TikTok ist eines der am schnellsten wachsenden sozialen Netzwerke der Welt. 2019 zählte die App des chinesischen Herstellers „Bytedance“ über 800 Millionen Nutzer*innen weltweit, davon 5,5 Millionen in Deutschland. Das Konzept ist dabei denkbar einfach: Benutzer*innen können mit wenigen Handgriffen und einer großen Filter-Auswahl kurze Videos produzieren, in denen sie zu Musik mitsingen und tanzen. Besonders beliebt ist das bei Kindern und Jugendlichen – über zwei Drittel der regelmäßigen User*innen sind zwischen 16 und 24 Jahren alt.
Dass auch Nazis unter den Nutzer*innen sind, ist nicht verwunderlich. Seit Jahren gelten soziale Medien als zentrale Rekrutierungsfelder für die extremen Rechten. Auch auf TikTok wurden bereits rechtsextreme und antisemitische Inhalte verbreitet, wie ein 2018 veröffentlichter Artikel bei Vice herausstellte. Damals waren es vor allem Anhänger der „Atomwaffen Division“, die auf TikTok Propaganda verbreiteten. Auf diese hat das Netzwerk nun anscheinend reagiert, die gängigen Hashtags werden kaum noch bedient, ältere Posts sind nicht mehr aufzufinden.
TikTok war immer wieder für die Moderation von Inhalten kritisiert worden, die bestimmte Beiträge, etwa von Menschen mit Behinderung oder von Homosexuellen, in ihrer Reichweite beschränkt hatte – vorgeblich als Mobbingprävention. Auch Beiträge, die Kritik an der chinesischen Regierung übten, werden kaum ausgespielt.
Rechte Musik wird tausendfach geklickt
Davon ungestört florieren in der deutschsprachigen Community Videos mit der Musik rechtsextremer Bands. Etwa das einer jungen Frau, die einen Song der Rechtsrock-Band „Sleipnir” mit den Lippen synchronisiert und dafür über 700 Likes bekommt. Mitglieder der Band pflegen enge Kontakte zur in deutschland verbotenen Organisation “Blood and Honour”. Auf dem Profil der TikTok-Userin, welches einen relativ einschlägigen Namen hat – die Zahlencodes „14“ (Adolf Hitler) und „88“ (Heil Hitler) sind enthalten – finden sich weitere gut geklickte Videos, in denen sie rechte Musik mit den Lippen synchron begleitet. Etwa ein Lied der ehemaligen NPD-Liedermacherin Annett Müller (mittlerweile ausgestiegen), oder einen Song der dilettantischen rechten Rapformation „A3stus”, in dem es heißt
„Das ist für unsere Kinder! Sie sollen nicht leben in Ketten, ohne Angst vor dem was kommt, ohne Tränen! Wir müssen ihre Zukunft retten, sonst ist es zu spät. Wenn wir dabei sterben, Deutschland darf dabei nicht untergehen!“ („A3stus – Für unsere Kinder”)
Das Album von „A3stus”, auf dem auch dieser Titel vertreten ist, steht wegen Volksverhetzung auf dem Index der Bundesprüfstelle für Jugendgefährdende Medien (BPjM).
Der Kanal, der dieses Video verbreitet, hat etwa 1.700 Abonnent*innen. Sucht man weiter, stößt man auf Kanäle, die bis zu 10.000 Follower*innen und über hunderttausend Klicks auf ihren Kanälen haben. Das ist für TikTok nicht besonders viel, aber bei dem Inhalt der Videos und der Tatsache, dass viele Nutzer*innen auf TikTok sehr jung sind, nicht unbedenklich.
Ein Beispiel, wie rechte Inhalte sich auf TikTok schnell verbreiten können, ist das Lied „Kleines Mädchen“ des „Sleipnir”-Projekts „Raven”, das sich ausgesprochen vouyeristisch mit Kindesmissbrauch beschäftigt. Dieses Lied fand in vielen Formen Verbreitung, oft mit Hashtags oder Beschriftungen versehen, die „Todesstrafe für Kinderschänder“ forderten. Fast alle Accounts, die Ausschnitte aus diesem Lied verbreitet haben, verweisen in der musikalischen Quellenangabe auf denselben Account.
Der Nutzer hinter dem Account posiert in seinen Beiträgen offen mit rechtsextremer Kleidung, wie es sie etwa im Shop des Thüringer Neonazis Tommy Frenck gibt, und inszeniert sich martialisch. Auch Ausschnitte aus dem geschichtsrevisionistischen Song „Opa ich vermisse dich“ von „Sleipnir” sowie Musikstücke des Liedermachers „Brauni” oder der rechtsextremen Hooligan-Band „Kategorie C” finden sich hier.
