Belltower.News: 1989 wurde „der rechte rand“ gegründet, was war der Grund?
Mark: Bei den Europawahlen 1989 erreichten die Republikaner über sieben Prozent, in Berlin hatten sie ein ähnlich hohes Ergebnis – das war die Hauptmotivation der Gründung. Zunächst war es ein niedersächsisches Projekt, das relativ schnell norddeutsch wurde und dann noch eine Weile gebraucht hat, um gesamtdeutsch zu werden. Antifaschistische Recherchestrukturen gab es schon vorher, das lässt sich zum Beispiel an unserem Fotoarchiv ablesen, dass ab ‘84 anfängt. Gruppen wie HIAG (Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Angehörigen der ehemaligen Waffen-SS), um die es damals ging, spielen heute in der Regel keine Rolle mehr. Und natürlich gab es damals noch Alt-Nazis, Neonazis und auch schon Rechtsterrorismus, aber dass eine rechtsradikale Partei es in die Parlamente geschafft hat, war ein neues Signal.
Was unterscheidet eure Art, über den „rechten Rand“ zu schreiben, von der großer Medien?
Nina: Wir besuchen keine Nazis Zuhause und trinken auch keinen Rum mit ihnen. Aber ernsthaft: Unser Motto ist „ein Magazin von Antifaschist*innen für Antifaschist*innen“. Wir arbeiten aus einer dezidiert antifaschistischen Perspektive. Für uns schreiben Historiker*innen oder andere Wissenschaftler*innen, Journalist*innen, Leute aus Gewerkschaften – also Menschen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen, aber alle teilen eine bestimmte Haltung. Dazu haben wir andere Strukturen. Wir sind mit vielen Leuten in der Recherche vernetzt, die uns Informationen aus verschiedenen Bereichen zutragen.
Was ist das Problem an Homestorys bei Rechtsextremen?
Nina: Man bietet den Leuten eine Plattform. Die Ideologie wird dabei oft vergessen, weil es um starke Bilder geht. Wir wollen keine Bilder, sondern auf einer analytischen Ebene Argumente für die notwenige Auseinandersetzung liefern. Wenn Journalist*innen Neonazis wie andere Politiker aus nicht rechten Parteien besuchen, hat das eine Wirkung – die wir aktuell auch sehen können: Sie und ihre Argumente werden dann als Teil des normalen politischen Diskurses angesehen. Dass sich der Resonanzraum für dieses Denken in den letzten Jahren so vergrößert hat, liegt nicht nur, aber auch daran. Mich persönlich stört es, wenn versucht wird ‚den Menschen’ zu zeigen und Zeile für Zeile dessen menschenverachtende Meinung kaum noch aufgezeigt wird.
Mark: Wir versuchen aus der Vergangenheit zu lernen. In den 1990er Jahren hat der damalige Republikaner-Vorsitzende Schönhuber im Fernsehen allen gezeigt, dass er und seine Ideologie bei solchen Auseinandersetzungen immer gewinnen. Es geht bei Rechtsradikalen und beim sogenannten Rechtspopulismus nicht um Fakten, sondern um Ressentiments und Vorurteile und vor allem um Normalisierung. Nazis und menschenfeindliche Meinungen sollen ganz normal diskutierbar werden. Man kann mit Höcke durch den Wald spazieren oder mit Frohnmaier Rum trinken, aber dann lässt man sie gewinnen. Andreas Speit hat dazu bei uns schon vor zwei Jahren einen Text geschrieben, dem auch heute nichts hinzuzufügen ist. Und er war als Journalist auch in Schnellroda, aber er hat Kubitscheks Selbstdarstellung als angeblicher Intellektueller gebrochen.
Wo liegt der Unterschied zwischen dem „Rechten Rand“ und andere Medien?
Mark: Die Journalist*innen, die für uns schreiben, ordnen sich klar ein: Das sind Antifaschist*innen. Mittlerweile schreiben sehr viele Leute über Neonazis oder Faschisten, die das nicht sind. Und vielleicht wissen die einfach nicht, wie mit solchen Leuten umzugehen ist.
Nina: Man kann sehr gut über Nazis schreiben und ihre Argumentationen zeigen, aber man muss diese nicht reproduzieren. Davon abgesehen, arbeiten wir einfach unter anderen Bedingungen, wir finanzieren uns über Abos und sind nicht von Geldgeber*innen abhängig, das heißt auch, dass wir Zeit haben, um zum Beispiel ein Thema zu betrachten, dass nicht in anderen Medien hoch und runter läuft.
Mark: In den Jahren hat sich auch viel verändert. Heute wird in allen Medien über diese Themen gesprochen, auf Spiegel-Online gibt es jeden Tag mindestens einen Artikel über Rechte oder Geflüchtete. Das gab es vor ein paar Jahren nicht. Wir und einige wenige andere waren lange Zeit die einzigen, die darauf hingewiesen haben. Wir haben uns zum Beispiel schon 2014 mit den Identitären beschäftigt. Damals hat sich allerdings noch niemand wirklich dafür interessiert.
