Am Montag, dem 5. September, rief die Linke zum Großprotest gegen die Energiepolitik der Bundesregierung nach Leipzig auf. Am Abend sprachen auf dem Augustusplatz Anmelder Sören Pellmann, der Linken-Vorsitzende Martin Schirdewan, Fraktionschefin Amira Mohamed Ali und Publikumsliebling Gregor Gysi. „Heißer Herbst gegen soziale Kälte“ lautet der Titel, den Pellmann für die Kundgebung gewählt hat.
Parallel dazu hatte die rechtsextreme Kleinstpartei „Freie Sachsen“ ebenfalls zu einer Montagsdemo auf dem Augustusplatz aufgerufen. Schließlich demonstriert die rechte und verschwörungsideologische Szene nun schon seit zwei Jahren immer wieder montags. Für sie sollte die Demonstration am Montag ein Fanal werden, das den heißen Herbst, beziehungsweise den „Wutwinter“ einläuten würde. An dessen Ende der Systemsturz stehe, so ihr frommer Wunsch.
Vom Beginn eines Systemsturzes war die Veranstaltung der „Freien Sachsen“ jedoch ganz weit entfernt. Dafür war das Gewaltpotential der rechtsextremen Kundgebung recht hoch. Immer wieder kam es am Rande zu Übergriffen auf Journalist*innen, Gegendemonstrant*innen und Polizist*innen.
Ende August veröffentlichten die „Freien Sachsen“ auf der Messenger-App Telegram einen Fake-Aufruf, der den Anschein erweckt, die Linkspartei würde gemeinsame Sache mit den Rechtsextremen machen. „Getrennt marschieren, gemeinsam schlagen!“, hieß es auf dem Bild. Darunter standen die Namen von Jürgen Elsässer, Anselm Lenz („linker“ Verschwörungsideologe), Martin Kohlmann (Chef der „Freien Sachsen“), André Poggenburg, (ehemals Teil des völkischen Flügels der AfD) sowie die Linken-Bundestagsabgeordneten Gregor Gysi und Sören Pellmann. Gegen den Fake-Aufruf, der suggerierte, Die Linke würde gemeinsame Sache mit Rechtsextremen machen, klagten Pellmann und Gysi.
Es war offenbar ein Alleingang, als Sören Pellmann, Linken-Direktmandatsgewinner, für den 5. September eine Großdemonstration ausrief. Das sei weder mit der Leipziger Linken noch mit der Bundespartei abgeschlossen gewesen, hieß es später. Viele seiner Partei-Kolleg*innen kritisieren Pellmann. Berechtigterweise fragen sich viele innerhalb und außerhalb seiner Partei, warum eine linke Großdemonstration ausgerechnet an einem Montag stattfinden muss.
Montagsdemos sind für den Osten Deutschlands das Protestsymbol schlechthin. In den 1980er Jahren waren friedliche Montagsdemonstrationen Sammelpunkte für Oppositionelle der DDR. Am 4. September 1989 fand in Leipzig die erste Montagsdemo auf dem Hof der Nicolaikirche statt. Die Forderungen der Demonstrierenden zielten auf gesellschaftliche Veränderungen in der DDR. In den Wochen danach hatten die Demonstrationen trotz Repression immer mehr Zulauf, am Ende fiel die DDR.
Darauf nahm auch Sören Pellmann in seiner Rede Bezug, genau wie auf die Proteste gegen die Hartz-IV-Reform von 2003 und 2004.
Seit knapp zehn Jahren wird der Montag als Protesttag jedoch von der extremen Rechten missbraucht. Zunächst spazierten die Rassist*innen von PEGIDA immer montags durch Dresden und andere Städte und zuletzt demonstrierte das „Querdenken“-Milieu am ersten Wochentag.
