Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat den rechtsextremistischen Verein „Hammerskins Deutschland“ sowie seine regionalen Ableger und die Teilorganisation „Crew 38“ verboten. Die 38 in dem Namen steht für den dritten und den achten Buchstaben im Alphabet – C und H, für „Crossed Hammers“. Die Verbotsverfügung ist auf den 1. September 2023 datiert, bekannt wurde die Maßnahme am 19. September, dem gleichen Tag, an dem auch die Hausdurchsuchungen stattfanden.
Bei den Vorbereitungen für das Verbot hätten Bund und Länder nach Angaben des Ministeriums über ein Jahr lang zusammengearbeitet. Auch mit US-Partnerbehörden sei kooperiert worden. Die Behörden gehen bundesweit von etwa 120 Anhängern, darunter rund 90 Vollmitgliedern aus, die in 13 „Chaptern“ organisiert sein sollen. Einige Anhänger sind wegen Gewaltdelikten und illegalem Waffenbesitz vorbestraft.
Razzien in zehn Bundesländern
Wie das Ministerium am Dienstag mitteilte, durchsuchten Einsatzkräfte der Polizei am frühen Morgen Wohnungen von 28 mutmaßlichen Mitgliedern des Vereins in zehn Bundesländern: Bayern, Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Thüringen und dem Saarland.
Razzien in zwei Wohnungen in Berlin trafen offenbar die Hammerskins Oliver Sch. und Martin K. Im brandenburgischen Havelland wurde offenbar die Wohnung von Stephan H. durchsucht. Er zählt zur rechten Fanszene des Berliner Fußballclubs Dynamo (BFC Dynamo), der auch zahlreiche Mitglieder der „Hammerskins Berlin“ angehören. Zudem wurden zwei Objekte in Ostprignitz Ruppin und eines in Barnim durchsucht. In Nordrhein-Westfalen durchsuchen Beamt*innen Objekte in Düsseldorf, Bochum, Goch und Wetter an der Ruhr.
In Thüringen sind die Ermittler*innen offenbar in Altenburg und in Heukewalde im Altenburger Land im Einsatz. Betroffen sind hier offenbar Thomas Gerlach und Steffen A. Gemeinsam mit dem später verurteilten NSU-Helfer Wohlleben war Gerlach Mitveranstalter rechter Großkonzerte, wie dem ‚Fest der Völker‘ oder dem ‚Tag der Nationalen Jugend‘ in Thüringen. Zudem war er Zeuge im NSU-Prozess.
In Mecklenburg-Vorpommern wurden am Dienstagmorgen Objekte in Wismar, Anklam, Zempin, Usedom und Jamel durchsucht. Im 40-Einwohner-Dorf Jamel traf es das Grundstück des Hammerskin-Kaders Sven Krüger, der dort samt Familie und Kameraden lebt. Krüger hat eine dicke Polizeiakte. Behörden schätzen ihn als „Führungsperson der Hammerskins in Mecklenburg-Vorpommern“ ein. Ein Mal im Jahr findet im Ort das emanzipatorische Festival „Jamel rockt den Förster“ statt, um der rechtsextremen Hegemonie etwas entgegenzusetzen. Laut dem NDR schien Krüger am Dienstagmorgen nicht überrascht von der Razzia auf seinem Anwesen.
Rechtsextremer Lifestyle: „Kampf der Nibelungen” und Neonazi-Musik
Als Deutschlandchef und Europasekretär der Hammerskins gilt der umtriebige Rechstrock-Unternehmer Malte Redeker. Er scheint zudem Initiator des neofaschistischen Kampfsport-Events „Kampf der Nibelungen“ zu sein, das 2013 gegründet wurde und dessen Austragung 2019 verboten wurde. Die Szenegröße Redeker betreibt zudem das Musiklabel „Gjallarhorn Klangschmiede/ Frontmusik“. Um das Jahr 2015 hatte Redeker zudem laut eigener Aussage Geschäftsführertätigkeiten beim Label „Front Records” übernommen. Auch die Ludwigshafener Führungsfigur Redeker ist von den Razzien betroffen. Nach SWR-Informationen wurde seine Wohnung in Schifferstadt in der Pfalz durchsucht. In Rheinland-Pfalz waren noch zwei weitere Objekte betroffen.