In der Selbstbeschreibung des Users finden sich Hashtags eines „Teams“ wieder, dem er angehört. Da es auf TikTok keine Gruppen gibt, vernetzen sich Nutzer*innen über gemeinsame Hashtags. Unter den „Team“-Hashtags des Nutzers werden selbstgemachte Musikvideos – alleine oder im Duett mit anderen Benutzer*innen – sowie Grüße und Einladungen, sich dem entsprechenden Team anzuschließen, gepostet. Die Team-Namen reichen von Rechtsrockbands über nordisch-mythologisch angehauchte Titel bis zu regionalen Zugehörigkeiten.
Nicht alle Beiträge unter diesen Hashtags beinhalten Rechtsrock und nicht alle Accounts, die sich zugehörig zeigen, verbreiten solchen. In vielen Beiträgen werden auch Popmusik, Filmszenen oder Deutschrock synchronisiert. Besonders häufig vertreten sind in den „Teams“ allerdings Grauzonenbands wie Die Böhsen Onkelz, Frei.Wild oder Unantastbar.
„Landser“-Musik zum Mitsingen
Zwischen diesen ganzen Videos finden sich allerdings auch erstaunlich viele Beiträge mit der Musik von Rechtsrockbands. Ein selbsternannter Admin eines Teams, dessen Hashtag über 600.000 Mal geklickt wurde, postet regelmäßig Videos von sich im Shirt der als kriminelle Vereinigung verbotenen Band „Landser” und synchronisiert deren Texte auch gerne mal mit den Lippen. Zum Beispiel das Lied „Polackentango“ aus dem Album „Deutsche Wut-Rock gegen oben“, welches 2004 wegen Volksverhetzung indiziert und beschlagnahmt wurde.
Darin heißt es
„Wenn ich das seh, werd‘ ich echt sauer Polackenlümmel schreien White Power O, wie ich dieses Scheißvolk hasse“ („Landser – Polackentango”)
Die nächste Zeile ist nicht mehr im Video, aber ein anderer User ergänzt im Kommentar:
„Seit wann gehören Polacken zur arischen Rasse?“
Der Beitrag hat über 170 Likes. Im weiteren Text wird ein Wiedereinmarsch der Wehrmacht in Polen gefordert und der Überfall von 1939 glorifiziert. Mit über 5000 Follower*innen ist dieser User einer der beliebteren unter den Rechtsrock-Freund*innen. Auch mehrere Admins ähnlicher Gruppen verbreiten rechtsextreme Musik unter den entsprechenden Hashtags oder posieren mit Merchandising rechtsextremer Bands. Auch die Codes „88“ oder „1488“ werden in vielen Accountnamen benutzt.
Was generell auffällt, ist, dass es sich weniger um bekannte Nazis aus Kameradschaften, NPD oder „Identitärer Bewegung” zu handeln scheint, als um eine Szene aus rechtsoffenen bis rechtsextremen Rockfans, die die Hassmusik als Lifestyle pflegen. Explizite Hashtags werden kaum verwendet, es sei denn, sie sind auch Songinhalt.
Content der „Identitären Bewegung“ oder Inhalte zu Parteien sind also eher randständig. So wird zwar auch ein Rechtsrap-Track von Melanie Schmitz („Identitäre Bewegung“) geteilt oder eine AfD-Veranstaltung unterlegt mit Passagen aus dem zitierten „A3stus”-Song hochgeladen. Das hat allerdings nicht im Ansatz dieselbe Reichweite, wie die mitgesungenen Rechtsrock-Lieder. Die werden auch dann geliked, wenn die User*innen offen mit rechtsextremer Symbolik auftreten.
Ein Video einer Nutzerin, in dem ein Stück von „Annett Müller“ läuft und dabei ein Tattoo einer schwarzen Sonne gezeigt wird, erhält mehrere hundert Likes. In einem anderen mehr als hundert Mal positiv bewerteten Video tritt eine Nutzerin mit einem T-Shirt auf, das die Beschriftung „Aryan Rebels“ ziert.
Rechtsextreme Inhalte sickern über die Musik unwidersprochen in die Netzwerke auf TikTok ein oder werden aktiv weiterverbreitet. Eingeweihte brauchen dabei nicht einmal den gesamten Liedtext, man versteht sich auch ohne allzu explizite Passagen.
Andere Plattformen wie Youtube gehen seit einiger Zeit verstärkt gegen Hate Speech und verbotene Inhalte vor, hoffentlich werden in Zukunft auch bei TikTok die Bemühungen intensiviert. Mittlerweile gibt es zumindest eine NetzDG-Meldeseite für die Plattform und die Rechtsrock-Szene auf TikTok hat mit Sperrungen von Kanälen zu kämpfen. Besser wäre, dass sie ganz verschwände.