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IDZ-Interview zu Sonneberg „Die Menschen wählen die AfD nicht trotz, sondern wegen ihrer Inhalte“

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Extrem rechte Wahlparty beim Sieg des ersten AfD-Landrats in Sonneberg. Björn Höcke (l) , Vorsitzender der AfD Thüringen und Tino Chrupalla, AfD-Bundesvorsitzender (r) gratulieren dem Wahlsieger des Thüringer Kreis Sonneberg, Robert Sesselmann (AfD, M) (Quelle: picture alliance/dpa | Martin Schutt)

Im Landkreis Sonneberg hat der AfD-Kandidat Robert Sesselmann am Sonntag die Stichwahl um das Amt des Landrats gewonnen. Es ist das erste kommunale Spitzenamt für die vom Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall beobachtete Partei – bundesweit. Die Unterstützung von Linken, SPD, Grünen und FDP für den CDU-Gegenkandidaten Jürgen Köpper reichte nicht aus, um den AfD-Erfolg zu verhindern. Nächstes Jahr gibt es Landtags- und Kommunalwahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg sowie Kommunalwahlen in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern. Ist Sonneberg ein Präzedenzfall? 

Wir sprachen mit Janine Patz und Axel Salheiser vom Institut für Zivilgesellschaft (IDZ) in Jena über die Ereignisse in Sonneberg. Die Wissenschaftler*innen des IDZ beobachten und analysieren Radikalisierung und Demokratiefeindlichkeit in Thüringen, um mit diesen Erkenntnissen demokratische Kultur und Zivilgesellschaft zu stärken, insbesondere im ländlichen Raum in Thüringen. 

Belltower.News: Viele Menschen sind erschrocken: Deutschland hat den ersten AfD-Landrat. Wie konnte es dazu kommen?

Axel Salheiser: Zunächst einmal ist offensichtlich, dass es den demokratischen Parteien und hauptsächlich der CDU und ihrem Kandidaten, Jürgen Köpper, nicht gelungen ist, auch die Wähler*innen anderer demokratischer Parteien dafür zu mobilisieren, in ausreichender Zahl für den Kandidaten der CDU zu stimmen. Die Thüringer AfD ist eine antidemokratische, rechtsextreme Partei. Und umso schlimmer wiegt es, dass dies Wähler*innen nicht abschreckt. Vielmehr scheint das Narrativ zu verfangen, die AfD sei eine demokratische Alternative, die von den Altparteien diskriminiert und ausgegrenzt werde. 

Janine Patz: Das Ergebnis – so aufgeschreckt darüber gerade berichtet wird – kam aber keinesfalls überraschend. Vielmehr ist es zurückzuführen auf gefestigte demokratiefeindliche Einstellungspotenziale und vor allen Dingen auch auf ein gewachsenes AfD-Wähler*innen-Potenzial. Schon bei der letzten Landratswahl 2018 kam in Sonneberg derselbe Kandidat auf knapp 30 Prozent und zur letzten Bundestagswahl 2021 holte die AfD im Landkreis die meisten Stimmen. Auch ein Blick in die Zeit vor der Existenz der AfD zeugt von der zunehmenden Schädigung der demokratischen Kultur. So konnte die damalige NPD (jetzt „Die Heimat“) bereits vor fast 20 Jahren in einigen Gemeinden zweistellige Ergebnisse einfahren, so zum Beispiel in Goldisthal, bei der Bundestagswahl 2005.

Können Sie beschreiben, was Sonneberg für eine Region ist? Was zeichnet den Landkreis aus?

Axel: Der Landkreis hat große demografische und auch strukturelle Problemlagen. Er hat ein niedriges Einkommensniveau auch im Thüringer Kreisvergleich. Ich vermute, dass auch Gefühle des Abgehängtseins, Zukunftsangst und Desorientierung bei der AfD-Wahl eine Rolle spielen. Umso schlimmer ist es, dass demokratische Parteien offensichtlich keine Deutungs- und Lösungsangebote machen konnten, die eine Mehrheit überzeugt haben.

