Ein Beitrag von Roger Grahl auf Basis des Bremer Schattenberichts-Archivs unter Hinzufügungen
In der „Klause 38“ in Bremen wurde am 25. März dieses Jahres ein Mensch mit Migrationshintergrund lebensgefährlich verletzt. Das Gericht kam nach sieben Prozesstagen zu der Überzeugung, dass der Täter Sascha S. nicht politisch motiviert gehandelt habe bzw. dafür keine hinreichenden Beweise vorlägen. Im Zuge dessen wurden insgesamt 25 Zeugen und Sachverständige befragt. Der vorsitzende Richter, Helmut Kellermann, betonte jedoch nachdrücklich, dass nach seiner eigenen Überzeugung Sascha S. ein Neonazi sei. Bei einer Durchsuchung fanden Beamte zahlreiche Nazi-Devotionalien in dessen Wohnung. Außerdem ist er mit allerhand neonazistischen Symbolen tätowiert: Unter anderem die Zahl „28“ („Blood & Honour“) am Hals sowie „88“ („Heil Hitler“), „SS“-Runen, eine schwarze Sonne und ein „SS“-Schädel, „KKK“ („Ku Klux Klan“) auf dem Oberkörper.
Das Gericht konnte Sascha S. trotz allem nicht nachweisen, dass er sein Opfer aufgrund eines rassistischen Motivs angegriffen hatte. Es fehlten schlichtweg juristische Beweise oder Zeugenaussagen. Dabei betonten vernommene Zeugen, dass sie vor den Verhandlungen eingeschüchtert und bedroht worden waren. Der wichtigste Zeuge, der kurz nach der Tat bei der Vernehmung noch einen rassistischen Hintergrund angegeben hatte, tauchte erst ab und revidierte dann vor Gericht seine Aussage. So bleibt ein Urteil mit Beigeschmack.
Die Personen, welche in den Prozess durch Einschüchterung von Zeugen eingegriffen haben, sind nach Aussage der bedrohten Opfer dem Umfeld des Bremer „Bells“ zuzuordnen. Dieses gilt als Stammkneipe rechtsextremer wie unpolitischer Hooligans. Ein weiterer Treffpunkt dieser Szene, der „Sportsfreund“, musste vor allem aufgrund des Engagements des Bremer Bündnisses „Ladenschluss“ in diesem Jahr umziehen.
„Nordsturm Brema“ schiebt sich nach vorn
Die Mischszene aus Neonazis und Hooligans sowie das darin enthaltene hohe Gewaltpotenzial seien typisch für Bremen, erklärte der Leiter des Landes-Verfassungsschutzes Hans-Joachim von Wachter gegenüber dem NDR: „Wenn wir eine gewaltbereite Gruppierung haben, die sagen wir mal aus 20 Personen besteht, unter denen sich dann ein oder zwei Rechtsextremisten tummeln, die dann aber diese Gruppierung für einzelne Taten aktivieren können, dann ist das Potenzial eben derjenigen, die gewaltbereit sind und dann in dem Moment eben auch politisch motiviert etwas tun, wesentlich größer.“
Am rechten Hooliganrand ist 2012 vor allen Dingen der „Nordsturm Brema“ in den Blick der Öffentlichkeit getreten. Die Nachwuchsgruppierung der „Standarte Bremen“, selbst ältester noch existierender Hooligan-Zusammenschluss in Bremen, machte u.a. mit einem Video auf sich aufmerksam. In diesem wird ein Kampf mit einer Hooligan-Gruppierung aus Duisburg gezeigt, bei dem Mitglieder des „Nordsturm“-Mobs Hakenkreuze auf ihren Shirts tragen.
Seine Mitglieder sind ebenso für eine Attacke auf eine Elektroparty im alternativen Jugendzentrum „Wohnwelt“ in Wunstorf bei Hannover verantwortlich. Laut Augenzeugen war der Angriff offenbar geplant. Erst inspizierten einzelne Hools die Umgebung sowie die Innenräume. Dann schlugen die Neonazihools auf Kommando zu. Einige der Schläger wurden bei ihrer Flucht am Bahnhof gefasst: Polizei und Staatsanwaltschaft ermitteln.
Vor Gericht: Hooligans gelingt unpolitischer Anstrich
Ebenso sind Mitglieder der „Standarte“ und des „Nordsturms“ an einer Attacke auf Schalke-Fans am 5. Mai 2012 beteiligt gewesen. Auf dem Weg vom Weserstadion zum Bahnhof wird die Gruppe an der Ecke Rembertistrasse/Rembertiring von Bremern angegriffen. Ein Schalke-Anhänger geht zu Boden und wird mit Tritten gegen den Kopf schwer verletzt. Das Opfer muss mehrfach operiert werden.
