Seit über 25 Jahren fördert die Amadeu Antonio Stiftung kleine Initiativen und Projekte, die sich in ganz Deutschland gegen Menschenfeindlichkeit und für Demokratie engagieren. Charlotte Sauerland arbeitet in der Projektförderung der Stiftung. Mit ihr haben wir uns über ermutigende CSDs und die vergessenen Opfer des Nationalsozialismus unterhalten und darüber, wie die Stiftung es schafft, jedes Jahr über 100 Projekte zu fördern.
Belltower.News: Was macht die Projektförderung?
Charlotte Sauerland: Wir fördern insbesondere kleine Projekte, die sich mit Ungleichwertigkeitsideologien auseinandersetzen. Das heißt primär Antisemitismus, Rassismus, Rechtsextremismus, aber auch andere Formen von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Vor allem sind das Projekte mit einem lokalen Fokus, die anderswo nicht so große Chancen haben, Geld zu bekommen oder nicht gern gesehen werden, weil sie unbequeme Themen ansprechen.
Das Motto der Amadeu Antonio Stiftung heißt: ermutigen, beraten, fördern. Förderung ist ein zentrales Anliegen, oder?
Die Stiftung ist 1998 entstanden als Reaktion auf grassierende rechte Gewalt, auf sehr viele rassistische Anfeindungen, Angriffe und auch Morde. Menschen, die von Rassismus und rechter Gewalt betroffen sind, waren besonders gefährdet, aber auch Wohnungslose, Jüdinnen*Juden. Das Ziel und die Idee der Stiftung war es, dem etwas entgegenzusetzen, und zwar mit einer starken Zivilgesellschaft vor Ort. Deswegen haben wir schon damals versucht, kleinen Initiativen zu helfen, die sich gegen die rechtsextreme Hegemonie stellen wollen, und dafür eintreten, dass von Rassismus Betroffene sicher leben können. Unterstützt hat die Stiftung das mit finanzieller Förderung, aber auch mit inhaltlicher Begleitung. Das heißt, wir fördern jetzt schon seit über 25 Jahren kleine Initiativen mit einem Fokus auf Ostdeutschland, aber insbesondere nach der NSU-Selbstenttarnung verstärkt auch im Westen.
Kannst du Zahlen nennen?
Seit Beginn hat die Stiftung mehr als 2100 Projekte gefördert. Das sind häufig kleinere Projekte, die durchschnittlich mit 2000 Euro gefördert werden, manchmal aber auch mehr. Seit 2019 haben wir jedes Jahr mehr als 100 Projekte gefördert, auch in diesem Jahr.
Wie finanziert sich das eigentlich?
Vor allem aus ganz vielen Spenden von Einzelpersonen, die manchmal eine ganz kleine Summe geben, manchmal auch größere Spenden. Es gibt Förderkampagnen von größeren Organisationen, die uns Geld zur Verfügung stellen, das wir weiterverteilen. Zum Beispiel 2020 und 2021 die Open Society Foundations, für die Unterstützung der Zivilgesellschaft in Ostdeutschland und auch für migrantische Selbstorganisationen. Oder auch Campact, die uns rund um die Landtagswahlen 2019 und jetzt erneut Fördermittel zur Aktivierung zivilgesellschaftlichen Engagements zur Verfügung gestellt haben.
Welches Projekt aus 2023 ist dir besonders in Erinnerung geblieben?
Ein Projekt, das ich wirklich toll finde und das an einen Jahrestag anknüpft, der dieses Jahr besonders wichtig war, kommt aus Solingen. Vor 30 Jahren fand dort ein rassistisches Pogrom statt, bei dem fünf Menschen ermordet wurden.
Du hast es eben schon gesagt: Die Anschläge und Morde aus dieser Zeit waren ja der Grund, warum die Amadeu Antonio Stiftung überhaupt erst gegründet wurde. Der Namensgeber der Stiftung wurde 1990 in Eberswalde ermordet. Es gab Morde und Pogrome in Hoyerswerda, Mölln, Rostock-Lichtenhagen oder Saarlouis. Was ist in Solingen passiert?
Am 30. Mai 1993 stecken vier Täter den Eingangsbereich des Wohnhauses der Familie Genç in Brand. Gürsün İnce, Hatice Genç, Gülüstan Öztürk, Hülya Genç und Saime Genç verlieren ihr Leben. Die Opfer sind zwischen vier und 27 Jahren alt. Weitere 14 Familienmitglieder erlitten schwere Verletzungen. Wir haben das Projekt „Solingen ‘93” gefördert, das sich vor allem mit den Perspektiven von Betroffenen und den Überlebenden beschäftigt. Da werden Migrationsbiographien seit den 1980er Jahren sichtbar gemacht, aber auch die Erfahrungen von rechter Gewalt.
Gab es noch ein Projekt, das dich besonders beeindruckt hat?
Die Gedenkstele in der Gedenkstätte Sachsenhausen zur Erinnerung an die sogenannten verleugneten Opfer des Nationalsozialismus. Damit sind die von den Nazis als „asozial” stigmatisierten Personen oder die sogenannten „Berufsverbrecher” gemeint, die in Konzentrationslager deportiert wurden. Dieser Menschen wurde lange Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus nicht gedacht und sie wurden weiter stigmatisiert. Sie haben keine Entschädigung erhalten. Es gab die Annahme, dass sie sozusagen zurecht im Konzentrationslager waren. Was natürlich grundfalsch ist. Eine Initiative, die aufgrund der Motivation von Überlebenden entstanden ist, hatte sich vorgenommen etwas daran zu ändern und hat die Errichtung einer Gedenkstele in Sachsenhausen angestoßen.
Hast du dir auch was vor Ort angeschaut?
Ja, ich war zu Besuch beim CSD in Zwickau. Der findet dort schon seit drei Jahren statt und wird von Engagierten organisiert, die an den Verein Alter Gasometer angedockt sind. Es gibt immer wieder Anfeindungen gegen den CSD, dieses Jahr war zum Beispiel ein rechtsradikaler YouTuber vor Ort, der live gestreamt hat. Letztes Jahr waren vermummte Neonazis dort und haben versucht, die Teilnehmenden einzuschüchtern. Insgesamt ist in Sachsen die Lage für queere Personen nicht einfach. Gerade deswegen war dieser Pride für junge Leute aus der Region eine wichtige und ermutigende Erfahrung.