Am Freitag, dem 28. Mai, haben US-Behörden im texanischen Kerrville den 28-jährigen C.T. B.* festgenommen. Er soll einen Anschlag in einer Filiale der Supermarktkette Walmart geplant haben – nach dem Vorbild von Anders Breivik und dem Christchurch-Massaker. Die Ermittler:innen sagten, sie hätten am Donnerstag eine Nachricht von B.s abgefangen, in der er erwähnte, eine „Massenschießerei vorzubereiten”. Der 28-Jährige wurde wegen terroristischer Bedrohung angeklagt. Er war 2016 bereits in mehreren Fällen von Drogenbesitz verurteilt worden.
„InJekt Division” – in Anlehnung an die „Atomwaffen Division”
Haben wir es hier wieder mit einem angeblich nur „verwirrten”, „einsamen Wolf”-Typus zu tun? Wohl kaum. Schaut man sich seine Internet-Auftritte an, erkennt man einen jungen Mann, der im Netz radikalisiert wurde. Er selber sieht sich als Teil der transnationalen digitalen neofaschistischen Terrorgruppe „InJekt Division”.
In ihrer Optik und in ihrem Habitus ist sie stark an die „Atomwaffen Division” (AWD) angelehnt. Doch statt dem Atom-Abzeichen ziert hier eine halb aufgezogene Spritze das Wappen. Genau wie bei der AWD handelt es sich jedoch auch hier um eine akzelerationistische Terrorgruppe mit dem Ziel, eine weiße, männliche und heterosexuelle Hegemonie zu verteidigen, im Idealfall mit Gewalt. Im rechtsextremen Sinn sollen Aktivist*innen mittels Attentaten Chaos und Unsicherheit auslösen, was zu einem Bürgerkrieg führen soll, an dessen Ende letztendlich ein weißer faschistischer Staat steht.
Mottenkiste seiner Gedankenwelt
Ein Foto des Polizeireviers von Kerr’s County mit dem aus der Wohnung des Attentäters konfiszierten Beweismaterial gibt einen ersten Einblick in die Mottenkiste seiner Gedankenwelt: Flaggen mit Symbolen wie der „Schwarzen Sonne“, der Konföderierten, der falangistischen Partei des spanischen Diktators Franco. Außerdem Flaggen mit dem Kreuz der russisch-orthodoxen Kirche sowie des Landes Saudi-Arabien.
Ebenfalls auf dem Tisch liegt eine Reihe von Büchern, von denen einige auch in dem „InJekt Division”-Telegram-Kanal empfohlen werden. Wie zum Beispiel das Hauptwerk des Faschisten Julius Evola „Revolt against the modern world“ und „The Turner Diaries“, ein als Science Fiction-Roman getarntes Hasspamphlet, das den Kampf einer neonazistischen Terrorgruppe für die USA als weißen Ethnostaat beschreibt. Etwas aus dem Rahmen fallen sowohl die Bibel als auch der Koran. Der Täter von Kerrville ist ein Mann, der von einem tiefen Hass gegen die Errungenschaften der Moderne gezeichnet ist: Atheismus, Freizügigkeit, Kosmopolitismus, Emanzipation, Marxismus und Feminismus.
Analyse des Telegram-Kanals
Eine genauere Analyse der Postings auf dem von 270 Menschen abonnierten Telegram-Kanals von „InJekt Division“ bestätigt diesen Eindruck. Dort finden sich neben den Krieg und Faschismus glorifizierende „Fashwave“-Grafiken, dissoziativ anmutende Endzeit-Fantasien und Zitate aus der Bibel, dem Koran, und faschistischer Autor:innen. Dazwischen immer wieder wüste Beschimpfungen gegen Homosexualität, „Social Justice Warriors“, Satanist*innen, Jüdinnen*Juden und Atheist*innen.
Der deutsche User und der Öko-Faschismus
Besorgniserregend ist ein Post vom 19. März aus der Telegram-Gruppe. Darin heißt es, es gäbe nun auch ein deutsches Mitglied der Gruppe, „F. Kaczynski“. Ein Nickname, wahrscheinlich eine Referenz auf den Una-Bomber, Theodore Kaczynski.
Zwischen 1978 und 1995 tötete der „Una-Bomber“ mittels Briefbomben drei Menschen und verletzte 23 weitere. Vor seinen Morden entschied sich Kaczynski für ein selbstversorgendes Einsiedlerleben in der Wildnis. Kaczynski behauptet in seinem „Manifest“, die Technisierung unserer Gesellschaft sei desaströs für die Menschheit, da hierdurch ein „System“ mit einem inhärenten Selbsterhaltungstrieb habe entstehen können, welches mehr und mehr negativen Einfluss auf den einzelnen Menschen nimmt. Er behauptet, eine Revolution sei notwendig, damit das System bald zusammenbricht. Diese, derzeit bei extrem Rechten beliebte Ideologie bezeichnet man als Akzelerationismus (Beschleunigung).
Der mutmaßliche YouTube-Kanal des deutschen Users zeigt ihn als eine Mischung aus Amok- und Rechtsterroristen-Fan. Unter den deutschsprachigen Kanälen, denen er folgt, sind zum unter anderem „Die Rechte Dortmund“, „Der Schattenmacher“ und der islamfeindliche Kanal „achse ost:west“.
