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Holocaustleugnung Wie sinnvoll ist ein Verbot?

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Damit hatte der Vatikan wohl nicht gerechnet. Die Rekommunizierung des Holocaust-Leugners Williamson wirkt verstörend auf die Katholiken in aller Welt. Medienwirksame Kirchenaustritte und die Einrichtung einer Hotline für verunsicherte Gläubige durch den Vatikan zeigten: der oberste Hirte wollte vier Schafe zurück in die Herde holen und hat sich dabei einen Wolf unterjubeln lassen. Nun ist das Dilemma perfekt: kirchenrechtlich lässt sich der Wolf nicht ohne weiteres beseitigen und ihn in einen Schafspelz zu stecken, gelingt wohl auch nicht. Williamson muss nun erst die Dokumente über den Holocaust studieren, und hält seit Monaten die Welt in Atem. Was, wenn er nun zu dem Ergebnis kommt, dass es den Holocaust doch nicht gegeben hat? Verwunderlich wäre es nicht: Es sind schon mehr Kamele durch Nadelöhre gekrochen, als negationistische Gesinnungstäter ihre Thesen über den Holocaust revidiert haben.

Verbot für eine Lüge?

Für Williamson ist die Leugnung des Holocaust nichts anderes als eine Meinung über ein geschichtliches Thema. Und auch hierzulande ist es durchaus umstritten, ob eine Lüge strafbar sein darf. Das Denken in den Mustern Kant´scher Imperative hat ganze Juristengenerationen so geprägt, dass der Kontext der Leugnung offenbar keine Rolle mehr spielen darf. Die deontologisch-rigorose Ethik Kants verlangt: entweder alle Lügen werden verboten, oder keine. Lieber keine Lüge unter Strafe zu stellen, dafür plädierten unlängst zwei Spitzenjuristen. Sowohl der im letzten Jahr ausgeschiedene Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Winfried Hassemer, als auch der im Sommer pensionierte Richter am gleichen Gericht, Wolfgang Hoffmann-Riem, äußerten sich kritisch über das Verbot der Holocaustleugnung in Deutschland, eine Strafnorm, der das Bundesverfassungsgericht in den 1990er Jahren bereits per einstimmigem Votum die verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit attestiert hatte. An dem Beschluss wirkte damals unter anderem der spätere Bundespräsident Roman Herzog mit.

Was schützt das Verbot der Holocaustleugnung?

Was durch das Verbot der Holocaustleugnung geschützt werden soll, dafür hält die Strafrechtsdogmatik geeignete Parameter bereit: Diskutiert wurde und wird in der strafrechtlichen Literatur unter anderem der öffentliche Friede, die Menschenwürde, die Ehre und die historische Wahrheit, besser wohl: die Erinnerung an diese.

Dem Bundesverfassungsgericht durfte all dies recht sein, solange der Gesetzgeber nur irgendein legitimes Interesse von überragender Bedeutung aufbieten kann. Denn ein Strafgesetz, das nur um der Einübung des Normgehorsams der Bürger Willen existiert, wäre eklatant verfassungswidrig. Paragraf 130 Abs. 3 des Strafgesetzbuches drückt ein legitimes Interesse aus: nämlich ein Wiedererstarken des Nationalsozialismus zu verhindern.

Rütteln an demokratischen Grundfesten

Der französische Soziologe Émile Durkheim hat in seiner Studie ?Über soziale Arbeitsteilung? eine Definition des Verbrechens geliefert, die auf das Verbot der Holocaustleugnung besonders gut passt: ?Das Band der soziale Solidarität, dem das Strafrecht entspricht, ist jenes, dessen Bruch das Verbrechen darstellt?. Die ?leidenschaftliche Reaktion? der Strafe ist die Folge einer Verletzung des Kollektivbewusstseins. Erinnerungskultur und Verantwortung für die Zukunft sind die Grundpfeiler einer gereiften nationalen Identität. Das Leugnen des Holocaust rüttelt an demokratischen Grundfesten, sagte ein deutscher Abgeordneter in der parlamentarische Debatte zu diesem Verbot. Dass die Erinnerung an den Holocaust und das Interesse an deren Unverfälschtheit noch intakt sind, zeigen die homogenen Reaktionen allerorts in der Causa Williamson.

Wie sinnvoll ist das Verbot?

Ob diese Norm deshalb auch rechtspolitisch sinnvoll ist, darüber lässt sich streiten. Mit Sicherheit kann das Strafrecht kein Reparaturbetrieb für alle gesellschaftlichen Übel sein. Fakt ist: seit der Existenz dieser Normen in vielen Ländern Europas und der Welt ist die Luft dünn geworden für negationistische Rechtsextreme und ihre Publikationen. Effekte sind also sehr wohl sichtbar.

Auch muss der Staat deshalb nicht gleich die Leugnung aller Menschheitsverbrechen der Welt unter Strafe stellen. Er besitzt die Einschätzungsprärogative dafür, zu entscheiden, wann eine Pönalisierung angebracht ist. Die Holocaustleugner sind international gut vernetzt und bedienen sich wie keine andere negationistische Strömung eines gut eingespielten Apparates aus Konferenzen, Instituten und Publikationsorganen. Eine Abschaffung der Norm würde in diesen Kreisen als großer Sieg gefeiert werden und wäre symbolisch ein Desaster: es entstünde der Eindruck, als hätte die Bundesrepublik unter dem Einfluss derer, die sich ?Geschichtsrevisionisten? nennen und es ja schon immer besser wussten, endlich auf den Pfad der ?Wahrheit? zurückgefunden.

