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IB = In Berlin Martin Sellner möchte blau sein, doch es ist kompliziert

Ein neuer Beitrag zur Frage „Wie rechtsextrem sind Rechtsextreme?“ Ex-IB-Erfinder und ehemals „Neurechter“ Martin Sellner steht im Wind vor dem Berliner Reichstag und träumt von rechtsradikalen Kampftruppen.

 
Wir haben auch eine Theorie, warum Patrioten immer verlieren. Weil die Mehrzahl der Menschen demokratische Werte und Menschenreche schätzt. Sellners Theorie ist anders. (Quelle: Screenshot YouTube)

Der Anfang war vielversprechend. Mit der von Martin Sellner mitbegründeten „Identitären Bewegung“ schickte sich die rechtsextreme Szene Mitte der 2010er Jahren erstmals an, ein nicht gänzlich unintelligent gemachtes jugendkulturelles Angebot on- und offline zu entwickeln: Nicht mehr rückwärtsgewandt neonazistisch sollte die „Bewegung“ sein, sondern „patriotisch“ und „heimatverbunden“ (was aber doch wieder rassistisch, islamfeindlich, demokratiefeindlich meinte). Es passte zur Zeitstimmung: Mit „Pegida“ und der AfD regten sich weitere „patriotische“ Kräfte, um mehr oder weniger dezent verbrämt Rassismus und Demokratiefeindlichkeit zu verbreiten, um in der breiteren Bevölkerung Zustimmung zu erlangen.

Der Rechtspopulismus der 2010er hat sich rapide radikalisiert

„Pegida“ entschwand bis 2020 außerhalb von Dresden in die Bedeutungslosigkeit – nicht, ohne vorher relevante Vernetzungsprozesse zu ermöglichen, die zumindest in den östlichen Bundesländern jederzeit neue „Wutbürger“-Demonstrationen ermöglichen, wie die jüngsten Pandemie-Proteste zeigen. Die AfD radikalisiert sich gefühlt mit jedem Tag mehr, der „Flügel“ ist nun der Rumpf der Partei und alle, die den rechtsradikalen Kurs nicht mittragen wollen, verlassen in Scharen die Rechtsradikalen. Die nächsten dürften die AfD-Abgeordneten in Bischofswerda sein, die ein Siedlungsprojekt des rechtsradikalen HipHopper Chris Ares nicht mittragen wollten und deshalb aktuell einem massiven innerrechten Hasssturm ausgesetzt sind.

Martin Sellner, Kopf der aktuell eher inaktiven „Identitären“ in Deutschland und Österreich, steht derweil im stürmischen Wind vor dem Berliner Reichstag – so zeigt es sein Video auf YouTube –  und analysiert aus seiner Perspektive das Scheitern des Rechtspopulismus in Deutschland und der Welt. Rein in den Bundestag darf er offenkundig nicht. Er ist ein „Politikberater“ ohne Resonanzraum außerhalb der sozialen Netzwerke, die er allerdings weiterhin mit großen Fleiß, aber beschränkter Reichweite bedient. Wen er zu dringlichen Gesprächen in Berlin getroffen haben will, bleibt seine Sache – die „Identitären“ in Berlin waren es offenkundig nicht, denn die sind seit November 2019 nicht mehr öffentlich in Erscheinung getreten.

Sellner: Der Rechtspopulismus ist gescheitert

Sellners Analyse des Scheiterns des Rechtspopulismus ist mäßig interessant, weil sie wenig neue Ideen enthält – „Metapolitik“ sei wichtiger als „Parlamentspatriotismus“, wer im Parlament sitzt, habe keine wirkliche Macht, wenn er oder sie die Presse, die Kultur, die Kabarettist*innen, die Kirche und vor allem die Universitäten gegen sich habe. Statt sich wählen zu lassen und zu viele Kompromisse einzugehen, hätten AfD- und FPÖ-Politiker*innen lieber eine außerparlamentarische Bewegung anstoßen sollen, um somit die Metapolitik zu beeinflussen. Was Sellner an dieser Stelle verschweigt: Die Versuche der IB, selbst Einfluss auf die universitäre Welt zu nehmen (die „Rückeroberung des geistigen Raums der Nation“, wie Sellner schwülstig formuliert), wie etwa in Halle, sind in großen Stil gescheitert. Auch die „Bewegung“, die die IB sogar selbst im Namen trägt, ist der selbsternannten „Neuen Rechten“ trotz intensiver Bemühungen nicht geglückt.

Tja, und nun haben die Rechtsradikalen den Salat. Die demokratische Gesellschaft in Deutschland und Österreich will einfach keine „patriotischen, einwanderungskritischen Positionen“, sondern pflegt „Schuldkult und Leugnung des Volkes“, pflegt einen „verlogenen Begriff des Rechtsextremismus durch linksextreme Experten“ und betreibt das „Zuschnüren der freien Rede durch Hate-Speech-Gesetze“.

Sellner macht blau

Und nun? Offenbar wären die „gescheiterten“ Parteien wie die AfD immer noch für eine Finanzierung gut (so lange sie im geschmähten Parlament sitzen und dadurch Gelder beziehen). Sellner wünscht sich eine „Blaue Hilfe“ gegen „digitale Zensur“ und „Gesinnungsjustiz“, die Anwälte stellt und den Opfern von „linksextremem“ Vandalismus hilft und so die „finanzielle Vernichtung“ der Aktivist*innen abfedert. Da solle die Partei „Schild und Schwert des patriotischen Lagers“ sein. Eine interessante Formulierung. „Schild und Schwert“, so hieß auch eine große Rechtsrock-Festival-Serie, wegen der „SS“-Abkürzung. Übrigens gab es so eine „Alternative Hilfe“ schon einmal, nur wurde sie offenbar 2019 ohne große Resonanz eingestellt (vgl. AIB).

Würde man das aber weiterdenken, wäre sein zweiter Wunsch eine „SA“ – eine „patriotische“ Kampftruppe gegen alle, die anderes denken als die rechtsradikale Szene. Nur heißt die bei Sellner „Blaue Security“ und solle die „patriotische Bürgerbewegung“ und Demonstrationen vor „Angriffen“ schützen. Dazu sollen „Blaue Detekteien“ die Täter*innen, natürlich „in Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden“, bespitzeln und damit ein internes Antifa-Archiv anlegen. Dafür könne man etwa als „Honeypots“, also als Fallen, AfD-Kastenwägen neben „dem linksextremen Sumpf“, der für Sellner offenbar einen realen Ort hat, parken – und dann die Täter*innen überführen. Mit „Anti-Antifa-Arbeit“ – so heißt das Ausspionieren und Bedrohen politischer Gegner*innen in der rechtsextremen Szene – habe das aber nichts zu tun.

Hätte der neurrechte IB-Ziehvater Götz Kubitschek sich nicht schon im letzten Herbst von den „Identitären“ distanziert, da sie ihm zur rechtsextrem kontaminiert erschienen, wäre jetzt wieder eine Gelegenheit gewesen.

Allerdings ist die AfD – und der FPÖ geht es nicht anders – im Moment mehr mit sich selbst beschäftigt als mit Sellners Monologen, der dies entsprechend beklagt: Die würfen alles Geld heraus für Werbekampagnen, „eigene Pfründe“ und Parteiausschlussverfahren, statt den „metapolitischen Kampf“ zu unterstützen, und so würde das alles nichts.

Das Berlin für sein Begehr verloren ist, musste Martin Sellner dann auch noch in der Kneipe feststellen.

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