Ali Moradi, Geschäftsführer des Sächsischen Flüchtlingsrates, ist seit Tagen in dem Dresdener Zeltlager vor Ort und ist in engem Kontakt mit den Flüchtlingen. Auch heute Morgen war er schon dort und kann berichten, wie die Flüchtlinge die Krawalle der letzten Tage und den permanenten Polizeischutz wahrnehmen. „Wir haben es mit Menschen zu tun, die Krieg und Flucht überstanden haben, nun kommen sie nach Dresden und werden von einem Neonazi-Mob begrüßt. Obwohl die Polizei zu ihrem Schutz vor Ort ist, haben die Menschen Angst. Sie bekommen natürlich mit, dass die Demonstrant_innen vor den Zelten ein Problem mit ihnen haben. Auch die Polizeipräsenz hat anfangs vielen Angst gemacht. Aufgrund von Erfahrungen in ihren Herkunftsländern assoziieren sie Gewalt, Diskriminierung und Unterdrückung mit der Polizei, es braucht also Zeit bis sie darauf vertrauen können, dass die Polizei sie hier beschützt.“
Das Zeltlager wird als alternativlos dargestellt – ist es aber nicht!
Ist ein Zeltlager denn der richtige Ort, um Flüchtlinge unterzubringen? „Nein“ darüber sind sich Ali Moradi und Michael Nattke einig. „Insbesondere in Sachsen nicht“, so Nattke. „Die Unterbringung von Flüchtlingen in Zelten ist angesichts der gewaltbereiten rechtsextremen Szene in Sachsen unsicher. Es ist kein hinnehmbarer Zustand, weswegen das Kulturbüro Sachsen e.V. nun von der Landesdirektion ein konkretes Datum fordert, wann die Zelte wieder abgebaut werden. Zumal es auch andere große leerstehende Gebäude gibt, die als Erstaufnahmeeinrichtung dienen könnten, beispielsweise in der Dresdener Neustadt, die eine sicherere Umgebung für die Flüchtlinge wäre“. Auch Ali Moradi kritisiert die Unterbringung der Flüchtlinge stark: „Sachsen ist ein Flächenland und es gibt sehr viel leerstehenden Wohnraum, trotzdem wird uns das Zeltlager als alternativlos verkauft. Ein Zelt ist jedoch kein geschützter Raum. Generell ist eine zentrale Erstaufnahmeeinrichtung sinnvoll, da anfangs viel Organisationsarbeit und medizinische Versorgung anfällt, doch nach spätestens 2-3 Wochen brauchen Flüchtlinge ihre eigenen vier Wände“.
Wer die Demonstrant_innen sind, die vor dem Zeltlager in Dresden schutzsuchende Menschen eingeschüchtert, randaliert und die Gegendemonstrant_innen angegriffen haben, weiß Michael Nattke: „An der Demonstration am Freitag waren ausschließlich bekannte Neonazis aus dem Kameradschaftsspektrum und dem Umfeld der NPD beteiligt, die schon seit Jahren in Dresden aktiv sind. Als wir Montagmittag vor Ort waren, waren jedoch auch einige Rentner_innen gekommen, die man eher zum Pegida-Umfeld zählen kann. Sie sind extra zur Zeltstadt gefahren, um zu pöbeln und Fotos von der Unterkunft und den Menschen zu machen und hatten teilweise sogar ihre Enkelkinder dabei. Beispielsweise beschuldigten die Rentner_innen die Flüchtlinge, Krankheiten aus ihren Herkunftsländern mitgebracht zu haben, da die Mitarbeiter_innen des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) Mundschutz in den Zelten tragen.“
Sollten rassistische Demonstrationen vor Flüchtlingsunterkünften per Gesetz verboten werden?
