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Hanau Der nie endende Schrecken

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Demonstration am 29. Dezember 2020 in Hanau unter dem Motto "Wir warten nicht auf einen neuen rassistischen Anschlag" (Quelle: Standbild Youtube Initiative 19. Februar Hanau)

Es ist der 29. Dezember 2020. In der Nähe des Wohnortes des Vaters des Hanau-Attentäters haben Hinterbliebene eine Demonstration unter dem Motto organisiert: „Wir warten nicht auf einen neuen rassistischen Anschlag!“. Der Vater bezeichnete die Angehörigen der Opfer als „Wilde Fremde“ und wurde deshalb im September 2022 vom Landgericht Hanaus zu einer Geldstrafe von 4800 Euro verurteilt. Selbst während des Prozesses kann er seinen Hass nicht zügeln. Mehrfach nennt er die Anschrift der Angehörigen.

Einen Monat später, im Oktober 2022, steht Serpil Temiz Unvar in ihrer Küche und blickt aus dem Fenster. Vor ihrem Haus steht ein Mann mit Schäferhund, der zuerst auf das Klingelschild schaut und sie dann in der Küche beobachtet. Damals weiß sie noch nicht, dass es sich bei der Person um den Vater des Attentäters handelt, der vor zwei Jahren ihren Sohn Ferhat Unvar getötet hatte. Sie öffnet das Fenster und der Mann beginnt, ihr rassistische Fragen zu stellen. Er möchte wissen, weshalb sie nach Deutschland gekommen sei, als was sie arbeite und wie sie sich dieses Haus leisten könne. Als Serpil Temiz Unvar ihm darauf keine Antwort gibt, droht er, er würde es herausfinden.

Auch an zwei weiteren Tagen steht der Mann mit seinem Schäferhund vor Unvars Haus. Dieses Mal bleibt das Fenster geschlossen. Familie Unvar erwirkt gegen den Vater des Hanau-Attentäters ein Kontakt- und Näherungsverbot.

Wieder einen Monat später, im November 2022, steht der Vater mit seinem Schäferhund am Zaun einer Grundschule und spricht Kinder an. Als ihn eines der Kinder erkennt und beleidigt, wird er wütend. Er bedroht das Kind, sagt, nach Schulschluss würde er wiederkommen und dann würde etwas Böses passieren. Tatsächlich hält sich der Vater dann zum Schulschluss auf einem Platz in der Nähe der Schule auf.

Auch weitere junge Menschen aus dem Hanauer Stadtteil Kesselstadt berichten, dass er sie verfolgt und provoziert habe. Doch der Vater des Hanau-Attentäters sieht sich selbst als Opfer. Er leugnet, dass sein Sohn die Morde begangen hat, und behauptet, diese seien auf eine weltweite Geheimorganisation zurückzuführen. Nach dem Anschlag forderte er die Reaktivierung der Bekenner-Website seines Sohnes und wollte die Tatwaffe ausgehändigt bekommen. Welche Rolle er bei dem Attentat spielte, ist bisher ungeklärt. Doch deutlich ist, dass sein verschwörungsgeprägtes Weltbild dem seines Sohnes erschreckend nahekommt. Geht auch von ihm eine Gefahr aus? Sein Verhalten zeigt zumindest weder Einsicht noch Rücksicht.

Was bedeutet die ständige Bedrohung für Betroffene?

Die Vorfälle versetzen nicht nur Hinterbliebene und Überlebende des Anschlags in Angst. Auch die Nachbarschaft in Kesselstadt fürchtet um ihre Sicherheit. Viele Eltern haben ihre Kinder vorübergehend zu Hause gelassen, aus Angst, dass sie auf dem Schulweg erneut von dem Mann rassistisch bedroht werden könnten. Wirkungsvolle Reaktionen vonseiten der Sicherheitsbehörden lassen noch immer auf sich warten. Die „Initiative 19. Februar“ schreibt dazu auf ihrer Instagram-Seite: „Es kann nicht sein, dass Polizei und Behörden warten, bis dieser Rassist, der in Kesselstadt mit einem Schäferhund unterwegs ist, unmittelbar gewalttätig wird. Der Vater des Attentäters muss Kesselstadt und Hanau verlassen, weil er eine „tickende Zeitbombe“ ist und damit die Betroffenen des Anschlages und die Nachbarschaft zur Ruhe kommen können.“ Auch Said Etris Hashemi, ein Überlebender des Anschlags und Bruder des Anschlagopfers Said Nesar Hashemi, äußert sich dazu auf Twitter: „Der Vater des Täters läuft weiterhin frei rum und kann frei ohne wirkliche Konsequenzen die Menschen in Kesselstadt (Hanau) bedrohen. Es muss erst etwas passieren, damit die Polizei oder die Justiz handeln kann.“

Versagen der Sicherheitsbehörden

Dass das Umfeld der Opfer wenig Vertrauen in die Sicherheitsbehörden hat, überrascht wenig. So waren Polizei und Justiz bereits mehrfach für ihr Verhalten am Anschlagstag und während der Ermittlungen kritisiert worden. Anstatt potenziell rechtsextreme Täter zu überwachen, hatte die Polizei nach dem Anschlag Angehörige der Opfer verdächtigt.

Das Verhalten der Sicherheitsbehörden erinnert stark an den Umgang mit den rassistischen Morden durch den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU), bei welchem ebenfalls das Umfeld der Opfer verdächtigt wurde. Es lässt sich nur hoffen, dass die Behörden die Befürchtungen der Betroffenen bald ernst nehmen, damit Angehörige, Überlebende und die Nachbarschaft in Kesselstadt zur Ruhe kommen können.

 

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