Janine: Der Landkreis Sonneberg ist zwar in der Fläche und bezüglich seiner Bevölkerung der kleinste Landkreis in den neuen Bundesländern. Dennoch kann er als typischer Kreis in einer sehr ländlich geprägten Region beschrieben werden, mit demographischen, infrastrukturellen und offensichtlich auch demokratischen Herausforderungen.

Nun ist wieder viel die Rede von einer sogenannten Protestwahl. Was ist da dran?

Axel Salheiser: Der Ausdruck „Protestwahl“ ist aus politikwissenschaftlicher und soziologischer Betrachtungsweise sehr schwer einzuordnen. Eine hohe politische Unzufriedenheit drückt sich auf jeden Fall auch in der Wahl aus. Es waren aber weniger regional politische Themen und weniger konkrete, personenbezogene Sachfragen, mit denen die AfD punkten konnte, als vielmehr das symbolpolitische Element, was die AfD überregional beziehungsweise deutschlandweit betont. Von der Wahl in Sonneberg sollte ein Signal ausgehen, dass sogar eine Bevölkerungsmehrheit den demokratischen Parteien und ihrer Politik eine Absage erteilt. Und das hat sicherlich auch etwas mit den Problemlagen und der Unzufriedenheit mit den Ergebnissen demokratischer Politik vor Ort zu tun.

Janine: In der Region haben sich antidemokratische Positionen über einen langen Zeitraum verfestigt, was nicht nur die bereits genannten Wahlergebnisse zeigen. 

Die Menschen wählen die AfD nicht trotz, sondern wegen ihrer Inhalte. Viele wählen aus Überzeugung. Als Protest kann diese Wahl nur in dem Sinn gedeutet werden, dass die allumfassende „Systemkritik“, die Deligitimation demokratischer Politik, Strategie der Partei ist, welche von den Wählenden honoriert wurde.

Womit hat die AfD in Sonneberg Wahlkampf gemacht?

Axel: Hauptsächlich ging es um Migration, Asyl und die Unterbringung von Geflüchteten. Außerdem um Themen wie „Rettet den Diesel“, Energiepolitik und Rhetorik gegen den Euro.

Janine: Sesselmann hat zudem für Friedensverhandlungen mit Russland, ein Ende der Sanktionspolitik und für schnellere Abschiebungen geworben. Alles Themen, die überhaupt nicht in den Kompetenz- und Handlungsbereich eines Landrates fallen. Auch das kann als Indiz für einen Mangel an demokratischer Urteils- und Handlungskompetenz gewertet werden. Die Menschen sind weniger für faktenorientierte, sachliche und lösungsorientierte Politik empfänglich.

Ist es ein Dammbruch?

Axel: Ich möchte das Wahlergebnis nicht als Dammbruch bezeichnen. Dennoch ist es ein sehr, sehr deutliches Ergebnis. Aber dass nun ein Erdrutschsieg und ein Marsch durch die Institutionen ansteht, wie die AfD behauptet, das glaube ich nicht.

Janine: Dennoch wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit kein Einzelfall bleiben. Das Ergebnis des Landkreises Sonneberg kann sich jederzeit woanders wiederholen. Eine entsprechende politische Kultur und bereits hohe Zustimmungswerte für die AfD finden sich vielerorts, insbesondere im Osten des Landes.  

Was muss sich ändern?

Axel: Es braucht unbedingt eine Verbesserung der politischen Kommunikation vonseiten aller demokratischer Parteien. Es muss einen Konsens für die überzeugende, bürgernahe Politik geben, die eben auch vermittelt wird. Themenklau bei der AfD bringt nichts. Zudem müssen ganz konkret zivilgesellschaftliche Initiativen vor Ort gestärkt werden. Vereine und Menschen, die sich vor Ort engagieren, zum Beispiel für Asylsuchende und für eine diverse, offene, plurale Gesellschaft.

Janine: Antidemokratische Narrative und Politikstile dürfen nicht übernommen werden, schon gar nicht, wenn um Wähler*innenstimmen gekämpft wird. So erfahren demokratie- und menschenverachtende Inhalte nicht nur eine Normalisierung und Legitimation – was letztendlich die Demokratiefeinde stärkt. Vor allem aber kann es so nicht gelingen, die Demokrat*innen geeint hinter sich zu versammeln und gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern.

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