„Kein konsequent durchgeführtes Verbot”
Katharina König-Preuss, Landtagsabgeordnete der Linken in Thüringen, befindet gegenüber Belltower.News: „Das ist kein konsequent durchgeführtes Verbot der Hammerskins in Deutschland“. Denn bei Nils Budig, einer zentralen Figur des Netzwerks, fand keine Razzia statt. Musikwissenschaftler und Rechtsrockexperte Thorsten Hindrichs erklärt gegenüber Belltower.News, dass Budig ein enger Unternehmenspartner von Redeker sei: „Angesichts des Musik-Firmengeflechts der Hammerskins finde ich es ausgesprochen irritierend, dass zwar bei Malte Redeker eine Durchsuchung stattfand, aber nicht bei seinem engsten Geschäftspartner“.
König-Preuss kritisiert: „Wenn man diese Bruderschaft 30 Jahre ungestört agieren lässt, sollte man dann auch konsequent gegen diese Gruppe vorgehen. Behörden hätten die kompletten ‚Vereinsgelder‘ beschlagnahmen müssen. Das haben sie jedoch nicht gemacht, wenn sie keine Hausdurchsuchung bei Budig durchgeführt haben.“
Namentlich erwähnt wird in der amtlichen Bekanntmachung zum Vereinsverbot Robert Kiefer, dessen Eigentum eingezogen und beschlagnahmt wird. Kiefer ist Betreiber der „Hate Bar“ im saarländischen Dillingen. In der „Hate Bar“ fanden in der Vergangenheit oft Rechtsrock-Konzerte statt. Kiefer zeigt sich für das Label „H8Bar Productions“ verantwortlich. Kiefer scheint eine wichtige Figur im Südwesten mit zahlreichen Grundstücken und Immobilien.
Wer sind die Hammerskins?
Die Hammerskins sind eine der ältesten und beständigsten Neonazi-Organisationen in Deutschland. Das seit über 30 Jahren bestehende Netzwerk versteht sich als eine „Bruderschaft“ und „Elite“ der Neonazi-Szene. Ihre straffe Organisation ist Teil einer international eingeschworenen Gemeinschaft, die sich „Hammerskin Nation“ (HSN) nennt und hauptsächlich in Europa, in den USA und Neuseeland aktiv ist. „Hammerskin Nation“ heißt auch das Ziel der Gruppierung und meint eine „rassisch reine“ weltweite Gemeinschaft aus „weißen, nationalen“ Kräften. Ein Blick in die Strukturen der Bruderschaft zeigt enge Verbindungen zum rechtsextremen Netzwerk des NSU, aber auch immer wieder V-Leute. Die selbsternannte Skinhead-Elite der „Hammerskins“ agiert bevorzugt im Verborgenen. Nur selten dringt etwas der Gruppe nach draußen. „Hammerskins“ haben sich dem Stillschweigen verpflichtet. Eine umfassende Recherche von exif lieferte bereits 2021 weitreichende Einblicke in diese verschworenen Gemeinschaft.
Gegründet haben sich die Hammerskins 1988 als „Confederate Hammerskins“ in den USA. 1992 entstand das erste Chapter in Deutschland „Hammerskins Berlin“. Ähnlich wie Motorradclubs, sind auch die Hammerskins untergliedert in sogenannte Chapter, regionale Untergruppen. Sie agieren in einem starren Regelkostüm. So muss beispielsweise jedes (zukünftige) Mitglied mindestens einmal bei den internationalen „Brüdern“ vorstellig werden. Derartige Besuche finden in der Regel im Rahmen des sogenannten „Hammerfest“ statt, welches die internationale Gemeinschaft der „Hammerskin Nation” (HSN) jährlich ausrichtet. Auf diesen Zusammenkünften sind nur Eingeweihte willkommen.
Die schweigende Neonazi-Bruderschaft
„Hammerskins“ nehmen sich als Bruderschaft wahr. Vieles an ihrem Verhalten erinnert an den Habitus von Motorradclubs. Wohl ganz bewusst kopieren sie das Bild einer männerbündischen eng verschworenen, familiären und martialischen Gruppe. Genau wie Motorradclubs begreifen auch sie sich als „Outlaws“, als Gesetzlose, die nur den eigenen hierarchischen Regeln der Bruderschaft verpflichtet sind. Anfang der 1990er Jahre war es Frauen noch gestattet, Mitglieder zu werden. Mit der Etablierung des Dachverbands der Hammerskins 1997 in Europa – der „Hammerskin Nation“ – verschärften sich die Bedingungen. Seither können Frauen nicht mehr vollwertige Mitglieder werden. Personen, die der Bruderschaft als Familienangehörige nahestehen, genießen allerdings Vorteile innerhalb der Szene. Frauen der „Hammerskins“ haben innerhalb der Szene den Rang einer „old Lady“, eine Bezeichnung aus dem Biker-Milieu, wonach der Partnerin Respekt gezollt werden muss.