Besonders bei den Pandemieleugner*innen und Verschwörungsgläubigen hat in den letzten Wochen ein thematischer Umschwung stattgefunden: Das Thema Corona und das Ablehnen der Schutzmaßnahmen funktioniert einfach nicht mehr so gut. Daher sattelten zentrale Akteure, wie die rechtsextreme Bewegungspartei „Freie Sachsen“, auf das Thema Energiekrise um. Ein weiteres Thema, mit dem sie Hass auf die Demokratie zu schüren versuchen und den Systemsturz herbeiführen wollen. Und so war am Montag auf der rechten Kundgebung, neben den Forderungen Nord Stream 2 zu öffnen und die Sanktionspolitik gegen Russland zu beenden, der Wunsch nach einer baldigen Revolution stets Thema. Der rechtsextreme Verlags-Chef Jürgen Elsässer behauptete, Deutschland würde vor die Hunde gehen, wenn „wir die da oben nicht zum Teufel jagen“ würden und nährte dann die rassistische Verschwörungserzählung des „Großen Austausches“.
Immer wieder forderte er eine Querfront zwischen den Teilnehmer*innen der rechtsextremen Kundgebung und der Linkspartei.
Eine Querfront, ein Schulterschluss beider politischen Lager, rechts und links, ist am Montag nicht entstanden. Obwohl Jürgen Elsässer in seiner Rede auf dem Augustusplatz immer wieder die Notwendigkeit einer Querfront betonte und das Publikum zwar auch johlte, schien der tatsächliche Wille der Demonstrierenden eher gering, in einen Austausch mit den Gegendemonstrant*innen zu treten, oder gar auf die andere Kundgebung zu gehen.
Sören Pellmann machte zu Beginn seiner Rede klar, dass weder rassistische, nationalistische, antisemitische noch kriegsrechtfertigende Äußerungen auf der Kundgebung der Linken keinen Platz haben. Die Demonstration der Linken machte seit Beginn sehr klar, dass sie hier nicht an einem Austausch mit der rechtsextremen Demonstration interessiert sind. Gleich zu Beginn entrollten Demonstrant*innen der Linken Demo ein breites Banner mit der Aufschrift „Es gibt keine Solidarität von rechts“.
Die frühere Fraktionschefin, Sahra Wagenknecht, wurde von der Linken-Demonstration im Vorfeld zunächst ein- und dann wieder ausgeladen. Elsässer bot der sehr problematischen Politikerin an, dass sie auf der Bühne der „Freien Sachsen“ immer willkommen sei. Schließlich stimmte er „Sahra, Sahra“-Rufe an. Die Menge rief mit.
Die Gespräche der Demonstrationsteilnehmer*innen drehten sich um Hass auf „die da oben“, um antisemitische Verschwörungserzählungen, an die sie glauben, ihre Wut auf „die Antifa“ und ihrer rassistischen Vorstellungen von Gesellschaft. Eine kleine Gruppe People of Colour, die am Stand der „Freien Sachsen“ das Infomaterial inspizierte, wurde mit rassistischen Äußerungen und Beleidigungen von der Kundgebung gejagt.
Insgesamt kamen rund 4.000 Menschen zur Linken-Demonstration, zur Demonstration der „Freien Sachsen“ erschienen etwa 2.000. Beide Demonstrationen fanden parallel auf dem Augustusplatz statt, doch durch Absperrgitter waren sie recht gut räumlich voneinander getrennt.
Als sich der Demonstrationszug der „Freien Sachsen“ schließlich in Bewegung setzte, kamen sie nur einige Meter weit. Vor ihnen auf der Strecke, die sie laufen wollten, hatten sich Antifaschist*innen für eine Sitzblockade niedergelassen.
Die rechten Teilnehmer*innen schäumten vor Wut und schrien teils die Polizei an, sie solle ihren Job machen und sie weiterlaufen lassen. „Knüppelt sie doch einfach nieder, das Dreckspack“. Polizist*innen stellten sich in einer Polizeikette vor den rechten Teilnehmer*innen auf.
Immer wieder versuchten die Rechtsextremen auf der Polizeikette vor ihnen auszubrechen. Erfolglos.
