Endlich! Der Neonazi Sven Liebich muss laut Urteil des Amtsgerichts Halle für ein Jahr und sechs Monate ins Gefängnis, ohne Bewährung. Am Donnerstag, dem, 13. Juli, fiel der Beschluss: Der überregional bekannte Hass-Provokateur wurde vom Gericht der Volksverhetzung und üblen Nachrede für schuldig befunden.
In der Vergangenheit liefen schon Hunderte Ermittlungsverfahren gegen ihn, die meisten wurden eingestellt. Das Bündnis „Halle gegen Rechts“ hatte die Staatsanwaltschaft deswegen in der Vergangenheit immer wieder scharf kritisiert. In vorangegangenen Prozessen hatten die Gerichte ihn lediglich zu Geld- oder Bewährungsstrafen verurteilt. Liebich galt daher bei vielen Beobachter*innen als Justizwunder. Den Gerichten werfen sie Versagen vor. Warum es bisher so selten juristische Konsequenzen gegen Liebich gab, dieser Frage geht die sechsteilige Podcast-Reihe des MDR „Extrem rechts – der Hass-Händler und der Staat“ nach.
Im Herbst 2022 war Liebich erstmals zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. Das Landgericht Halle sprach ihn unter anderem wegen Verleumdung schuldig, weil er die Grünen-Politikerin Renate Künast auf Facebook bewusst falsch zitiert.
Der 1970 geborene, war in den 1990er Jahren eine zentrale Figur in der Region von „Blood and Honour“ (B&H), einem international agierenden militanten Neonazi-Netzwerks, das bis heute in Deutschland trotz Verbot aktiv ist. Zwar gibt Liebich an, kurz nach dem Verbot aus der rechten Szene ausgestiegen zu sein, doch seine extrem rechten Umtriebe dauern bis heute an. Durch seine Aktivitäten schaffte es Liebich, in den Verfassungsschutzberichten von Sachsen-Anhalt erwähnt zu werden. 2002 schreibt der Verfassungsschutz zu Liebich, seine Gruppe sei „[…] eindeutig neonazistisch ausgerichtet. Im Gegensatz zu den bisherigen in Halle etablierten Gruppierungen […] schart Liebich einen Personenkreis um sich, der nicht in feste Strukturen eingebunden ist.“ Und im Folgejahr heißt es im Verfassungsschutzbericht: „Liebich verfolgt seit Jahren vorrangig drei Ziele: die Organisierung der Rechtsextremisten im Raum Halle unter seiner Führung, eine Renaissance der „Anti-Antifa“-Arbeit innerhalb der rechtsextremistischen Szene, den Ausbau seiner Händlertätigkeit mit szenetypischen Produkten wie einschlägigen CDs, Publikationen und Kleidung.“
Liebich betrieb den Hetz-Blog „Halle-Leaks“ und den Online-Versand „Politaufkleber“, auf dem er extrem rassistische und antisemitische Motive verkauft, wie beispielsweise gelbe Judensterne mit den Aufschriften „Diesel-Fahrer“ oder „Ungeimpft“. Betrieben wird „Politaufkleber“ von der 2011 gründeten die Firma „l & h-shirtzshop GmbH“. Hier werden Abi-, Party- und Sauf-Shirts neben sexistischen und „unbequemen“ Motiven wie „Lügenpresse“- „keine Meinungsfreiheit“- „Reinblüter“- „Make Germany Stolz Again“- „Rechtsstaat-Leugner“- und „1871 Deutscher Reichsgrillmeister“-Aufdrucken vertrieben. Bis 2020 war Sven Liebich selber Geschäftsführer, bis 2022 seine Schwester Sandra, dann wieder für kurze Zeit er und ab April 2023 seine andere Schwester Anja.
Im Urteil gegen Renate Künast entschied das Gericht damals, dass Liebich 10.000 Euro Entschädigung zahlen musste. 2017 erhält Liebich einen Strafbefehl wegen Steuerhinterziehung. Er soll 17.500 Euro zahlen. Vor Gericht behauptete Liebich jedoch stets, er verdiene nur ein paar hundert Euro im Monat. „Manches deutet jedoch darauf hin, dass die Firma ihn über sein Gehalt hinaus finanziell unterstützt“, heißt es dazu im Podcast.
Das Urteil
Liebich, Dauergast vor diversen Gerichten, nutzt diese Auftritte gerne zur Inszenierung. 2020 trug Liebich etwa vor Gericht ein blau-weiß gestreiftes Hemd mit rotem Winkel – dies war die Häftlingskleidung in den Konzentrationslagern im Dritten Reich, wobei Rot für politische Gefangene stand. Er hält oft lange Monologe. Doch dieses Mal sei er höflich und angemessen aufgetreten, so die Richterin laut MDR. Er hätte zwar gute Chancen auf eine Bewährungsstrafe gehabt, sich jedoch nicht von seinem Verhalten distanziert.
Die jetzige Strafe setzt sich laut Urteilsbegründung wie folgt zusammen: Für den Verkauf von Baseballschlägern mit der Aufschrift „Abschiebehelfer“ über seinen Online-Shop wird Liebich wegen Volksverhetzung verurteilt. Ebenfalls als Volksverhetzung wertete das Gericht Liebichs verbale Angriffe auf die Gruppe „Omas gegen Rechts“.
In elf Fällen wurde Liebich zudem wegen übler Nachrede verurteilt. Von den Vorwürfen des Hausfriedensbruchs und des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr wurde er freigesprochen. Aus den einzelnen Fällen hat das Gericht eine Gesamtstrafe gebildet, in die auch eine frühere Verurteilung Liebichs mit eingeflossen ist.
Das Bündnis „Halle gegen Rechts“ begrüßt nun das Urteil. Es sei ein „Erfolg in der juristischen Auseinandersetzung mit dem Neonazi“. Außerdem sei es „ein Signal an die extreme Rechte, dass Hetze auch zu Haft führen kann“, sagte Sprecher Valentin Hacken. „Das Urteil heute können auch die Anhänger*innen des Neonazis als Signal verstehen, dass die Straflosigkeit, auf die sie sich bisher verlassen haben, ein Ende findet“, so Hacken, der als Nebenkläger auftrat. „Die juristische Auseinandersetzung mit Neonazis ist wichtig und das heutige Urteil ist ein Erfolg. Doch die juristische Auseinandersetzung kann die politische nicht ersetzen. Beides muss weitergehen, bei beidem ist auch im Fall Liebich noch viel zu tun.“
Berufung möglich
Sollte das Urteil rechtskräftig werden, muss Liebich ins Gefängnis. Ihm wäre vorerst Einhalt geboten. Wahrscheinlicher ist aber, dass er zunächst Rechtsmittel einlegt. Auch die Staatsanwaltschaft muss nun eine Berufung prüfen. Sie hatte zwei statt anderthalb Jahre Freiheitsstrafe gefordert. Spätestens seit der Podcast-Reihe zum juristischen Umgang mit Liebich steht die Staatsanwaltschaft Halle unter besonderer Beobachtung.
Hoffen wir, dass das Urteil Bestand hat und Liebich nun für einige Zeit hinter Gitter muss.