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Hessen 2017 Diskursverschiebung durch Flüchtlingsfeindlichkeit

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Demokrat_innen protestieren in Fulda gegen einen Aufmarsch der rechtsextremen Kleinstpartei "Der III. Weg". (Quelle: mbt Hessen)

 

Für den Belltower.News-Jahresrückblick befragen wir zivilgesellschaftlichen Initiativen und Akteur_innen über die Situation in ihrem Bundesland. Den Jahresrückblick für Hessen schreibt das mbt Hessen – Mobiles Beratungsteam gegen Rechtsextremismus und für demokratische Kultur in Hessen e.V.

 

Was waren die wichtigsten Ereignisse in Ihrem Bundesland 2017, bezogen auf Rechtsextremismus und Rechtspopulismus?

In Hessen waren im Jahr 2017 die rechtsextremen Vorkommnisse sehr divers. Auch wenn Hessen kein klassisches Aufmarschgebiet von rechten Akteuren ist, seien an dieser Stelle dennoch drei Demonstrationen erwähnt, die die Spannweite rechtsextremer Szenen verdeutlichen: Eine Demonstration von mehreren rechten Kleinstgruppen folgt dem Aufruf der rechtsextremen Aktivistin Melanie Dittmer, zusammen mit der NPD durch Wetzlar zu marschieren. Im Sommer versammeln sich unter dem Motto „Demo für alle“ in Wiesbaden christliche FundamentlistInnen, Rechtskonservative, AfD-PolitikerInnen sowie Neonazis um gegen Geschlechtergerechtigkeit, Bildungspläne und ein selbstbestimmtes Leben zu demonstrieren. Ende August marschierte dann „Der III. Weg“ durch die osthessische Stadt Fulda. Der Ort ist dabei nicht zufällig gewählt, seit einem Jahr ist die Neonazi-Kleinstpartei in diesem Landkreis besonders aktiv.

Weitere wichtige Ereignisse findet man in der Chronik der Hessischen Beratungsstelle für Betroffene von rechter und rassistischer Gewalt, response. Dort zeigt sich, dass es im Jahr 2017 in Hessen insbesondere in Südhessen viele Übergriffe auf Geflüchtete und Asylbewerber*innen gegeben hat. So dokumentiert response (insgesamt 27 gewalttätige Übergriffe auf Geflüchtete mit dem Schwerpunkt Südhessen. Eine Ballung dieser rassistischen Übergriffe gibt es im Januar (10 dokumentierte Übergriffe).

Darüber hinaus kam es in ganz Hessen immer wieder zu rassistischen Schmierereien auf Wänden von Unterkünften für Geflüchtete. Auch ein Brandanschlag im Februar in Alsbach-Hähnlein (Darmstadt-Dieburg). In diesem Kontext wurde auch ein Übergriff gegen ein*e ehrenamtliche*r Unterstützer*in dokumentiert.

Im Jahr 2017 waren natürlich auch die Bundestagswahlen im September von zentraler Bedeutung. Ein Blick auf die hessischen Landkreise zeigt, dass  die AfD in den kreisfreien Städten wie Kassel, Frankfurt oder Darmstadt tendenziell schlechter abschnitt als in eher ländlichen Regionen. Besonders die Landkreise Hersfeld-Rotenburg, Vogelsberg sowie der Main-Kinzig Kreis weisen mit über 14% der Stimmen hohe Werte auf, an der Spitze der Landkreise für die Partei steht der Kreis Fulda mit 16,2%.

Ihr Direktkandidat für den Bundestag war im Jahr 2017 der ehemalige CDU-Abgeordnete und Ex-Bürgermeister der Gemeinde Neuhof, Martin Hohmann. Bei den abgegeben Erststimmen für ein Direktmandat übertraf Hohmann das Ergebnis seiner Partei im Landkreis mit 18,1% um fast 2 Prozentpunkte. Damit ist er in Hessen der einzige Direktkandidat, der höhere Stimmwerte als abgegebene Zweitstimmen erreichte.

Die NPD hingegen verliert deutlich an Stimmen und rutscht bundesweit von 1,1% im Jahr 2013 auf 0,4% bundesweit. Im Land Hessen liegt die NPD mit ihren 0,4% also genau auf Bundesdurchschnitt. Auch die NPD schneidet in ländlichen Regionen tendenziell besser ab als in Städten.

 

Wer waren wichtige Akteur_innen und was waren wichtige Themen der rechtsextremen Szene?

