Eine illustre Gesellschaft hat sich im größten Raum des Amtsgerichts Hoyerswerda versammelt. Neben gut 25 Pressevertreter*innen finden 15 als rechts oder rechtsgesinnt einzuordnende Menschen im Publikum Platz. Unter ihnen Antje und Torsten Hiekisch, das Ehepaar spielt in der NPD im Kreis Görlitz die tragende Rolle. Gemeinsam angereist sind die mit Angehörigen der Angeklagten, man kennt sich hier. Auf der Anklagebank sitzen acht Männer, dunkel gekleidet, auf einem Pullover steht „Stolz und Treue. Sachsen“, ein anderer hat ein Tattoo abgeklebt, mutmaßlich ein Hakenkreuz, jemand trägt eine „Thor Steinar“-Gürteltasche. Weil einer der Angeklagten nicht erschienen ist, muss er von der Polizei vorgeführt werden. Als er kommt, prangt auf seinem Pullover eine schwarze Sonne. Hier stellt sich dem Beobachter die erste Frage, warum keine politische Motivation in der Anklage wichtig ist, warum weder Land- noch Hausfriedensbruch angeklagt wird, sondern nur Bedrohung und Beleidigung. Während dem Angriff wurden Rufe wie „Antifa zerstören!“ oder „Wir kriegen dich, du Zeckensau!“ laut, beim Abzug sollen die Täter „ANH, ANH“ skandiert haben. ANH steht für „Autonome Nationalisten Hoyerswerda“. Mutmaßlich gehören die Angeklagten alle dazu.
Den Ablauf des stundenlangen Angriffs schildern schließlich mehrere Zeug*innen. Am längsten sprechen die beiden Betroffenen, Ronny und Monique. Es ist ihnen immer noch anzusehen, wie stark der Angriff sie seelisch und körperlich belastet. Sie erzählen, wie erst an der Haustür Sturm geklingelt wurde und schon Grölen zu hören war, später kamen Angreifer vor die Wohnungstür, traten mehrfach dagegen und versuchten die Tür zu öffnen, brüllten Beleidigungen und Bedrohungen, verklebten die Türspione auf dem Gang, drehten das Licht im Hausflur ab, später auch den Strom auf der gesamten Etage. Als Monique berichtet, wie ihr von den Angreifern mit Vergewaltigung gedroht wurde, lässt Torsten Hiekisch im Publikum ein Lachgeräusch aus seinem Handy erklingen. Hämische Freude bei den Angeklagten und ihren Angehörigen, andere Menschen im Publikum weisen das NPD-Mitglied wütend zurecht. Monique macht trotzdem wacker ihre Aussage, schaut den mutmaßlichen Tätern ins Gesicht. Auch ihr Freund Ronny wird während seiner Aussage von der Anklagebank angepöbelt, er spricht trotzdem weiter. Erzählt, dass er die Nazisticker auch öffentlich und am Tag abgekratzt hat, weil er den Rechten zeigen wollte, dass nicht alle in Hoyerswerda damit einverstanden sind. Auch deshalb sind die Betroffenen mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit gegangen, sie wollen aufrütteln und zeigen, dass in Hoyerswerda etwas gehörig schief läuft.
Für die milde Anklage auf Bedrohung können die Angeklagten nur Geldstrafen erwarten, entsprechend gut ist ihre Stimmung auf der Anklagebank. Fünf von acht verweigern zwar die Aussage, drei sagen aus, dass sie zu „besoffen“ waren, um sich an den Abend noch erinnern zu können. Man will es ihnen fast glauben, wie sie da sitzen. Einer krächzt mit Whiskeystimme, er habe an dem Abend 6 Bier und eine Flasche Kräuter getrunken, wäre „rotztütenvoll“ gewesen und hätte sich von einem der Mitangeklagten, einem schmächtigen jungen Mann, auf dem Weg zum Tatort stützen lassen müssen. Die drei Treppen vor die Wohnung der Betroffenen sei er aber noch hochgestiegen, habe da eine Glühbirne vom Hausflurlicht raus und später wieder rein gedreht. Warum, fragt ihn der Richter. Das Licht habe ihn in seinem Suff geblendet. Von der angsteinflößenden Dunkelheit, die die Täter tarnte, von den Nazistickern, mit denen sie die Türspione der Opfer und der Nachbarn verklebten, kein Wort. Man wisse auch nicht, wer den Strom für die Etage abgestellt habe. Die Aussagen der Angeklagten sind eine Farce, aber das braucht sie nicht weiter zu kümmern, da selbst die Polizei, die während dem Geschehen am Tatort war, weitgehend untätig blieb.
