Die Fähigkeit zur dauerhaften und langanhaltenden Empörung der „Querdenken”-Szene ist so traurig wie faszinierend. Zwischen ihrer Wut über putinfeindliche Propaganda im Ukraine-Krieg, steigende Spritpreise und satanistische Kabalen kommen diese Menschen vermutlich kaum zum Durchatmen. Nun müssen sie sich auch noch über die kommende Impfpflicht echauffieren, über die der Bundestag am 17. März diskutieren wird. Dass diese Impflicht mit einer Rücknahme bestimmter Corona-Maßnahmen einhergehen soll, interessiert die Dauerempörten wenig.
Von der Bayernpartei über den Kopp-Verlag bis hin zu eingefleischten Neonazis sehen sich Impfgegner:innen durch das neue Gesetz offenbar in ihrem Recht auf die Verbreitung eines potenziell tödlichen Virus bedroht. Lichtblick in der Szene ist die Alpenrepublik Österreich: dort war eine Impfpflicht geplant gewesen, wurde aber kurz vor der Einführung wieder ausgesetzt, obwohl die Inzidenzwerte seit Pandemiebeginn auf Höchststand sind. Um zu erreichen, dass die Impfpflicht auch in Deutschland nicht durchgesetzt wird, plant die „Querdenken”-Bewegung mehrere Aktionstage in Berlin.
Unter dem pathetischen Titel „Stoppt den Krieg gegen die gesamte Menschheit“ findet am 16. März eine Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen statt, am 17. März, dem Tag der Diskussion im Bundestag, eine „Demo für freie Impfentscheidung“ und am folgenden Tag ein „Aufzug für Frieden, Freiheit, Selbstbestimmung“. Angesichts der eher mäßigen Teilnehmer:innenzahlen der letzten Veranstaltungen stellt sich jedoch die Frage, wie erfolgreich die Aktionen sein werden. Die innerhalb der letzten Wochen kräftig angeheizte Kampagne gegen die Impfpflicht könnte den Demonstrationen jedoch Zulauf verschaffen.
Rechtsaußen-Politiker:innen setzen sich voller Überzeugung gegen eine drohende „Impfdiktatur“ ein. Die AfD gibt in einer Pressemitteilung bekannt: „Eine Impfpflicht darf es nicht geben. Es muss die Entscheidung eines jeden Einzelnen bleiben, ob, wann und mit was er sich impfen lässt. Insbesondere ist zu beachten, dass die Impfung gegen das Covid-19-Virus weder vor einer Infektion, noch davor schützt, das Virus weiterzutragen. Auch gibt es keine umfassende Analyse von Impfnebenwirkungen.“ Einerseits verschweigt die Partei so geflissentlich, dass eine Impfung die einzige Maßnahme gegen einen schweren Verlauf ist, andererseits verlagert sie den Umgang mit der Pandemie auf das einzelne Individuum anstatt auf die Gesamtgesellschaft. Bayernpartei-Politiker Alexander Hilger schlägt auf Twitter vor, juristisch gegen die Impfpflicht vorzugehen. Die Neonazipartei „Der III. Weg“ ist ein wenig praxisorientierter und geht direkt auf die Straße. NPD und „Freie Sachsen“, zwei Parteien mit personellen Überschneidungen, setzen sich ebenfalls seit Monaten gegen die Impfplicht ein. Die Position wird stellenweise auch von bürgerlichen Parteien mitgetragen.
Vor allem auf Telegram wird gegen die Schutzmaßnahme mobil gemacht. Zahlreiche Gruppen und Kanäle, die allesamt wenig originell „Gegen die Impfpflicht“, „Nein zur Impfpflicht“, „Impfpflicht nein danke“ oder andere Variationen als Namen tragen und zwischen einigen hundert bis über 50.000 Abonnent:innen haben, verbreiten Panikmache und Falschnachrichten.
Impfungen hätten tödliche Nebenwirkungen, die Impfpflicht sei ein Türöffner für Grundrechtseinschränkungen und eine Methode, die Gesellschaft von Abweichlern zu „säubern“ – Verschwörungsnarrative, Opferinszenierungen und NS-Vergleiche dominieren den Diskurs. Unterstützung erhält die Bewegung durcheinem offenen Brief von 81 Wissenschaftler:innen , die eine Impfpflicht als „verfassungswidrig“ kritisieren. „In dem Wissen, wie sehr die Diskussion unsere Gesellschaft in den vergangenen Monaten erschüttert und gespalten hat, bitten wir Sie, die Debatte um die Impfpflicht als Möglichkeit zu nutzen, andere, für unsere Demokratie heilende und versöhnende Wege einzuschlagen“, so das Ende des Briefes. „Für unsere Demokratie heilende und versöhnende Wege“ bedeutet in diesem Fall: ein weiteres Zugehen auf Menschen, die keinerlei Skrupel haben, Morddrohungen zu verfassen, Journalist:innen zu attackieren oder vor den Häusern von Politiker:innen aufzumarschieren.
