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Hatespeech Argumente sind kein Allheilmittel (aber ziemlich gut)

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#Gegenredewirkt #abernichtallein #HateSpeech im #Internet beearbeiten wir nur gemeinsam #Nutzer_innen #Zivilgesellschaft #Betreiber_innen #Seitenbetreiber_innen #Justiz #Polizei und sie wirkt #nichtbeiNazis, aber bei #Unentschlossenen, unterstützt #Opfer, deshalb #OnlineCivilCourageInitiative (Quelle: Flickr / Creative Commons / Michael Coghlan)

Von Astrid Herbold

Counterspeech heißt das Konzept, Gegenrede also. Bei Facebook hält man es für ein probates Mittel, um den Hass im eigentlich doch sozialen Netzwerk zu bekämpfen: „Facebook möchte das Konzept Counterspeech in Deutschland etablieren und aktive Gegenrede weiter fördern. Counterspeech setzt auf den Widerstand der Gesellschaft und jedes Einzelnen im Kampf gegen Hassrede“, heißt es in einer Pressemitteilung. Die Vorteile für Facebook liegen ja auch auf der Hand: Der Ansatz ist billig, denn er überträgt die Verantwortung auf die Nutzer. Je mehr die gegenhalten, desto weniger Inhalte melden sie, desto weniger muss Facebook also entscheiden, was es löscht und was nicht. Die Bekämpfung von Hass wird sozusagen outgesourct.

Das Unternehmen unterstützt deshalb die Initiative Laut gegen Nazis bei ihrer „Counterspeech Tournee 2016“ durch Deutschland. Ziel sei es, „gemeinsam über Möglichkeiten auf[zuklären], online rassistische Inhalte zu erkennen und dagegen vorzugehen“. Schirmherr der Konzertreihe vor Flüchtlingsheimen ist Smudo von den Fantastischen Vier. „Diejenigen, die ihrem Hass in Kommentaren freien Lauf lassen, wollen wir mit Argumenten kleinmachen, um sie vielleicht von dem Weg abzubringen“, so beschreibt Laut gegen Nazis den Counterspeech-Ansatz. 

Nur: Wer sagt eigentlich, dass Counterspeech kurz- oder langfristig gegen Hatespeech hilft? Gegen den aggressiven Ton im Netz generell und gegen die wachsende politische Radikalisierung im Besonderen? Was vermag der einzelne Nutzer auszurichten? Belegen Forschungsarbeiten die Wirksamkeit von Counterspeech-Praktiken? ZEIT ONLINE hat nachgefragt.

Woher kommen die Wut und der Rassismus im Netz? Warum ist die Flüchtlingsdebatte so enthemmt?

Soziologe Simon Teune ist Co-Leiter des Bereichs Soziale Bewegungen, Technik, Konflikte am Zentrum Technik und Gesellschaft der Technischen Universität Berlin. Er wundert sich nicht über die Zunahme der hetzerischen Äußerungen im Internet: „Die politischen Einstellungen vieler Deutscher waren immer schon ziemlich erschreckend. Wenn man sich Umfragen ansieht, lassen sich da rassistische Einstellungen bei einem großen Teil der Bevölkerung ablesen. Mehr als ein Drittel will zum Beispiel Muslimen generell die Einwanderung nach Deutschland verwehren. Was sich seit dem Aufkommen von Pegida verändert hat, ist die offene Artikulation dieser Einstellung. Seit Pegida fühlen sich viele Leute ermutigt, ebenfalls auf die Straße zu gehen oder solche Meinungen im Internet zu äußern. Die Grenze, die es mal zwischen ‚Normalbürgern‘ und der organisierten extremen Rechten gab, ist komplett weggeschmolzen.“

Frank Schwab, Professor für Medienpsychologie am Institut für Mensch-Computer-Medien der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, macht außerdem den Wegfall von Hierarchien und der Face-to-Face-Kommunikation für die verbale Eskalation verantwortlich: „In der Internetkommunikation fehlen uns viele Wahrnehmungskanäle und Hinweisreize. Wir sehen, hören, riechen unser Gegenüber nicht. Das ist ein Vorteil, wenn es um den egalitären Umgang miteinander geht. Aber im Fall von Konflikten ist das problematisch, weil wir nicht wahrnehmen, ob jemand betroffen ist oder leidet oder sich ärgert. Deshalb gehen wir ruppiger vor. Außerdem kommt es in Foren sehr schnell zu Gruppendynamiken: Eine Gruppe stellt sich gegen eine andere. Oder eine Outgroup wird attackiert. Wer sich ungerecht behandelt fühlt, baut moralische Aggressionen auf. Viele dieser Leute glauben, sie handeln moralisch. Auch wenn das aus anderer Perspektive nicht der Fall ist.“

Können Fakten und sachliches Argumentieren einen Menschen zum Umdenken bewegen?

