Für Zeugen einer rechten oder rassistischen Gewalttat ist es empfehlenswert, ein schriftliches Gedächtnisprotokoll anzufertigen, das den Ablauf und die Umstände des Angriffs mit allen Details enthält. Notieren Sie möglichst zeitnah das Tatgeschehen aus Ihrem persönlichen Erleben. Das Gedächtnisprotokoll dient als Erinnerungsstütze bei späteren Vernehmungen oder als Vorbereitung für die oft viele Monate bis Jahre später stattfindende Gerichtsverhandlung. Viele potenzielle Zeugen glauben zunächst, dass sie bestimmte Augenblicke nie vergessen werden. Erfahrungsgemäß werden jedoch häufig eigene Erinnerungen mit eigenen Schlussfolgerungen oder mit den Erzählungen Anderer vermischt.
Sich als Zeuge zur Verfügung stellen
Wenn die Polizei Sie nicht ohnehin schon am Tatort nach Ihren Personalien befragt hat oder Sie von sich aus Ihre Telefonnummer an das Opfer weitergegeben haben, sollten Sie sich so schnell wie möglich bei der Polizei als Zeuge beziehungsweise Zeugin zur Verfügung stellen. Sie werden dann von der Polizei entweder schriftlich oder telefonisch zu einer Zeugenvernehmung geladen. Zeugen von rechtsextremen Gewalttaten haben oftmals Angst, sich bei der Polizei zu melden. Sie befürchten Rachakte der Täter. Es ist nur im Einzelfall möglich, abzuschätzen, ob diese Befürchtung zutreffen kann oder nicht. Im Zweifelsfall sollten Sie sich an einen Rechtsanwalt oder eine Opferberatungsstelle wenden, um mit Ihre Bedenken vorzutragen und Rat zu holen.
Zeugenvernehmung
Wer eine mögliche Straftat mitbekommen hat oder über relevante Informationen verfügt, kann als Zeuge in einem Strafverfahren geladen werden. Die Opfer eines Angriffs gelten ebenfalls als Zeugen, sie werden häufig als Haupt-, Opferzeugen oder als Geschädigte bezeichnet. Aufgrund ihrer möglichen Kenntnisse sind Zeugen ein wichtiges, so genanntes Beweismittel im Rahmen eines Strafverfahrens. Zeugen werden vernommen zur Rekonstruktion des Tathergangs. Ihre Aussage kann vielleicht helfen die Schuldfrage zu klären oder weitere Ermittlungen anstoßen. Zeugenaussagen können deshalb ausschlaggebend für den weiteren Fortgang eines Strafverfahrens sein. Migranten und Flüchtlinge, die sich in der deutschen Sprache nicht vollständig sicher fühlen, haben das Recht auf eine Übersetzung und müssen ohne die Anwesenheit einer Dolmetscherin/eines Dolmetschers nichts sagen. Von diesem Recht sollte Gebrauch gemacht werden.
Aussage- und Wahrheitspflicht
Zeugen sind verpflichtet die Wahrheit zu sagen. Sie werden vor einer Vernehmung auf diese Pflicht hingewiesen. Die Belehrung ist Routine und nicht Ausdruck eines Mißtrauens bestimmten Zeugen gegenüber. Bei einer Zeugenaussage soll nur das berichtet werden, was die Zeugin/der Zeuge tatsächlich selbst gesehen hat bzw. weiß. Alle weiteren Informationen, die Zeugen von Dritten erfahren haben, sollten mit der entsprechenden „Quellenangabe“ benannt werden. Gegen Zeugen, die nicht die Wahrheit sagen, kann ein Verfahren wegen Falschaussage eingeleitet werden, das zu einer Geld- oder Freiheitsstrafe führen kann. Protokolle lesen Im Rahmen der polizeilichen Vernehmung kann von der Möglichkeit Gebrauch gemacht werden, sich die von den Beamten protokollierten Sätze vorlesen zu lassen. So kann geprüft werden, ob die jeweilige Passage richtig aufgeschrieben wurde. Am Ende einer polizeilichen Vernehmung werden Zeugen aufgefordert, das Protokoll zu unterschreiben. Vor der Unterschrift sollte der gesamte Text aufmerksam gelesen werden. Ohne Hemmungen sollten Zeugen Streichungen und Verbesserungen vornehmen, denn es ist ihre Aussage. Bleiben nicht korrekte Wiedergaben im Protokoll zurück, beziehungsweise werden diese nicht verbessert, dann sollte die Unterschrift verweigert werden. In den meisten Fällen werden Zeugen zweimal vernommen, einmal von der Polizei und ein zweites Mal vor Gericht; vorausgesetzt es kommt zu einer gerichtlichen Verhandlung. Zeugen können auch mehrfach zur Polizei geladen werden oder zusätzlich von der Staatsanwaltschaft vernommen werden. Einer polizeilichen Vorladung kann, muss aber nicht gefolgt werden. Bei einer Ladung zur Staatsanwaltschaft oder zu Gericht besteht hingegen eine Pflicht zum Erscheinen und zur Aussage. Wenn der Ladung nicht gefolgt wird, kann die geladene Person zwangsweise von der Polizei vorgeführt und ein Ordnungsgeld verhängt werden.