Was wünscht ihr euch von anderen Medien, die zu diesen Themen arbeiten?
Mark: Ich würde die Leute anhalten, mal darüber nachzudenken, wie es wäre, wenn sie näher an den Opfern wären. Wie schreibt man dann darüber? Hört doch mal zu, was Muslime über antimuslimischen Rassismus zu sagen haben. Wie schreibt man dann über die Täter*innen? Ich glaube, da würde sich einiges verändern. Ein Nazi bleibt ein Nazi und in der Öffentlichkeit wurde vielleicht vergessen, was das für Leute sind. Es sind die Leute, die andere Leute umbringen.
Nina: Man muss aber klar sagen, dass es auch sehr gute Berichterstattung gibt. In vielen Redaktionen sitzen großartige Leute.
Warum ist eure Art der Berichterstattung auch 2019 noch wichtig?
Nina: Wir haben wieder eine sehr weit rechts stehende Partei im Bundestag. Die Diskursverschiebung nach rechts ist spürbar. Viele Medien oder Politiker*innen lassen sich davon treiben und verlangen „Ängste ernst zu nehmen” und permanent über diese Meinungen zu reden. Zu unseren Aufgaben gehört es auch, diese Mechanismen aufzuzeigen. Also, wie kann man über die Themen reden, die von rechtsaußen gesetzt werden? Und was kann man dem entgegensetzen?
Mark: Wahlerfolge geben einen anderen Zugriff auf Macht. Das ist ein zentraler Punkt und dabei geht es nicht um Prozentpunkte und es ist auch kein wirklicher Grund zur Freude, wenn die AfD womöglich ein einstelliges Ergebnis bei der EU-Wahl einfährt. In Brandenburg gibt es beispielsweise die „Erasmus-Stiftung“, die bereits Geld bekommt. Bundesweit ist das noch nicht der Fall, das wird aber passieren. Das heißt, es werden weitere Leute geschult. Dann gibt es die Mitarbeiter*innen der Fraktion im Bundestag, unter denen ja auch „Identitäre“ sind. Dazu kommen die Burschenschafter, die da auch untergekommen sind. Unser Job ist es, diese Leute zurückzudrängen und dafür zu sorgen, dass ihre Macht nicht noch weiter wächst.
Wenn ihr ins Archiv schaut, was hat sich dann in den letzten 30 Jahren verändert?
Mark: Die Mehrheitsgesellschaft hat einfach lange Zeit nicht wirklich zugehört. Dass es Menschen gibt, die rassistische oder antisemitische Weltbilder haben, wissen wir schon seit langem. Die Mitte-Studien belegt das immer wieder. Darauf reagiert die Gesellschaft aber fast nicht. Es gab einzelne Programme, ein bisschen Geld, aber eigentlich ist wenig passiert.
Nina: Jetzt wird dieses rechte Potential abgerufen und das ist etwas wirklich Neues. Dazu kommt eine relativ schwache linke Bewegung, auch mit Blick auf die Parteienlandschaft.
Mark: Dazu kommen auch noch andere globale Entwicklungen. Natürlich hat es was mit den Fluchtbewegungen zu tun, es hat mir einer immer stärker auseinanderklaffenden Schere von Arm und Reich zu tun, es hat was mit dem Internet zu tun. Gesellschaftliche Antworten gibt es aber kaum. Die Frage betrifft auch die CDU, die sich in den letzten Jahren verändert hat. Die Partei steht vor einer Kernfrage: Zieht sie mit den Rechten mit oder fährt sie einen Kurs der Mitte? Und auch da geht es um Macht. Wir wissen, dass die AfD nur eine Chance hat, sich nachhaltig zu etablieren: Wenn die CDU mit ihr koaliert. Sie könnte zum Steigbügelhalter werden.
Es gibt Anknüpfungspunkte von rechtsaußen in eine angeblich „bürgerliche“ Mitte. Wir haben ein Porträt über Uwe Tellkamp gemacht, eines über Werner Patzelt, daneben gibt es dann diese Buchhändlerin aus Dresden, die nebenbei bei Elllen Kositza bei YouTube sitzt. Diese unterschiedlichen politischen Szenen haben schon mehr als genug Anknüpfungspunkte.
Ihr habt eine Ausgabe zur kommenden EU-Wahl gemacht. Was erwartet uns und was ist euer Fazit?