Ulrich Wagner, Professor für Sozialpsychologie an der Uni Marburg und Stellvertretender Direktor des Zentrums für Konfliktforschung, ist skeptisch: „In Situationen von Unsicherheit suchen Menschen nach einfachen Erklärungen. Wenn eine Person sich solch einem Erklärungsmuster zuwendet, dann hört sie zugleich auf, mit denjenigen zu reden, die eine andere Meinung haben, und wendet sich stattdessen denen zu, die die gleiche Meinung haben. Man stützt sich gegenseitig und schottet sich ab. Generell neigt der Mensch dazu, sich Unterstützung für seine Position zu suchen. Wir wollen wissen, dass wir recht haben – nicht ob wir recht haben. Und die unterstützenden Kommentare, selbst wenn es nur wenige sind, wirken dann stärker als die ablehnenden Stimmen. Hinzu kommt ein anderes Phänomen, das wissenschaftlich gut erforscht ist: Menschen, die extreme Positionen vertreten, neigen dazu, den Anteil derjenigen, die dieselbe Meinung haben, zu überschätzen. Je extremer die Meinung, desto größer die Fehleinschätzung. Das ist ein fataler Mechanismus.“

Sozialpsychologisch erwiesen ist außerdem, dass das Zugehörigkeitsgefühl zu einer bestimmten Gruppe und der Schutz der Anonymität zu aggressiven Verhaltensweisen führen können, die der Einzelne ohne Gruppenbindung sonst nicht an den Tag legen würde. In solchen Fällen ist die argumentative Gegenrede allenfalls dann erfolgversprechend, wenn sich die gegnerischen Parteien darauf einigen können, sich auf einen Perspektivwechsel einzulassen, sagt Medienpsychologe Frank Schwab. „Im Kern kommt es darauf an, welche Gruppennormen bei einem Menschen gerade aktiv sind. Und ob es gelingt, die soziale Gruppe, der er sich zugehörig fühlt, in den Hintergrund treten zu lassen. Man wechselt sozusagen den Fokus.“ 

Um den Hassredner zu einem Perspektivwechsel zu bringen – damit er sich zum Beispiel nicht mehr als Verteidiger des Abendlandes, sondern als Nachfahre von ebenfalls Geflüchteten definiert – müssen die Diskutierenden allerdings einen vertrauens- und respektvollen Umgang miteinander pflegen, sagt Schwab. „Und das ist auch kein Allheilmittel. Wenn die Leute so verbohrt sind, dass sie nur noch eine Gruppenidentität kennen, dann funktioniert es nicht.“

Simon Teune glaubt deshalb vor allem an die Wirksamkeit von Gegenrede im engeren Bekanntenkreis: „Widerspruch ruft Irritation hervor. Wenn der Widerspruch ausbleibt, fühlt sich derjenige, der sich rassistisch äußert, bestätigt. Deshalb ist es wichtig zu zeigen, dass man bestimmte Sachen nicht akzeptiert. Das funktioniert vor allem dann, wenn die Reaktion von Menschen kommt, die persönlich miteinander bekannt sind. Gegenrede von Facebook-Freunden hat eine andere Wirkung als Gegenrede von fremden oder anonymen Nutzern.“

Oder sollte man Hatespeech lieber mit härteren rhetorischen Waffen bekämpfen, wie Spott, Ironie oder Häme?

Konfliktforscher Wagner rät davon entschieden ab: „Wenn die Communitys sich ohnehin schon gespalten haben, wenn die Missachtung des Kritikers also gar nicht mehr zählt, weil er sowieso zur Lügenpresse gehört, dann halte ich Ironie oder Häme für extrem falsch. Das führt nur dazu, dass die Gräben zwischen den Lagern sich weiter vertiefen. Herabwürdigung führt zu weiteren Polarisierungen.Man muss stattdessen versuchen, mit den Mitläufern ins Gespräch zu kommen. Nicht, indem man ihre Argumente akzeptiert. Aber indem man ihre Gefühlslage akzeptiert. Nach dem Motto: ‚Ich kann verstehen, dass du verunsichert bist, aber deine Erklärungen stimmen nicht.'“

Das Gegenüber ins Lächerliche zu ziehen, dient eher der Abgrenzung als der Annäherung, sagt auch Medienpsychologe Schwab: „Spott und Schadenfreude sind milde Formen der Aggression. Wenn man das anwendet, hilft das zunächst mal dem Absender selbst und seiner Gruppe. Der, der ausgelacht wird, wird damit nicht zum Umdenken gebracht. Die Frage ist also: Was will man erreichen? Man kann mit Ironie die eigene Gruppe stärken. Der, der adressiert wird, wird sich möglicherweise noch weiter entfernen.“

Wenn Überzeugungsarbeit so schwierig scheint, ist die Gegenrede dann überhaupt der Mühe wert?

„Für die Opfer macht es einen sehr großen Unterschied“, sagt Helga Seyb von Reach Out, einer Beratungsstelle für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Berlin. Das gelte nicht nur für Angriffe im öffentlichen Raum, sondern auch für persönliche Angriffe oder rassistisches Mobbing im Netz: „Wenn niemand sich vor die Opfer stellt, niemand sie verteidigt, dann ist das für sie doppelt traumatisch. Sie spüren dann, dass es nicht nur einzelne Täter sind, sondern dass diese Täter sich in einem Umfeld bewegen, in dem die Opfer generell keinen Schutz genießen. Wir hören oft in der Beratung, dass Opfer gerade das Schweigen und Weggucken als sehr schlimm empfinden. Umgekehrt ist es für die Betroffenen sehr hilfreich, wenn sie erlebt haben, dass jemand für sie die Stimme erhebt oder den Angreifer in die Schranken verweist.“ 

Soziologe Simon Teune rät dazu, zumindest im näheren Umfeld aktiv zu sein: „Ich kann verstehen, wenn jemand keine Lust auf Counterspeech in Kommentarspalten hat. Einfach weil das viel Energie kostet und ein hohes Frustrationspotenzial beinhaltet. Was man aber zumindest machen kann, ist im eigenen Umfeld – ob in der Familie oder im Freundes- und Bekanntenkreis – im Gespräch zu bleiben. Und dort kritisch zu reagieren, wenn Positionen auftauchen, die man für rassistisch und menschenverachtend hält.“

 

Dieser Text erschien zuerst am 04.02.2016 bei ZEIT Online. Mit freundlicher Genehmigung der Autorin. 

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