„Hammerskins“ und Musik
Eines der wichtigsten Aktionsräume der Hammerskins ist der Rechtsrock. Hier fließt Geld, auf Konzerten durch Ticketverkäufe und Merchandise. Hammerskins produzieren ihre eigene Musik und haben eigene Labels. Es gibt zahlreiche Bands auch in Deutschland, die der Bruderschaft zugerechnet werden oder ihr nah stehen.
Das Konglomerat der Labels „Front Records“, „GKS/Frontmusik“ und „Wewelsburg Records“ gehört zum Netzwerk der „Hammerskins“. Sie zählen neben „PC-Records“ aus Chemnitz und „OPOS Records“ aus Südbrandenburg, zu den wichtigsten Produzenten und Händlern neonazistischer Musik in Deutschland.
Einige Bands aus dem Netzwerk der Hammerskins haben in der Szene eine große Bedeutung. So zum Beispiel „D.S.T.“, „Flak“, „Division Germania“ oder der Liedermacher Mirko Szydlowski, der unter dem Namen „Barny“ auftritt. Der Kopf der Band „Division Germania“, Andreas Koroschetz, spielt seit einigen Jahren bei den Bands „Gigi und die braunen Stadtmusikanten“ und „Stahlgewitter“.
„Gigi und die braunen Stadtmusikanten“ veröffentlichten bereits 2010 den Song „Döner Killer“ auf dem Album „Adolf Hitler lebt!“. In diesem Lied wird eine brutale Mordserie auf widerwärtige Art und Weise begeistert gefeiert. Viele Hinweise deuten darauf hin, dass es sich dabei um eine Anspielung auf die NSU-Morde handelt – weit vor dem Auffliegen des Terror-Trios im November 2011. Und es gibt weitere Verbindungen der Hammerskins zum NSU.
Verbindungen zum NSU
Hammerskins tauchten immer wieder im Umfeld des NSU auf. Vor allem Personen aus dem Chapter Sachsen stehen bereits seit den 1990er Jahren mit den verurteilten NSU-Unterstützern André Eminger und Ralf Wohlleben in Verbindung. Einige unterstützten das Kern-Trio aus Uwe Böhnhard, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe während ihrer Zeit im Untergrund. Thomas Gerlach, ebenfalls von den Razzien betroffen, soll sogar laut Meldung eines V-Manns eine Liebschaft mit Zschäpe gehabt haben (er selbst bestreitet dies).
Hammerskins waren außerdem maßgeblich in die finanzielle Unterstützung des NSU-Helfers Ralf Wohlleben verstrickt. Einige waren ihm auch privat verbunden. Während des NSU-Prozesses in München mussten gar einige Hammerskins aussagen, ihre Verbindung zu der „Bruderschaft” wurde dabei jedoch nicht thematisiert.
V-Männer
Expert*innen sahen das Netzwerk durchsetzt von V-Männern. Schätzungen nach waren es um die 15 Personen. Sollten diese Zahlen korrekt sein, würde das bedeuten, dass zehn Prozent der Mitglieder vom Verfassungsschutz bezahlt wurden. Das Recherchekollektiv exif vermutete 2021, dass einige dieser Spitzel in Absprache mit ihrer Gruppe handeln und den Geheimdiensten gefilterte Informationen verkaufen. Im Gegenzug würden sie dafür Schutz vor Repression und einem generellen Verbot der Gruppe erhalten.
Offenbar hat sich in den letzten Jahren die Einschätzung der Sicherheitsbehörden gegenüber der Neonazi-Skinheads geändert. Denn ursprünglich soll im September 2000 geplant gewesen sein, die „Hammerskins“ gemeinsam mit dem Netzwerk „Blood and Honour“ zu verbieten. Der Inlandsgeheimdienst schlug den Vorschlag damals noch aus, er kam zu dem Schluss, dass es „keinen ‚Gesamtverein‘ der Hammerskins in Deutschland gibt“ und somit ein bundesweites Verbot nicht möglich sei. Diese Einschätzung hat sich 2023 offenbar – auch unter neuer Leitung der Behörde – geändert.