Mit der Meinungsfreiheit im Einklang

Die Angst davor, durch Verurteilungen Märtyrer der Meinungsfreiheit zu schaffen, klingt befremdlich, wenn man bedenkt, dass diese Norm durch das Bundesverfassungsgericht und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als mit der Meinungsfreiheit in Einklang stehend befunden wurde. Holocaustleugner gelten gesellschaftlich ohnehin als Außenseiter. Warum ist es so schlimm, wenn sie durch Verurteilungen eine noch stärkere Missbilligung erfahren? Und seit wann ist deren Rang und Ansehen innerhalb ihrer Gruppierung für Demokraten überhaupt von Belang?

Wer sich über den Wert und die Grenzen von Grundrechten im Klaren ist, braucht sich nicht ernsthaft darum zu sorgen, wenn diese Freiheiten von Leugnern unredlicherweise für sich reklamiert werden. Prozesse können durchaus nützlich sein: erst nachdem David Irving die Beleidigungsklage in England gegen Deborah Lipstadt verloren hatte und seitdem offiziell als Holocaustleugner, Antisemit und Rassist bezeichnet werden darf, fiel seine bis dahin auch außerhalb rechtsextremer Kreise bestehende Reputation weitestgehend in sich zusammen.

Keine Absolution für Hetze

Die Meinungsfreiheit ist selbstverständlich ein unbestritten hohes Gut. Sie ist ?schlechthin konstitutiv für die demokratische Grundordnung?, schreibt das Bundesverfassungsgericht im berühmten Lüth-Urteil und jeder Jurastudent kennt diese berühmte Formel auswendig. Doch ist der Meinungsfreiheit damit am besten gedient, dass man jede Äußerung als Meinung unter den Schutz des Grundgesetzes stellt und eine Verabsolutierung der freien Rede betreibt? Auch die Meinungsfreiheit hat ihre Schattenseiten: sie kann als Feigenblatt dafür dienen, gegen Minderheiten zu hetzen und dies als lediglich politische Äußerung zu deklarieren. Die zügellose Regelung im ?First Amendment? zur amerikanischen Verfassung hat dafür gesorgt, dass noch etwa 150 Jahre nach Abschaffung der Sklaverei Rassismus und Apartheid zementiert werden konnten: Die Meinungsfreiheit galt nur für die Herrschenden, nicht auch für Minderheiten. Diese Haltung scheint sich fortzusetzen und treibt seltsame Blüten in der Rechtsprechung: Der Supreme Court von Minnesota urteilte noch in den 1990er Jahren, dass das Abbrennen von Kreuzen (sog. ?cross-burning?) ? eine beliebte Drohgeste des Ku-Klux-Klans gegenüber Schwarzen ? von der Meinungsfreiheit gedeckt ist und wollte darin keine direkte Bedrohung entdecken.

Schrankenlose Meinungsfreiheit?

Der Nestor der Meinungsfreiheit, der große liberale Denker John Stuart Mill, wird oft als Vertreter einer schrankenlosen Meinungsfreiheit zitiert, als Verfechter eines ?marketplace of ideas?, auf dem jedes Wort ungehindert gegen das andere konkurrieren darf, so wie Obst und Gemüse auf dem Markt gegeneinander um den Käufer kämpfen. Jedoch hat auch Mill schon erkannt, dass diese Art von Freiheit nur für persönliche Werturteile Sinn macht, nicht auch für unwahre Tatsachenbehauptungen. Er erkannte als erster, warum die Meinungsfreiheit ein so hohes Gut für der Demokratie ist: wegen der Wahrheit, die nur durch sie ans Tageslicht gebracht werden kann. Das Ringen um die politische Wahrheit, also um die vermeintlich beste Lösung, ist Kern und Lebenselement unserer Demokratie geblieben. Um ihrer Willen tun wir uns mit der Einschränkung der Meinungsfreiheit zu Recht so schwer.

Und wie gehen wir vor diesem Hintergrund mit dem Verbot der Holocaustleugnung um? Am besten gelassen. Unwahre Tatsachenbehauptungen führen nicht zur Wahrheit hin, sondern von ihr weg. Denn gerade weil sich Meinungen nur auf wahren Tatsachen bilden können, scheiden unwahre Tatsachenbehauptungen aus dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit aus. ?Auschwitz? ist ein trauriges Faktum, egal ob es manch einem wegen seines Ausmaßes als unbegreiflich erscheint oder deshalb weil es zeitlich und örtlich weit weg ist. Auschwitz liegt über 60 Jahre zurück, und liegt etwa Tausend Kilometer von Deutschlands heutigen Grenzen entfernt, ziemlich abseits und umgeben von dichten, mit Birken durchzogenen polnischen Wäldern, eineinhalb Stunden vor Krakau. Dort liegen die Brocken der von der SS gesprengten Gaskammern, dort kann jeder die Kleidungsreste, Haare und Brillengestelle der letzten Ermordeten betrachten. Und wer es immer noch für unmöglich hält, der mag daran glauben, dass die etwa sechs Millionen ermordeten Juden, wie die Negationisten behaupten, heute in Wirklichkeit glücklich in Brooklyn leben und von den Deutschen Geld erpressen. Aber er muss dies deshalb noch nicht in der Öffentlichkeit erzählen dürfen.

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