Unsicherheit bei Vernehmungen
Bei Vernehmungen werden Zeugen zunächst nach ihren Personalien und anschließend zu dem Vorfall befragt. In den meisten Fällen folgen dem ersten Bericht der Zeugin/ des Zeugen konkrete Nachfragen. Es kommt vor, dass nach Details bestimmter Sachverhalte mehrfach gefragt wird. Der Grund ist, dass diese den ermittelnden Beamten oder den Prozessbeteiligten im Gericht wichtig erscheinen. Warum gerade nach diesen Details gefragt wird, ist für Zeugen nicht immer einsichtig, da sie nicht alle Informationen aus den Ermittlungsakten kennen. Zeugen sollten nicht versuchen, den Sinn aller Fragen zu ergründen, denn dadurch kann die eigene Aussage beeinflusst werden. Als Zeuge sollte einfach das gesagt werden, was noch erinnert wird. Wenn Unsicherheiten bestehen, Details nicht erinnert werden oder über einzelne Sachverhalte keine Kenntnis besteht, sollte dies unbedingt gesagt werden. Sie machen sich sonst strafbar. Zeugenaussagen können zermürbend sein und in den meisten Fällen dauern sie länger als erwartet. Aber sie können eine entscheidende Rolle spielen. Wenn Betroffene rechter Gewalt ein Interesse an einer Strafverfolgung der Täter haben, dann können Zeugenaussagen Dritter eine große Unterstützung darstellen. Psychologisch hilft es den Betroffenen, wenn ihr Bericht des Vorfalls bestätigt wird, rechtlich ist die Aussage im Sinne der Beweisführung gegen die Angeklagten wichtig. Wer sich unsicher fühlt, allein zur Polizei zu gehen oder bereits schlechte Erfahrungen gemacht hat, weil er oder sie diskrimierend oder unrechtmäßig behandelt wurde, kann sich den Weg mit einer Begleitung des Vertrauens erleichtern. Bei der Polizei liegt es im Ermessen der Beamten, ob die begleitende Person auch bei der Vernehmung anwesend sein darf. Möglich ist dies. Eine angenehmere Atmosphäre kann zu einer qualitativ besseren Aussage beitragen.
Opfer brauchen Zeugen
Wichtig ist in jedem Fall sich folgendes vor Augen zu führen: Wenn Neonazis die Erfahrung machen, dass sie zuschlagen können und alle Zeugen aus Angst schweigen, werden sie sich ermutigt fühlen, so weiterzumachen wie bislang. Wenn sich jedoch Zeugen melden, bedeutet dies für das Opfer des Angriffs eine wichtige, oftmals entscheidende Unterstützung. Werden bei einer Gewalttat die Betroffenen geschlagen und noch am Boden liegend getreten, können sie meistens die Täter nicht identifizieren. Die Betroffenen sind vollauf damit beschäftigt, sich selbst zu schützen indem sie beispielsweise die Hände vor das Gesicht halten. Umso wichtiger können Zeugenaussagen sein, die mutmaßliche Täter identifizieren können und/oder einzelnen Tätern einzelne Taten zuordnen. Zudem macht es für die direkt Betroffenen einer rechten Gewalttat einen großen Unterschied, wenn sie im Nachhinein erfahren, dass es Menschen gibt, denen der Angriff nicht egal ist und die sich an ihre Seite stellen, indem sie sich den Strafverfolgungsbehörden als Zeugen zur Verfügung stellen.