Um rassistische Demonstrationen, wie die der NPD, in Zukunft zu verhindern, setzt sich die „Initiative Heime ohne Hass“ für ein Demonstrationsverbot vor Flüchtlingsunterkünften ein. Ali Moradi fände so eine Regelung gut: „Machen wir uns nichts vor, wir leben in Sachsen. Rassismus ist nicht neu, es ist nur neu, dass alle darüber berichten wollen. Die sächsische Problematik wurde immer unter den Teppich gekehrt, bis die NPD 2004 erstmals in den Landtag eingezogen ist, da hat es dann einen Aha-Effekt gegeben. Und ja, um auf Ihre Frage zurückzukommen, so eine Bannmeile, wie sie aktuell auch von der Polizeigewerkschaft gefordert wird, ist in Sachsen wirklich notwendig. Zumal die NPD Flüchtlingsheime instrumentalisiert um Wählerstimmen zu erhaschen und vor allem, weil es zu Gewalt gegen Flüchtlinge kommen kann. Michael Nattke steht einem „Rumdocktern“ an dem Demonstrationsrecht generell skeptisch gegenüber: „Demonstrationen müssen nicht zur Gefahr für Flüchtlinge werden, wenn bestimmte Auflagen festgelegt werden und auch für die Einhaltung dieser gesorgt wird. Das gibt unsere Gesetzeslage her.“
Freital und Meißen sind zum Symbol für einen neuen Rassismus geworden. Nun ist auch die Situation in Dresden eskaliert – auffällig dabei ist, dass besonders in Sachsen die Hetze auf Asylsuchende eine neue Qualität angenommen hat. „Rassismus gibt es überall“, meint Nattke. „Auch in anderen Bundesländern freuen sich die Leute nicht darüber, dass Flüchtlinge in ihrer Stadt untergebracht werden. Aber wenn sie erst einmal da sind, dann wird in der Regel auch angepackt und versucht, das Beste aus der Situation zu machen. Die Anwohner_innen verstehen, dass es um bedürftige Menschen geht und behandeln diese auch wie Menschen. In Sachsen hat sich jedoch ein ungebremster Hass entwickelt. Die Menschen leiden an einem wahnsinnigen Empathieverlust, diese Leute kann man mit Fakten und Argumenten leider nicht mehr zurückholen. Das stellt uns als Zivilgesellschaft vor ganz neue Herausforderungen, Konzepte zu entwickeln, wie man Leute in die Lage versetzt, wieder Empathie zu empfinden. Außerdem hat auch die Qualität der Gewalt neue Dimensionen angenommen. Im Februar wurde in Freiberg in einer Asylunterkunft ein Sprengstoffanschlag verübt und kürzlich wurde in Freital das Auto des Linken-Politikers und Flüchtlingsunterstützers Michael Richter in die Luft gesprengt. Hierbei handelt es sich um rechtsterroristische Anschläge.“
Wieso ist der Hass auf Flüchtlinge in Sachsen besonders groß?
Aber wieso gibt es gerade in Sachsen so viel Hass? Ali Moradi könnte eine sehr präzise Antwort darauf geben, versucht sich aber diplomatisch auszudrücken: „Die CDU hat lange alleine regiert. Um ihre Wähler nicht nach rechts außen zu verlieren, haben Teile der Partei sich einen Populismuswettbewerb mit der NDP geleistet. Insbesondere seit die NPD in den sächsischen Landtag eingezogen ist, wird dieser Populismuswettbewerb in Bezug auf Asyl und Ausländer ausgetragen.“ Diese Art der Stimmungsmache hat den Rassismus also erst salonfähig gemacht.
