Sascha (27) war nicht Teil dieser aktiven Gruppe. Zwischen 2014 und 2017 gehörte er aber zum Umfeld der Identitären. Er besuchte Treffen der „Bewegung“ und war mit Aktivist_innen in Kontakt. Sascha ist nicht sein richtiger Name. Wir haben uns mit ihm über das Weltbild der Gruppe und seine Beweggründe für den Ausstieg unterhalten.
Belltower.News: Warum hast du dich für die Identitären interessiert und wie kam es dazu, dass du eingestiegen bist?
Sascha: Ich glaube, es hatte persönliche Gründe. Meine Eltern sind getrennt und ich habe seit Jahren keinen Kontakt mehr zu meinem Vater. In meinen Augen stand er immer für den typischen „Grünen“. Ich hatte das Gefühl, dass er mich herablassend behandelt. Bei mir hat sich dadurch ein Hass auf die „grüne Welt“ entwickelt. Vielleicht war ich deswegen für das andere relativ offen. Parallel habe ich einen Freund kennengelernt, Pascal [Name von der Redaktion geändert], der in der IB und auch in der AfD aktiv ist. Der wollte mich immer zu Treffen bei S. [Name ist der Redaktion bekannt] mitnehmen, einem JA-Mitglied und Burschenschafter, der parallel die IB in meiner Stadt organisiert. In der Zeit hatte ich wenig Kontakte und Freunde, dadurch war die Versuchung groß und ich wollte mir das anschauen.
Was waren die ersten Berührungspunkte für dich?
Vor allem habe ich mir immer die Videos angesehen, die von allen Beteiligten ständig gemacht wurden: „Vulgäre Analyse„, die Videos von Martin Sellner natürlich, andere Videos von der IB. Aber auch Verschwörungstheorien: Hagen Grell, am Anfang auch KenFM. Die hab‘ ich stundenlang angeschaut. Von denen wird permanent Content geliefert. Dann habe ich auch die anderen Sachen aus Österreich gelesen und angeschaut: Unzensuriert oder FPÖ-TV. Mir war damals schon auf eine Art klar, dass das meiste völliger Quatsch war. Aber ich habe mich trotzdem mit denen solidarisiert.
Wie ging es in der echten Welt weiter?
Ich habe einen anderen Studenten kennengelernt, der mittlerweile in die NPD eingetreten ist. Der war zuerst bei der AfD, aber ist immer weiter rechts nach rechts gerückt. So kam ich über Umwege in diesen Freundeskreis.
Warum hast du dich für die IB interessiert und nicht etwa für eine andere rechtsextreme Jugendgruppe wie zum Beispiel die JN, die Jugendorganisation der NPD?
Die IB erweckt zumindest den Anschein von Intellektualität. Es gibt Martin Sellner oder auch Robert Timm, die Persönlichkeit haben. Sellner wirkt intellektuell, ist gut gekleidet. Er erklärt Dinge sehr ausführlich, das ist für viele ein Bezugspunkt. Die IB sagt, es sei normal, dass man in seiner Jugend links ist, vielleicht durch die Schule oder das Elternhaus, aber dass man irgendwann aufwacht. Sie bezeichnen das als „red pilled“ [in Anlehnung an die rote Pille in den Matrix-Filmen, die Hauptfigur „Neo“ dazu bringt, die Matrix zu erkennen. Anm. d. Red.]. Ich dachte, ich sei „red pilled“: Jetzt sehe ich den Terror. Sellner dagegen war ja schon in seiner Jugend in Neonazi-Gruppen aktiv. Genauso wie sehr viele andere aus der Führungsriege.
Für dich war das trotzdem in Ordnung?
Dieses Rebellische hat mich sehr fasziniert: Gegen den Mainstream zu sein. Die behaupten ja, dass man Sachen nicht sagen darf, machen es dann aber trotzdem. Das hat mich damals angesprochen.
Und dann hast du dich als Teil einer Bewegung wahrgenommen?