Zeugen vor Gericht
Zeugenaussagen haben eine große Bedeutung für den Ausgang eines Verfahrens und dadurch für die Anerkennung des Unrechts, das die geschädigte Person erlitten hat. Vor Gericht auszusagen ist eine für die meisten Menschen neue Situation, die zu Nervosität führen kann. Darauf kann man sich vorbereiten. Bei einer Aussage vor Gericht sind die meisten Menschen aufgeregt. Das ist verständlich. In der Regel sitzen relativ viele Menschen im Gerichtsaal, die entweder zuhören oder als Prozessbeteiligte das Recht haben, Zeugen Fragen zu stellen. Sagen Zeugen gegen die Angeklagten aus, kann eine Begleitung zur Gerichtsverhandlung erleichternd sein. Wenn sie alleine zum Prozess gehen, fühlen sich viele Zeugen von möglicherweise anwesenden Unterstützern oder Freunden der Angeklagten eingeschüchert oder bedroht.
Ablauf im Gerichtssaal
Die Befragung der Zeugen vor Gericht beginnt erst, nachdem die Anklageschrift von der Staatsanwaltschaft verlesen und die Angeklagten zu den Anschuldigungen befragt wurden. Bis zu diesem Zeitpunkt müssen Zeugen vor dem Saal warten, damit ihre spätere Aussage nicht von dem im Gerichtsaal Gesprochenen beeinflusst wird. Anschließend werden sie einzeln aufgerufen. Alle Prozessbeteiligten haben das Recht, Fragen an die Zeugen zu richten. Dazu zählen die Richter und gegebenenfalls ehrenamtliche Richter aus der Bevölkerung, so genannte Schöffen, die Vertretung der anklagenden Staatsanwaltschaft, die Verteidiger der Angeklagten, die Rechtsanwälte, die Opfer als Nebenkläger vertreten sowie Sachverständige. Als erstes wird die Vorsitzende Richterin/der Vorsitzende Richter Fragen stellen, anschließend gegebenenfalls die weiteren Prozessbeteiligten. Für Zeugen besteht eine Aussage- und Wahrheitspflicht. Unter bestimmten Voraussetzungen besteht ein Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrecht.
Zeugenbefragung
Auch wenn Zeugen in einer polizeilichen Vernehmung bereits alles gesagt haben, müssen sie dies vor Gericht wiederholen. Für die Urteilsfindung darf nur das herangezogen werden, was im Rahmen der Hauptverhandlung ausgesagt bzw. eingebracht wurde. Die Verteidiger, also die Rechtsanwälte der Angeklagten, werden die geschädigte Person sowie die Zeugen, die die Anklage gegen die Beschuldigten stützen, möglicherweise besonders scharf und wiederholt befragen. So können Verteidiger jene Zeugen, deren Aussagen dem Interesse ihrer Mandanten zuwiderlaufen, versuchen, aus der Ruhe zu bringen und als unglaubwürdig darzustellen. Zeugen sollten versuchen, sich auch durch aggressive Nachfragen nicht verunsichern zu lassen, sondern konsequent bei der Aussage zu bleiben, die nach der eigenen Erinnerung die richtige ist. Zeugen können so genannte Vorhalte gemacht werden: Textpassagen aus ihrer polizeilichen Vernehmung werden vorgetragen, um die Zeugen zu dieser früheren Aussage zu befragen. Ein Vorhalt klingt zwar wie ein Vorwurf, aber das ist es nicht. Man kann bestätigen, dass früher Gesagtes mit Sicherheit richtig war, wenn man sich vor Gericht nicht mehr genau erinnern kann. Sollten Unsicherheiten aufgrund von Erinnerungslücken auftreten, sollte dies einfach mitgeteilt werden.