Michael Nattke sieht auch Pegida als Auslöser dafür, dass rechtsextreme Meinungen und Rassismus in Sachsen salonfähiger geworden sind: „Einstellungsuntersuchungen zeigen zwar schon seit Jahren, dass viele Menschen in Sachsen rassistische Meinungen haben, aber durch Pegida kommen diese Menschen nun aus ihrem Wohnzimmer auf die Straße“. Kann diese rassistische Grundstimmung auch den drastischen Anstieg rechtsextremer Gewalttaten gegen Flüchtlinge erklären? „Selbst für Neonazis und Hooligans ist es immer eine Überwindung eine Gewalttat zu verüben, aber die Schwelle ist natürlich geringer, wenn ein bestimmtes gesellschaftliches Klima, eine bestimmte Dynamik herrscht. Gewalttäter sind diejenigen, die einen Schritt weiter gehen und der Weg ist umso kürzer, je rassistischer die Stimmung ist.“
Sind Pogrome wie in Hoyerswerda und Lichtenhagen in den 90er Jahren auch heute möglich?
Angesichts der Bilder von aufgeheizten und gewaltbereiten Mobs, die sich vor Flüchtlingsunterkünften formieren, drängt sich die Frage auf, ob auch heute ein „Hoyerswerda“ oder ein „Lichtenhagen“ möglich wäre. „Mehrtägige Pogrome, wie in Hoyerswerda und Lichtenhagen in den 90er Jahren sind unwahrscheinlich“, denkt Michael Nattke. „Wenn es zu mobartiger Gewalt kommt, dann wird die Polizei spätestens am zweiten Tag in ausreichender Stärke vor Ort sein. Trotzdem kann man nicht ausschließen, dass es brennen wird – auch in bewohnten Unterkünften – und dass Menschen verletzt werden. Worin sich die Situation heute jedoch drastisch von den 90er Jahren unterscheidet, ist der Einsatz von Menschen die sich gegen die Gewalt stellen. Es gibt in jedem noch so kleinen Ort vernünftige Menschen, die sich für Flüchtlinge stark machen.“
Das findet auch Ali Moradi: „Es gab in Sachsen noch nie so viel Unterstützung für Flüchtlinge wie jetzt, das macht Mut“. Die große Hilfsbereitschaft aus der Bevölkerung findet auch Michael Nattke toll: „Es gibt sehr viele ehrenamtliche Helfer und viele Leute haben Kleidung, Hygieneartikel und Spielzeug für die Flüchtlinge vorbei gebracht und das ist großartig, dabei dürfen wir jedoch nicht vergessen, dass es eigentlich die Aufgabe des Landes Sachsen ist, die Flüchtlinge zu versorgen. Es kann kein Dauerzustand sein, dass die Versorgung der Flüchtlinge auf dem Einsatz ehrenamtlicher Helfer basiert.“
Wie könnte eine lanfgristige Lösung für Rassismus und Rechtsextremismus in Sachsen aussehen?
Was eine langfristige Lösung für die Probleme mit Rechtsextremismus und Rassismus in Sachsen sein kann, ist wohl die brennendste Frage, aber auch die, die am schwierigsten zu beantworten ist. Ali Moradi vom Flüchtlingsrat hält Aufklärungsarbeit in Schulen, Ämtern und Gewerkschaften für einen Ansatz. „Dafür müsste Geld vom Land Sachsen zur Verfügung gestellt werden. Jedoch fördert das Land Sachsen noch nicht mal die Arbeit des Flüchtlingsrates. In allen anderen Bundesländern, außer in Bayern und Sachsen werden die Flüchtlingsräte aus Landesmitteln finanziert.“ Auch Michael Nattke sieht die Arbeit der Zivilgesellschaft als besonders wichtig im Kampf gegen Rechtsextremismus und Rassismus an und kritisiert die sächsische Regierung. Zwar mangelt es dem Kulturbüro Sachsen e.V. in diesem Jahr nicht an finanziellen Mitteln, doch prangert er an, dass die Zivilgesellschaft immer weiter verstaatlicht wird und es ein zu starkes Durchgriffsrecht von staatlicher Seite gibt: „Entweder will man eine kritische Zivilgesellschaft oder kleine Satelliten des Innenministeriums“. „Insgesamt müssen wir unsere Ansätze dahingehend überprüfen, welche Menschen erreicht werden und wie wir unsere Methoden verbessern können, um dem Empathieverlust entgegenzuwirken!“