Nina: Es ist erschreckend! Wir haben 28 Länderporträts im Heft, die einem sehr klar vor Augen führen, dass sich der Rechtsruck manifestiert. Es gibt tatsächlich kein Land, wo ich das Gefühl habe, dass progressive Ideen auf dem Vormarsch sind, sondern vielmehr das Gegenteil. In allen Ländern hat man auch den Zusammenhang zwischen parlamentarischer Stärke von Rechten einerseits und dem Erstarken rechter Bewegungen andererseits. Auf der Ebene der Fraktion im EU-Parlament sehen wir jetzt schon, dass es sie in der Form, wie sie jetzt existieren, nicht mehr geben wird. Es werden sich neue Koalitionen anbahnen und einige Parteien sondieren das bereits. Wenn sich die einzelnen Parteien nicht zerstreiten – was in dem Bereich auch immer im Rahmen des möglichen liegt – kann das ein sehr beängstigendes Potential haben. Es könnte mehrere rechte Fraktionen geben und das wird etwas verändern. Diese Wahlen haben auch wieder mit dem Ausbau von Macht zu tun. In der Ausgabe ist ein Artikel mit dem Titel „Alte und neue Freundinnen“, der erklärt, dass diese Leute alle schon im Parlament sitzen. Die werden bezahlt und haben ihre Büros.
Wie sieht es mit den „klassischen“ rechtsextremen Parteien, wie der NPD aus?
Mark: Die traditionellen extrem rechten Parteien werden verlieren, im Moment haben sie keine Bedeutung. Aber auch hier würden wir nach 30 Jahren Erfahrung sagen: im Moment. Nur weil jetzt die AfD stark ist, heißt das nicht, dass die NPD für immer raus ist. Die AfD ist dabei sich zu spalten und dabei geht es nicht nur um Macht, sondern um Ideologie. Die Frage ist, ob sich der völkische Flügel durchsetzt oder die anderen, die aber auch rechtsradikal sind.
Es ist auch wichtig aufzuschreiben, wenn sie verlieren oder sich lächerlich machen. Zum Beispiel geht es in unserem aktuellen Text zu Bannon darum, dass er zwar sehr viel redet und versucht, in Europa aktiv zu werden, bis jetzt aber noch nichts geschafft hat. Übrigens auch ein gutes Beispiel zur Rezeption. Den Text hat ein Amerikaner geschrieben, der sich in dem Bereich sehr gut auskennt. Wir haben den Artikel veröffentlicht und zwei Wochen später war das Thema auch in den großen Medien.
Gibt es die eine große „Europa-Strategie“, die alle europäischen Rechtspopulist*innen eint?
Nina: Auf europäischer Ebene ist es wahrscheinlich schwierig, eine gemeinsame Strategie zu entwickeln. Es wird bestimmt gemeinsame Themen wie die Migrationsfrage beziehungsweise die Grenzsicherung geben, die sicherlich in irgendeiner Form taktisch bearbeitet werden, aber es gibt keine positive Vision von Europa, die gemeinsam vorangetrieben wird. Es ist ja schwierig, eine gemeinsame Strategie zu entwickeln wenn die Parteien einzelner Länder die EU, wie sie ist, grundsätzlich ablehnen.
Aktuell habt ihr jetzt ein Heft zu den Kommunalwahlen?
Mark: Man kann bei Kommunalwahlen nie so viel vorher sagen, aber man muss immer wiederholen, dass es ein unheimlich wichtiges Thema ist. Es geht darum, dass Nazis mitreden wollen. In Niedersachsen ist zum Beispiel das Thema in den Kommunen immer wieder Hundesteuer, Hundemarken und so weiter. Das war ein wichtiges Thema auch für die rechte Seite. Das wirkt vielleicht albern, wenn man Übergriffe und Bombendrohungen anschaut, aber sie werden trotzdem mitspielen und normalisieren dabei diese Ideologien auf kommunaler Ebene.
Was mögt ihr auch nach 30 Jahren am liebsten am „Rechten Rand“?
Mark: Wir haben uns in den letzten Jahren von einem Rechercheblatt zu einem Medium gewandelt, das wirklich den Namen Magazin verdient. Wir messen uns an drei Punkten: Recherche, Analyse, Perspektive. Nicht jeder Text muss alle drei in sich vereinen, aber diese Punkte sind uns wichtig.
Nina: Wir lesen alle Texte, die erscheinen. Man hat also einen sehr guten Überblick über das Themenfeld. Dazu gehören Nischenthemen über Kleinstgruppen mit wirren Ideen, aber auf die lange Sicht ergeben sich erstaunliche Parallelen. Weit bevor das Thema so aktuell wurde, hatten wir zum Beispiel einen Text „Autos als Waffen“, der die Geschichte von Autoattacken von Nazis erzählt hat.
Mark: Gerade der Text ist ein gutes Beispiel für unsere Arbeit, weil da gleich mehrere Leute aus unterschiedlichen Bereichen zusammengekommen sind. Leute, die recherchieren und Informationen zusammentragen, Leute, die die parlamentarische Landschaft beobachten und gleichzeitig auch noch der Blick auf den Dschihadismus.