Aussage unter Eid
Nur selten werden Zeugen nach ihrer Aussage vor Gericht vereidigt. Eine Vereidigung bedeutet, dass Zeugen den Wahrheitsgehalt ihrer Aussage wortwörtlich beschwören müssen. Eine Falschaussage unter Eid kann strafrechtlich schwerwiegende Folgen haben. Die Vereidigung wird vorgenommen, um der Aussage ein höheres Gewicht zu verleihen oder um eine wahrheitsgemäße Aussage zu erzwingen, indem mit den strafrechtlichen Konsequenzen gedroht wird. Manche Verteidiger lassen Zeugen auch allein deshalb vereidigen, um sie mit dem befremdlichen Vorgang und der Erwähnung von Strafen zu verunsichern.
Einige grundsätzliche Gedanken zur Zeugenschaft
Wer Zeuge einer rechten Gewalttat wird, muss sehr schnell Entscheidungen treffen. Zusehen? Wegsehen? Eingreifen? Auf welche Weise? Wenn sich Zeugen dazu in der Lage fühlen und sich angemessen verhalten, können sie in bestimmten Situationen einen Angriff abwenden oder das Opfer schützen. Zeugen werden mit Gewalttaten unvorbereitet konfrontiert. Sie haben nur sehr wenig Zeit, um ihr Verhalten abzuwägen. Zugleich müssen sie ein schwieriges Problem lösen. Sie müssen sich selbst und möglicherweise auch ihre begleitenden Angehörigen schützen – und sie müssen dem Opfer beistehen und sich dadurch in Gefahr begeben. Allzu oft werden Zeugen durch diesen Widerspruch handlungsunfähig und tun wenig oder nichts, um dem Opfer zu helfen.
Handeln ohne sich selbst in Gefahr zu bringen
Dieses Problem kann nicht durch allgemeingültige Verhaltensmaßgaben gelöst werden. Gewaltsituationen sind unterschiedlich; die psychischen und physischen Handlungsmöglichkeiten von Zeugen sind individuell verschieden. Trotzdem gibt es Schritte, die jede und jeder unternehmen kann, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen. Dazu gehört, die Polizei und gegebenenfalls einen Krankenwagen zu rufen und sich als Zeuge zur Verfügung zu stellen. Es ist angesichts der Zahl von Gewaltstraftaten sehr wahrscheinlich, dass man ein- oder mehrmals im Leben wird entscheiden müssen, ob man einem bedrohten Menschen beisteht – oder ob man nichts tut. Es ist absolut hilfreich, sich vorher zu überlegen, was man tun will und sich dieses fest vorzunehmen. Dabei sollte man sich nicht allein mit eigenen Empfindungen auseinandersetzen, sondern sich zugleich vorstellen, wie das eigene Verhalten auf das Opfer und auf die Täter wirken könnte.
Opfer brauchen aktive Zeugen
Wird ein Mensch vor den Augen Anderer, etwa in der Bahn, erniedrigt und geschlagen, ohne dass diese eingreifen, muss er davon ausgehen, dass sie das Geschehen dulden oder den Tätern zustimmen. Täter werden das Schweigen oder Wegsehen von Zeugen häufig als Bestätigung ihres Handelns erleben und sich ermuntert fühlen fort zu fahren. Dies gilt insbesondere, wenn auf erste Pöbeleien und Schläge keine Reaktion erfolgt. Dagegen könnten sie stark verunsichert werden, wenn sich Einzelne aus einer Zuschauergruppe sofort auf die Seite des Opfers stellen. Die Täter können dann nicht einschätzen, wie sich die übrigen Zeugen verhalten werden. In sehr vielen Situationen wird es möglich sein, durch eine entschlossen auftretende Überzahl Täter von weiterer Gewalt abzubringen. Nur wird eine solche Übermacht erst hergestellt, wenn eine oder einer den ersten Schritt tut. Man sollte sich überlegen, ob man dazu in der Lage wäre. Wenn es zur Abwehr eines Angriffs auf die eigene oder auf eine dritte Person geboten ist, sind Handlungen erlaubt, die sonst strafbar wären. Das betrifft auch und insbesondere Gewaltanwendung. Es gilt dabei die Verhältnismäßigkeit, nach der nur in dem Maße Gewalt angewendet werden darf, das zur Abwehr eines Angriffs unmittelbar erforderlich ist.
Foto oben: Flickr / Collin Kay / CC BY-ND 2.0
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