An einem Durchbruchsversuch war auch der neurechte „Vordenker“ Götz Kubitschek vorne in den ersten Reihen mit dabei. Als er dann behauptet, er sei als Journalist anwesend und dürfe daher aus dem rechten Block ausscheren, wurde er dennoch von einem Polizisten sanft am Handgelenk zurückgehalten.
Auffällig war die große Anzahl rechter Medienaktivist*innen, so gaben sich unter anderem Nikolai Nerling („Der Volkslehrer“), Sebastian Schmidtke (NPD), Simon Kaupert („Ein Prozent“) Sanny Kujath (ehemals „III. Weg“-Kandidat und Praktikant des Neonazis Tommy Frenck) als Journalisten aus. Laut einem Social Media Post von Kujath haben er und Michael Brück, PR-Mann für die „Freien Sachen“ mit einer beachtlichen Neonazi-Kariere in Dortmund, nach Beendigung der Kundgebung noch linke Aktivist*innen gejagt.
Rechtsextreme, die sich auf Demonstrationen als Journalisten ausgeben, nutzen ihre privilegierte Situation, an den Polizeiketten vorbeizukommen, allzu oft aus, um Aufnahmen von politischen Gegner*innen anzufertigen. Mittlerweile wurden bereits zahlreiche Aufnahmen ins Netz gestellt, auf denen die Gesichter der Blockierenden zu sehen sind. Das kann für die betroffenen Personen zur realen Gefahr werden.
Sichtlich frustriert, dass die Revolution schon wieder nicht begonnen hat, die Querfront mit der Linkspartei nicht gefruchtet hat und dass die Demokratiefeinde daran gehindert wurden, im Kreis zu laufen, weil ein paar Menschen auf dem Boden sitzen, drehten immer mehr Menschen um, zurück zum Augustusplatz – ohne Polizeibegleitung. Rund 550 Polizeibeamte waren am Montag in Leipzig im Einsatz, um die insgesamt sieben angemeldeten Kundgebungen zu sichern.
Am Rande dieses kläglichen Rückzugs der Rechtsextremen standen vereinzelte linke Aktivist*innen in vermeintlich sicherem Abstand.
Plötzlich scherte ein Mob junger, sportlicher Neonazis aus dem Rückzugs-Zug aus und stürmte auf die Antifaschist*innen los. Auf die, die sie zu fassen bekamen, prügelten sie so lange ein, bis die Polizei angerannt kam und die Neonazis schnell in die Dämmerung verschwanden.
Als die rechten Teilnehmer*innen schließlich zurück am Augustusplatz waren, durfte Anselm Lenz eine Rede halten. Lenz ist Mitbegründer der Berliner „Hygiene Demos“. Er und die rechtsextreme Szene bezeichnen ihn als links. Er, der auf einer rechtsextremen Veranstaltung spricht, nennt hingegen die Linkspartei zum Ende der Kundgebung „gefälschte Linke“.
Letztendlich können wir den Beginn des Wutwinters als Erfolg verbuchen: Eine Querfront hat nicht stattgefunden und der groß über die verschiedenen Lager angekündigte Beginn des heißen Herbstes war für die Neonazis und ihre Anhänger*innen ein Reinfall. Nun kommt es darauf an, was die Linkspartei daraus weiter macht. Schließlich sind einige Narrative und Forderungen aus Teilen der Linken identisch zu denen der extremen Rechten. Hier bedarf es auch inhaltlich einer klareren Abgrenzung nach rechts, um die Linke als legitime Protestpartei für die kommenden Monate zu festigen und um weitere Bündnispartner ins Boot zu holen.
Zudem dürfen wir den Protest in den ländlichen Regionen nicht aus den Augen verlieren. Denn, wie schon bei den „Querdenken“-Demonstrationen, zeigt sich das Potenzial nicht nur auf den Großveranstaltungen, sondern besonders in Regionen, in denen es wenig zivilgesellschaftlichen Widerstand und journalistische Beobachtung gibt.