geführt haben als COVID-19 selbst. Weniger gesundheitsbezogene Ideologien von Impfgegner:innen konzentrieren sich darauf, wie Entscheidungsträger:innen und große Unternehmen auf nationaler und internationaler Ebene die Gefahren von COVID-19 übertreiben, um Macht, Einfluss und Profit zu gewinnen. Die vorherrschenden Argumente in den Kreisen der Impfgegner:innen sind die Bedenken, dass die Impfung eine Verletzung der Entscheidungsfreiheit darstellt. Viele machen die Regierung für das repressive und autoritäre Vorgehen gegen die Ungeimpften verantwortlich, die sich trotz ihrer gesundheitlichen Bedenken gezwungen sehen, sich impfen zu lassen.
Antisemitismus
Zu Beginn der Pandemie wurden in einigen Kreisen jüdische Menschen fälschlicherweise beschuldigt, das Virus in einem Labor erschaffen zu haben, eine Falschmeldung über die Existenz von COVID-19 zu fabrizieren und COVID-19 zu verbreiten, alles mit dem Ziel, Macht und Profit zu erlangen. Allerdings ist Antisemitismus in den von Impfgegner:innen im Internet verbreiteten Narrativen derzeit im Allgemeinen nicht zu finden. Wenn antisemitische Kommentare geteilt werden, bleiben sie isoliert und bestimmen nicht das Gespräch. Im Allgemeinen handelt es sich um Codes – verschlüsselte Sprache, die nicht offen Juden:Jüdinnen angreift – rund um den in Ungarn geborenen US-Philanthropen und Finanzier George Soros, der als Symbol der globalen jüdischen Macht gilt.
In anderen Fällen vergleichen einige Impfgegner:innen sich selbst und die Maßnahmen im Zusammenhang mit den Impfstoffen mit der Verfolgung der Juden:Jüdinnen in Nazi-Deutschland. In der Facebook-Gruppe „Stoppt die COVID-19- Impfpflicht“ (die inzwischen von der Plattform entfernt wurde) sagte ein Kommentar beispielsweise: „Sie erschießen uns. Es ist mit Sicherheit ein Völkermord. Die Macht im Hintergrund sollte uns in Ruhe lassen. Denn der Zorn des Volkes wird sie bald erreichen.“ Ein anderer Kommentar zeigt Folgendes: „Er ist nicht Teil der ungarischen Nation, sondern des jüdischen Landes. Er arbeitet jetzt auch für die Regierung, und dies ist Teil ihres Plans.“ Die etablierten rechtsextremen Politiker:innen, die in der Vergangenheit immer wieder antisemitische Ansichten geäußert haben, haben in ihrer Opposition gegen das Impfprogramm keine antisemitischen Narrativen verbreitet.
Social-Media-Plattformen
Facebook ist die mit Abstand am weitesten verbreitete Social-Media-Plattform in Ungarn. 85 Prozent der Bevölkerung nutzen sie mindestens einmal pro Woche, während Twitter überhaupt nicht beliebt ist. Auf Facebook werden Inhalte von Impfgegner:innen vor allem in privaten und öffentlichen Gruppen geteilt, wobei einige tausend Mitglieder ihre Ablehnung der Impfung zum Ausdruck bringen und einschlägige Inhalte teilen. Einige dieser Gruppen sind „Oltásáldozatok“ („Impfopfer“), „Oltáskritikus Életvédők Szövetsége“ („Lebensschutzverband der Impfkritiker“) und „Oltás után elhunytak és károsultak“ („Sie starben und waren nach der Impfung verletzt“). 2020 ging Facebook gegen Nutzer:innen, Gruppen und Seiten vor, die wiederholt COVID-19-Fehlinformationen verbreiteten. Unter anderem wurden die Seite des Vitamin-Shop-Unternehmers Gábor Lenkei und die Gruppe von György Gődény entfernt, weil sie Fehlinformationen über COVID-19 und Impfstoffe verbreiteten.