Ferhat Unvar war 23 Jahre alt, als er am Abend des 19. Februars 2020 bei dem rechtsextremen Terroranschlag in Hanau ermordet wurde. In der Schule erlebte Ferhat rassistische Benachteiligungen durch Lehrer:innen, Angehörige berichten heute, dass er sich zeitlebens über Rassismus Gedanken machte und versuchte vorurteilsfreie Chancengleichheit zu schaffen. Kurz vor seinem Tod wollte Ferhat ein Buch schreiben.
Seine Mutter Serpil Unvar gründete vor einem Jahr gemeinsam mit Jugendlichen aus Hanau und Freund:innen ihres Sohnes die Bildungsinitiative Ferhat Unvar. Die Initiative bekämpft Rassismus, bietet eine Anlaufstelle für Menschen die rassistische Erfahrungen gemacht haben, sensibilisiert Schulen und erarbeitet Gegenstrategien. Die Bildungsinitiative wurde am 14. November gegründet, dem Geburtstag von Ferhat und setzt sich als Ziel den Kampf gegen Rassismus in seinem Sinne fortzuführen.
Anlässlich des einjährigen Jubiläums der Bildungsinitiative berichtete Serpil Unvra gemeinsam mit Expert:innen auf einer Pressekonferenz über die Arbeit im vergangene Jahr, stellte Forderungen an die neue Regierung und teilte weitere Vorhaben mit.
Rassismus in den Schulen
Das deutsche Bildungssystem präsentiert sich leistungsorientiert und für alle Kinder, egal welcher Herkunft oder Religion, zugänglich. Studien, wie die „Max versus Murat“ Studie der Universität Mannheim, zeigen jedoch, dass Kinder aus Familien mit Migartionsgeschichte, bei gleicher Leistung schlechtere Bewertungen bekommen.
Die Benachteiligung der jungen Schüler:innen führt zu einer falschen Selbstwahrnehmung und kann lebenslange Folgen nach sich ziehen. Auf der anderen Seite führt Rassismus in den Schulen dazu, dass für Kinder die nicht benachteiligt werden, die Abwertung der Leistungen migrantisch gelesener Schüler:innen rassistische Vorurteile legitimiert und manifestiert.
Serpil Unvar gibt zusammen mit den ehrenamtlich arbeitenden Jugendlichen der Bildungsinitiative in Schulen Empowerment-Workshops und sensibilisiert die Schüler:innen und das Lehrpersonal für Rassismus. Professionelle Unterstützung erfährt die Bildungsinitiative Ferhat Unvar dabei von der Bildungsstätte Anne Frank.
„1945 schrie ein Land ‚mit uns nie wieder!’ Plötzlich gibt`s die AfD, besorgte Bürger und Pegida“
Dieses Zitat stammt aus einem Gedicht von Ferhat Unvar aus dem Jahr 2016. Die jüngsten rechtsextremen Anschläge in Deutschland bildeten immer den Höhepunkt rechtspopulistischer Narrative. Vor dem Mord an Walter Lübcke fachten rechtsalternative Akteure, wie etwa Erika Steinbach, den Hass auf auf den CDU-Politiker an.. Die AfD macht seit Jahren Stimmung gegen Shisha-Bars und kriminalisiert sie als Ort der Clan-Kriminalität, Vergewaltigungen oder anderen Straftaten, berichtet Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, anlässlich des einjährigen Jubiläums der Bildungsinitiative.
Forderung an die neue Bundesregierung
Olaf Scholz hat im Rahmen seines Wahlkampfes ein Wehrhaftes-Demokratie-Gesetz versprochen, dieses Versprechen muss die neue Regierung erfüllen um die Zukunft zivilgesellschaftliche Initiativen zu schützen, sind sich die Teilnehmer:innen der Pressekonferenz einig.
Mendel fordert zudem ein Stiftungsgesetz, welches der Unverhältnismäßigkeit der staatlichen Unterstützungen für parteinahe Stiftungen nachgehen soll. Er prangert an, dass die AfD-nahe Desiderius-Erasmus-Stiftung (DES) ab diesem Jahr staatliche Fördermittel erhält, mit denen rassistische Ideologien verbreitet werden, während Projekte wie die Bildungsinitiative Ferhat Unvar keinerlei staatliche Unterstützung erhalten.
Selmin Çalışkan, Direktorin für Institutionelle Beziehungen bei den Open Society Foundationsund Menschenrechtsaktivistin, fordert darüber hinaus eine Sicherung der Gemeinnützigkeit. In der letzten zeit seien zivilgesellschaftlichen Initiativen die Gemeinnützigkeit entzogen worden, da sie sich klar gegen Rechtsextremismus positioniert hätten und damit in den Augen der verantwortlichen Stellen ein angebliches Neutralitätsgebot verletzt hätten..
Die Bildungsinitiative Ferhat Unvar ist auf die Unterstützung der Zivilgesellschaft angewiesen. Ohne Spenden von Privatpersonen oder Initiativen wie „Seebrücke“, kann die Miete nicht gezahlt und Material für die Workshops nicht finanziert werden. Von Seiten der Politik erfährt Serpil Unvar keine Unterstützung sondern „nur warme Worte“. Wer Serpil Unvar zuhört weiß, sie arbeitet um die Gesellschaft nachhaltig zu verändern. Sie wird, zusammen mit den anderen Akteure:innen der Initiative, für Ferhat bis zum Ende weiterkämpfen, denn „keine weitere Mutter soll ihr Kind aufgrund rassistischer Ressentiments verlieren“.