Auch wenn von den Protesten auf der Straße von selbsternannten besorgten Bürgern nicht mehr viel wahrzunehmen ist, der gesellschaftliche Diskurs ist – und das nehmen wir besonders von AkteurInnen aus unserer Beratungspraxis mit, bereits nach rechts gerückt. Szenen- und Spektren übergreifend wird vom Thema Flucht und Migration als Ausgangspunkt für eine rassistische und nationalistische Politik ausgenutzt. Im vergangenen Jahr deutlich spürbarer war auch der Einfluss der „neuen Rechten“, welche eigentlich gar nicht so neu ist aber aktuell als neueste Variante des Rechtsextremismus gehandelt wird. Der Stand des rechten Antaios-Verlag auf der Frankfurter Buchmesse ist ein Beispiel für den Aufwind, den die modernisierte Rechte grade genießt. Hierbei kam es übrigens zu Drohungen, Beleidigungen und körperliche Übergriffe auf Personen, die gegen diesen Stand protestierten.

Ein wichtiger Treffpunkt für einen Teil der bundesweit vernetzten Neonaziszene war das Anwesen des verstorbenen Rechtsterroristen Manfred Röder. Auf einem abgelegen Berg im Schwalm-Eder-Kreis lud vor allem noch Anfang des Jahres britische Holocaustleugnerin Michèle Renouf auf den sogenannten „Reichshof“ ein. Für die Organisation der Vorträge, Liederabende oder Sonnenwendfeiern war häufig der ostwestfälische Rechtsextremist Meinolf Schönborn verantwortlich.

Bei den vergangen Treffen auf dem Tagungshaus kamen Teilnehmende aus diversen Bundesländern und aus verschiedenen Spektren der rechtsextremen Szene. Unter ihnen befanden sich Personen wie der Chef der nordrhein-westfälischen Neonazi-Partei „Die Rechte“, Verleger von rechtsextremen Zeitungen oder auch Reichsbürger, zu denen Schönborn auch in Kontakt steht. Auffällig ist dabei, dass es sich vor allem um Multiplikatoren aus diversen rechtsextremen und antisemitischen Strömungen handelt. Mit einem ausgesprochenen Nutzungsverbot durch den Landrat wurden jedoch weitere Veranstaltungen in der zweiten Jahreshälfte erfolgreich unterbunden.

Für das Jahr 2017 ist als wichtiger Akteur in der rechtsextremen Szene noch die Neonazi-Kleinstpartei „Der III. Weg“ zu nennen. Hierbei handelt es sich um eine Kader-Partei aus Süddeutschland, welche vor wenigen Jahren aus verbotenen Kameradschaftsstrukturen hervorgegangen ist. Neu ist ihr massives Auftreten im Raum Fulda durch viele einzelne Aktionen wie Infostände, Flyerverteilungen und das patroullieren als „nationale Streife“  durch die Innenstadt. Ende August demonstrierte der „III. Weg“ durch die Fuldaer Innenstadt, jedoch sichtlich entnervt vom vielfältigen Gegenprotest an diesem Tag.

Immer wieder kommt es in ganz Hessen weiterhin zu kurzen Aktionen der Identitären Bewegung,  welche im Anschluss medial breitgetreten werden, jedoch ohne breite Wirkung (sieht man von medialer Berichterstattung ab). Vereinzelt gibt es auch Überschneidungen und Zusammenkünfte Einzelner AfDler mit den Identitären.

 

Wie sind die Erwartungen für 2018?

Im Jahr 2018 steht in Hessen die nächste Landtagswahl an. Da sich die AfD vorerst im Parteienspektrum verankert hat, ist davon auszugehen, dass Hessen das letzte Bundesland sein wird, in dessen Landesparlament sie einziehen wird. Über Rechtspopulismus in Hessen, und dem Umgang mit Rechtspopulismus in Kommunalparlamenten haben wir im vergangenen Jahr eine Broschüre herausgebracht (http://mbt-hessen.org/images/material/MBT_Broschuere_Rechtspopulismus_32S_A4_12.pdf). Es ist davon auszugehen, dass mit dem Einzug der AfD auf Landesebene so wie in anderen Bundesländern auch, demokratische und zivilgesellschaftliche Projekte von dieser Partei angegriffen werden. Erste Versuche auf lokaler Ebene gab es im abgelaufenen Jahr schon.

 

 

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