Das ging bei mir sehr schnell. Ich habe jeden Tag nur noch auf die neuen Videos gewartet. Man kann sich in dieser Ideologie schnell verlieren. Martin Sellner hat Checklisten in seinen Videos: „Was du machen musst, um das Land zu retten“. Man soll mit seinen Freunden reden, die Bücher lesen, Aufkleber verteilen. Ich habe mich da zeitweise sehr verpflichtet gefühlt. Es ist ein permanentes Angebot, dass einem gemacht wird.
Du studierst in einer klassischen Universitätsstadt, mit vielen internationalen Studierenden zusammen. Gab es da keine Widersprüche für dich?
Ich wohne sogar in einem ziemlich internationalen Studentenwohnheim. Meine Nachbarn sind aus Pakistan. Die laden mich zum Essen ein, ich habe einem Schwimmen beigebracht. Aber ihre Wertvorstellungen, zum Beispiel das Frauenbild, sind schwierig, darüber haben wir stundenlang diskutiert. Für mich war das eine Bestätigung für das, was die IB’ler sagen. Es hat für mich ins Bild gepasst.
Eine der zentralen Erzählungen der IB ist der sogenannte „große Austausch“. Bei näherer Betrachtung ist das ja nicht mehr als eine ziemlich krude Verschwörungstheorie. Glauben die Leute das wirklich?
Man nimmt das als gegeben an: Seit ’68 kriegen wir nicht mehr so viele Kinder und die Geburtenrate sinkt. Natürlich sind auch der amerikanische Einfluss schuld und der Liberalismus. Der Anteil der Muslime wird immer weiter hochgerechnet, aber die IB zählt praktisch alle „Ausländer“ dazu. Und wie schon gesagt, ich finde einige Auslegungen des Islams problematisch, aber die Identitären erkennen überhaupt nicht an, dass sich Menschen auch verändern können oder die Gesellschaft auf Menschen einwirken kann. Das Bild, wie Menschen sind, ist völlig festgefahren. Es ist zum Beispiel völlig ausgeschlossen, dass ein Schwarzer ein Deutscher sein kann. Und das ist ja eine ganz ähnliche Position wie in der NPD.
Lupenreiner Rassismus also?
Es wird eine extreme Weltsicht aufgebaut: Jeder Moslem, den ich hier sehe, ist eigentlich mein Feind. Die regen sich wirklich jedes Mal auf, wenn sie jemanden muslimischen Glaubens sehen. Der einzelne Mensch ist dein Feind. Egal ob diese Person integriert ist oder nicht. Das spielt überhaupt keine Rolle. In deren Weltbild sind diese Menschen alle gelenkt und ihr Ziel ist es, uns zu zerstören.
Spielt Gewalt eine Rolle?
In der Wohnung von S., dem Burschenschafter, hingen Säbel an den Wänden. Männlichkeit und Wehrhaftigkeit spielen da eine große Rolle. Das hat mich angesprochen. Ich hatte das Gefühl, dass mich das stärker machen kann. Wenn die in die Enge getrieben werden, kann da sicherlich was passieren. Wahrscheinlich eher nicht bei den Kadern. Ich kann mir kaum vorstellen, dass Sellner gewalttätig wird, dazu ist er zu wichtig. Aber es geht ihnen darum, Europa vor den Muslimen zu verteidigen. Der Schritt zur Gewalt ist dabei nicht ausgeschlossen. Das kann schnell gehen, wenn ich schon glaube, dass jeder Muslim mein Feind ist. Eigentlich wollen sie eine kritische Masse erreichen. Ich glaube, dass sie zur Zeit Gewalt offiziell ausschließen, liegt daran, dass sie einfach zu wenige sind.
Ist da auch ein Stück Taktik dabei oder sind die Aktivist_innen wirklich überzeugt?
Viele der wichtigeren Aktivisten kommen ja ohnehin aus dem rechtsextremen Lager. Die sind davon überzeugt. Andere kommen aus dem extrem konservativen, oder christlich-fundamentalistischen Lager. Bei Leuten wie mir, die da reingeraten sind, weil es ihnen in dem Moment psychisch einfach nicht gut ging, ist es weniger das ideologische sondern die starke Gemeinschaft. Man wird aufgenommen, man kann schnell was werden oder bekommt zumindest schnell positive Rückmeldung aus der Gruppe, wenn man zum Beispiel Flyer verteilt. Es ist das Gefühl, das Richtige zu tun und für das Richtige zu kämpfen.