Tödliche Männerfantasien
Männer wie der verhaftete B., radikalisierte Cybernazis, betrachten sich als Krieger in einem Kampf um das Schicksal der Welt. Sie sehen sich als Vertreter ihres Geschlechts, ihrer Rasse und Kultur von allen Seiten bedroht: von der Moderne, dem Feminismus, dem Kulturmarxismus. Diese Bedrohung gilt es zu bekämpfen und sich so des eigenen Selbstbildes als soldatischer Mann zu vergewissern.
Es gilt, eine als glorreich imaginierte Vergangenheit, in der die Welt noch geordnet und nicht von Übeln wie Emanzipation und Säkularismus zugerichtet war, zurückzuerobern und dabei im besten Falle seinen Fußabdruck in den Annalen der Geschichte zu hinterlassen. In einem religiös aufgeladenen Wahn betrachtet B. diesen Krieg als eine Angelegenheit apokalyptischen Ausmaßes und schreibt pathetisch von den „Schützengräben in der Schlacht von Armageddon“. Hier verschwimmen die Bilder von Krieg und Apokalypse zu einer einzigen großen faschistischen Weltuntergangsfantasie.
Religiöser Fundamentalismus
Das Ausmalen von Weltuntergangsszenarien ist angesichts des Potpourri an fundamentalistisch-religiösen Ideologien, die innerhalb der „InJekt Division“ vertreten werden, wenig überraschend. Dennoch fällt sie in dieser Gruppe stärker auf als in anderen digitalen Terrorgruppen wie der „Atomwaffen Division“ oder in der „Feuerkriegs Division“.
Auch wenn Religion innerhalb akzelerationistischer Gruppen eher die Ausnahme ist, findet man auch in der extremen Rechten immer wieder positive Bezugnahmen auf christlichen Fundamentalismus. B. teilt in dem Kanal ein Video, in dem er mit der Totenkopfmaske der Akzelerationisten vermummt in einem Hinterhof steht und davon spricht, Schwarze und Latinos ermorden zu wollen. Er nennt sich selbst „David Koresh“; eine Referenz auf den Sektenführer der „Branch Davidians“, dem 82 Menschen in den Tod folgten.
Starke Bezüge zum Islamismus
Ebenfalls ist die Anerkennung des Islamismus als Bruder im Geiste innerhalb des Rechtsextremismus nichts Neues. Denn im Hass auf Jüdinnen und Juden, den Westen, den Feminismus, und die begeisterte Unterwerfung unter wahlweise Volkskollektiv oder Umma, genauso wie in dem Zelebrieren soldatischer Männlichkeitsentwürfe teilt man sich zahlreiche ideologische Programmpunkte. Ein weiteres gemeinsames Feindbild von Neonazis und Islamisten ist der Staat Israel als jüdischer Schutzraum. Die Angriffe seitens der Hamas, die das Land innerhalb der letzten Wochen zu erdulden hatte, wurden dementsprechend hämisch in dem Telegram-Kanal kommentiert.
Integraler Bestandteil faschistischer Bewegungen, ob es sich nun um den Nationalsozialismus, den katholischen Faschismus oder den Islamismus handelt, ist das Glorifizieren des Märtyrertodes im Namen einer übergeordneten Sache; dies findet beispielsweise in dem dschihadistischen Slogan „Ihr liebt das Leben, wir lieben den Tod“ Ausdruck. Auch das fundamentalistische Christentum zelebriert den Märtyrertod. Es ist also naheliegend, dass auch B. es sich zum Lebensziel auserkoren hat, im Rahmen einer Bluttat für den faschistischen Endsieg sich und andere mit in den Untergang zu reißen. Im besten Falle solle seine Tat zu einem Meme innerhalb der Community werden und andere Rechtsterroristen motivieren, es ihm gleichzutun.
Und in einer Sache ist man sich, ob nun Rechtsextremismus, fundamentalistisches Christentum oder Islamismus immer einig: Im Hass auf Frauen. Ein Aspekt, mit dem sich gekränkte Männer besonders gut identifizieren können.
Der Wunsch nach Anerkennung
Es scheint, als sei C.T. B. Teil eines neuen rechtsextremen Tätertypus: Junge Männer, die sich in Internetforen radikalisieren und sich bei ihren Morden gegenseitig aufeinander beziehen. Sie alle teilen ein rechtsextremes und nationalistisches Weltbild und sie sind alle Teil der gleichen Netz-Community. Auch wenn sie in unterschiedlichen Teilen der Welt morden oder zu morden versuchen, wie im Fall von B., sind sie keine Einzeltäter. Sie sind Teil einer toxischen digitalen Community. Die Forderungen der Täter sind nicht auf regionale Besonderheiten ausgelegt, vielmehr geht es ihnen darum, Angst und Chaos auszulösen. Mit ihrem Wunsch nach Anerkennung richten sie sich an die eigene Szene. Das Ziel ist die „Memefizierung des Terrors“: Die eigene Person zu einer innerhalb der Szene bekannten und zelebrierten Figur werden zu lassen, zu einem „Saint“, wie Rechtsterroristen von dieser Cybernazi-Community genannt werden.
* Der Name des Täters ist der Redaktion bekannt, aber wir veröffentlichen ihn nicht, um eine Glorifizierung in der rechtsextremen Szene keinen Vorschub zu leisten.