Ein Großteil des „Nordsturms“ war zudem im Jahr 2007 bei einem Überfall auf eine antirassistische Party im Ostkurvensaal des Weserstadions beteiligt. Bei dessen Verhandlung, die erst im September 2011 stattfand, konnten Richter und Staatsanwalt keinen politischen Hintergrund des Überfalls erkennen. Der Versuch der angeklagten Hooligans sich einen bürgerlichen und „unpolitischen” Anstrich zu geben, schien vor Gericht zu funktionieren. Der Richter beschränkte sich auf geringe Geldstrafen. In diesem Jahr fand zudem eine Nachverhandlung statt, in der zwei der Angeklagten versuchten, gegen die Geldstrafen Revision einzulegen. Dies misslang, da beide nicht erschienen.
Unpolitische Hitlergrüße
In der Hauptverhandlung des Ostkurvensaalprozesses war u.a. auch Hannes Ostendorf, Sänger der Rechtsrock-Band „Kategorie C“, angeklagt worden.
Dieser bemüht sich immer wieder zu betonen, dass Kategorie C eine Band mit Fans ist, die sich nicht für Politik interessieren. Dem gegenüber trat sie auch in diesem Jahr wieder mit rechtsextremen Bands in Ungarn und Schweden auf: Konzerte, bei denen Kategorie C mit Hitlergrüßen und Sieg-Heil-Rufen „gefeiert“ wurde.
Laut Weser-Kurier gilt neben Ostendorf der Gitarrist Friedrichs „als Kopf der Band“. Die Zeitung schreibt weiterhin, dass der gebürtige Bremer die meisten Stücke komponiere und texte. Mindestens seit 2003 rechnet ihn der niedersächsische Staatsschutz der rechtsextremen Szene zu.
Alle Beteiligten, die am Projekt „Kategorie C“ seit 15 Jahren Geld verdienen, scheint es beim Label „unpolitische Hooligan-Band“ vor allem um eines zu gehen: Möglichst hohen Profit bei gleichzeitiger ungestörter rechtsextremer Politisierung vorwiegend Jugendlicher. Da KC nicht offen neonazistisch sondern unter dem Label „unpolitisch“ firmiert, können sie ein breiteres Publikum ansprechen und führen dieses so an rechtsextremes Denken und entsprechende Umfelder heran.
NPD-Kundgebungen mit fünf bis zehn Teilnehmern
Die NPD-Deutschlandfahrt legte auch in Bremen einen Zwischenstopp ein, der selbst den optimistischsten NPD-Strategen die Sorgenfalten auf die Stirn treiben dürfte. Zu der Kundgebung in Bremen-Vegesack fanden sich nach Angaben der Polizei nur fünf Anhänger der rechtsextremen Partei ein.
Bei der NPD-Veranstaltung in Bremerhaven mit Bundesgeschäftsführer Jens Pühse spricht die Polizei von zehn NPD-Sympathisanten, die den Weg zur Kundgebung fanden. Außerdem sei eine ebenso große Anzahl von Gegendemonstranten vor Ort gewesen. Beide Veranstaltungen seien ruhig verlaufen, hieß es aus Sicherheitskreisen.
Neben der fehlenden Mitgliedermobilisierung hat die NPD außerdem mit Parteiaustritten in Richtung Christian Worchs neuer Partei „Die Rechte“ zu kämpfen.
Ausblick auf 2013
Wichtig wird es sein, einen stärkeren Fokus auf Rechtsrockkonzerte und –Vertriebe zu legen. Ein Bereich, in dem die Bremer Szene extrem aktiv ist. Im Schatten von „Kategorie C” sind mit „Bunker 16“ und „Strafmass” zusätzlich zwei neue Musikgruppen an der Weser aufgetaucht.
Im Juni 2012 verbot das Stadtamt Bremen die „Freundschaftsparty“ der Bands Endlöser und Strafmass. Ein solch direktes Vorgehen wird auch im kommenden Jahr nötig sein, um eine weitere Popularisierung rechtsextremer Inhalte in Form von Rockmusik zu verhindern.
Immense Bedeutung für Entwicklungen in der rechtsextremen Szene Bremens im Jahr 2013 könnte der im September eröffnete JadeWeserPort in Wilhelmshaven haben. Deutschlands größter Tiefwasserhafen soll dabei nicht nur Wirtschaftsmotor der Metropolregion Bremen-Oldenburg im Allgemeinen sein: Die lokale Rockerszene möchte diesen ebenso für die eigenen Interessen nutzen. Im Zentrum dieser stehen mutmaßlich vor allem das Schmuggeln illegaler Drogen und der Menschenhandel. Die möglichen potenziellen Erlöse daraus führen dazu, dass sich neuerdings Hells Angels um die Stadt am Jadebusen bemühen sollen und dabei in Konkurrenz zu dem bereits bestehenden Chapter des Gremium MC treten.
Zur Erschließung des illegalen Geschäftsfeldes und der Erlangung der Vormachtstellung in diesem Bereich werden beide Rockergangs sicherlich versuchen, die schon bestehenden Kontakte ins Neonazi- und Hooliganmilieu zu intensivieren.
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