Was sie genau getan hätten, werden die Beamten gefragt, die auch als Zeugen geladen sind. Zunächst am Tatort angekommen, hätten sie die Betroffenen befragt, was der Grund für den Angriff sei. Das klingt nach 1991, als in Hoyerswerda nicht die Täter des Pogroms bestraft, sondern die Betroffenen der Ausschreitungen zum Problem erklärt und aus der Stadt geschafft wurden. Später habe man Verstärkung gerufen und auf diese gewartet. Aber auch mit Verstärkung sei es den Beamten nicht einmal gelungen, am Tatort Personalien festzustellen, geschweige denn Platzverweise auszusprechen. „Die Polizeibeamten wurden ausgelacht, als sie die Täter nach den Ausweisen fragten“, berichtet eine Zeugin. Das passt ins Bild des Polizeiversagens, das diesen Fall prägt. Wochen, nachdem der Angriff durch einen MDR Bericht publik geworden war, erklärte Thomas Knaup, Sprecher der Polizeidirektion Oberlausitz-Niederschlesien: „Es ist einfacher, zwei Personen zu einem anderen sicheren Ort zu verbringen, als 30 Personen beispielsweise zu bewachen oder permanent fünf Funkstreifenwagen vor eine Haustür zu stellen.“
Das kritisiert auch der Anwalt der Nebenklage: „Das ist das Problem. Wir haben hier die originäre Situation vorliegen, dass die Behörden einen Rückzug vor den Tätern antreten. Das muss aufklärt werden!“ Er befürchtete schon im Vorfeld des ersten Prozesstags, dass das Versagen der Polizei zu kurz kommen werde. Ebenso, wie die rechte Gesinnung der Täter und ihre politische Motivation.
Am Abend wird klar, dass ein zweiter Prozesstag angesetzt werden muss. Es wurden nicht alle Zeug*innen gehört und wichtige Wahrnehmungszeug*innen wurden von der Staatsanwaltschaft nicht geladen. Marianne Thum, von der RAA Opferberatung hat Ronny und Monique seit dem Angriff begleitet und sagt am Ende des Prozesses: „Das war uns ganz klar, dass das nichts wird, an einem Tag alles zu verhandeln.“ Sie erwartet, dass ein zweiter Prozesstag mehr Klarheit bringt. Auch der Anwalt der Nebenklage will mehr Klarheit in den Fall bringen, besonders auch in das gemeinschaftliche Tun der Täter, ihre politische Motivation und das Versagen der Polizei. Am 27. Januar wird in Hoyerswerda erneut verhandelt und dann ist mit einem Urteil zu rechnen. Bis dahin wird voraussichtlich auch das neue Flüchtlingsheim in der Stadt eröffnet sein, das erste nach 1991, als schon einmal die Betroffenen von rechter Gewalt, die Stadt verlassen mussten. Bleibt zu hoffen, dass die Nazis in Hoyerswerda sich nicht durch die Untätigkeit der Behörden weiter bestärkt fühlen, als nächstes Ziel, die Flüchtlingsunterkunft anzugreifen.
Weiter lesen:
– „Kein Zurück“ (Freie Presse Sachsen)
– Antwort der Sächsichen Staatsregierung „Fehlendes Eingreifen der Polizei bei Bedrohung durch Neonazis in Hoyerswerda“ (Kleine Anfrage)