Einige der Unterzeichnenden, darunter der Esoterik-affine Mediziner Karl Hecht oder der Thüringer Geologe Thomas Aigner sind schon häufiger durch Bekenntisse an die Corona-Leugner:innenszene aufgefallen, viele sind keine Mediziner:innen, sondern gehen anderen Fachgebieten nach. Auch Geistliche, die wie der „Gemeindebegründer, Theologe und Missionsleiter“ Dr. Lothar Gassmann beste Verbindungen zur radikalen Rechten haben, sprechen sich gegen die Impfung aus. Der von Gassmann auf Telegram veröffentlichte Brief verbindet Aspekte eines christlichen Fundamentalismus, Wissemschatsfeindlichkeit und Abtreibungsgegner:innenschaft: „So halten wir es mit vielen Christen für unethisch, Impfstoffe zu nehmen, bei deren Erforschung, Herstellung oder Testung fetale Zelllinien verwendet wurden, die den Körpern abgetriebener Kinder entnommen wurden. Viele Christen sind zudem von der Wirkweise und Sicherheit der Impfstoffe nicht überzeugt und können sich daher nicht guten Gewissens eine Injektion verabreichen lassen, von der sie fürchten, sie könne ihrem gottgegebenen Körper schaden. Da unser Körper Gott gehört und nicht dem Staat, dürfen wir uns in bestimmten Angelegenheiten des Körpers nicht einfach dem Staat unterordnen.“
Der christliche Fundamentalist und Antifeminist Matthäus Westphal begründet auf seinem Kanal „Aktivist Mann“die Impf-Verweigerung mit dem feministischen Slogan „My body, my choice“ und setzt so den Kampf um körperliche Selbstbestimmung gegen patriarchale Herrschaft mit der infantilen Angst vor einem Pieks gleich. Danach fantasiert er in bester QAnon-Manier von Politiker:innen und Würdenträger:innen wie Queen Elizabeth II. als Teile eines satanistischen Kults.
Auch Querdenken-Anwalt Markus Haintz appelliert in einem Video mit dem rechtspopulistischen österreichischen Sender Report24 dafür, juristische Maßnahmen gegen die Impfpflicht zu ergreifen. „Wenn das Justizsystem irgendwann fünfzehn Millionen Ordnungswidrigkeiten bescheiden muss, bricht es zusammen. Auf diesem Wege kann man sich auch juristisch wehren. Denn das System kann nicht gegen zehn bis fünfzehn Millionen Bürger vorgehen, als ob sie Kriminelle wären.“
Der YouTuber und Impfgegner Gunnar Kaiser, der im Rahmen der Pandemie eine Wandlung vom wirtschaftsliberalen Intellektuellen zum Verschwörungsgläubigen vollzogen hat, veröffentlicht demnächst im Kopp-Verlag das Buch „Die Ethik des Impfens“, das reißerisch die Dystopie „einer allumfassenden Biotechnokratie, die die Rechte ihrer Untertanen von ihrem Biostatus abhängig macht“ aufmacht.
Der Blogger David Berger wird in seiner Empörung noch konkreter. Auf seiner Seite „Philosophia Perennis“ schreibt er: „Was hier geplant ist, hat nichts mehr mit einem verhältnismäßig harmlosen Virus zu tun. Dem Bürger soll (nachdem man seinen Hirn über die gleichgeschalteten Medien gewaschen und seine Psyche mit immer neuen Angstszenarien komplett aus dem Gleichgewicht gebracht hat) endgültig klar gemacht werden, das auch sein Körper und seine Gesundheit nicht mehr ihm gehören, sondern dem System. Was hier geplant ist, widerspricht allen ethischen Grundsätzen, den Menschenrechten und unserer Verfassung. Jeder Bundestagsabgeordnete, der für eine Impfpflicht und für weitere Basisschutzmaßnahmen stimmt, stellt eine enorme Bedrohung unserer Freiheit dar. Was hier geplant ist, stellt den vorerst letzten Gipfelpunkt des Corona-Faschismus dar.“ Anschließend veröffentlicht er eine „Liste der Schande“ mit den Namen jener Abgeordneter, die sich für eine Impfpflicht ausgesprochen haben. Solche „Listen“ sind ein unausgesprochener Appell an die Leser:innen, die genannten zu belästigen. Dass Bergers Artikel beispielsweise in reichweitenstarke Kanäle aus dem antisemitischen QAnon-Spektrum geteilt wurde, zeigt, dass Berührungsängste zwischen „Liberal-Konservativen“ Impfgener:innen, wie Berger sich nennt, und lupenreinen Faschist:innen weitestgehend verschwunden sind. Trotz der Tatsache, dass die Impfgegner:innenbewegung ihren Höhepunkt bereits überschritten hat, sollte ihr Radikalisierungs- und Gefahrenpotential weiterhin nicht unterschätzt werden.