Du warst bei Treffen dabei und in einer Whatsapp-Gruppe. Was ist da passiert?
Als erstes wurde ich gefragt, wo ich herkomme, wo meine Großeltern herkommen. Die sind aus Ostpreußen geflüchtet, das fanden sie dann ganz toll. Die Herkunft spielte eine riesige Rolle. Sogenannte „Vermischung“ wird gehasst. Genauso aber auch Homosexuelle zum Beispiel. Sowas bezeichnet man dann schonmal als „Furunkel am Volkskörper“. Ich kann mich gut daran erinnern, wie wir nach dem Treffen in ein griechisches Restaurant zum Essen gegangen sind und S. zu mir sagte: „Du mit deiner deutschen Herkunft, isst ja bestimmt nur Schnitzel, aber keine Sorge, das gibt’s da auch.“ In der Whatsapp-Gruppe waren „Heil Höcke“ oder solche Äußerungen normal. Da gab es Leute, die für die Monarchie sind, es wurde über „Neger“ gesprochen.
Welche Leute hast du da getroffen?
Generell fast nur Männer. Sowohl in der echten Welt, als auch in der Whatsapp-Gruppe. Am Anfang haben sich alle gesiezt. Erst nach ein paar Bier wurde es ein bisschen lockerer. Bei dem Treffen mit S. waren einige 17 oder 18-jährige Schüler und ein paar Burschenschafter dabei. Die Stadt in der ich lebe, ist sehr liberal, das heißt solche Gruppen sind marginalisiert, aber sie haben Unterstützung im Umland. Viele aus der Umgebung waren auch wirklich überzeugt von der Sache und haben sich schon überlegt, in welche Burschenschaft sie eintreten könnten.
Wie ist denn das Frauenbild?
Klassische konservativ. Frauen sollen nicht promiskuitiv leben, sondern sich einen Freund suchen und möglichst schnell heiraten und Kinder haben. Sie sollen das Glück als Mutter finden. Aber die wenigen Aktivistinnen wirken motivierend. Es heißt schonmal: „Die ist total aktiv, dann musst du als Mann das doch erst recht sein.“ Deswegen werden die Frauen bei Aktionen immer in die erste Reihe gestellt.
Das Treffen, bei dem du warst, hat bei einem IB’ler stattgefunden, der auch im Vorstand der JA aktiv ist. Die AfD legt aber doch so großen Wert auf Distanz zu den Rechtsextremen?
Das ist das, was Weidel im Fernsehen sagt. Es gibt auf jeden Fall sehr direkte Verbindungen zwischen der Organisation und der Partei. Es sind überall die gleichen Leute, vor allem in der Jugendorganisation. Leute, die in der IB organisiert sind, machen Wahlkampf für die AfD, verteilen Flyer. Man hilft sich gegenseitig.
Wann kam für dich der Punkt, an dem du nichts mehr mit der IB zu tun haben wolltest?
Die permanente Geschichtsrelativierung war so ein Punkt. Es wird gesagt, dass es auch einen Nürnberger Prozess für die Alliierten hätte geben müssen. Die Amerikaner hätten in den Rheinwiesen schlimme Verbrechen begangen. Irgendwann habe ich gedacht: „Moment mal, du bist jetzt schon fast dabei, den Holocaust zu relativieren.“ Dazu kam, dass sie gegen Ausländer generell sind. Das war eine Position, die ich nie vertreten konnte.
Wie bist du rausgekommen?
Nach dem Treffen bei dem Burschenschafter, war mir klar, dass ich eigentlich nichts mit denen zu tun haben will. Ich habe aufgehört, die Videos zu schauen und den Kontakt zu den Leuten abgebrochen. Dadurch, dass es wirklich nur sehr wenige sind, ist es auch nicht so schwierig, ihnen aus dem Weg zu gehen.
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