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Interview FFF-Aktivist berichtet über rassistische Polizeigewalt in Berlin

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Fridays for Future-Aktivist Rafid Kabir

Es ist der 2. Juni, Samstagabend in Berlin. Rafid Kabir ist mit Freund*innen in Berlin-Kreuzberg unterwegs zu einer Geburtstagsparty. Doch die Fridays-for-Future-Aktivist*innen werden Zeug*innen einer Polizeikontrolle. Im Fokus stehen mehrere schwarze Männer, die von Beamt*innen zu Boden gedrückt werden. Die Aktivist*innen wollen den Vorgang dokumentieren. Doch die Situation gerät weiter außer Kontrolle. Kabir berichtete, dass er von den Beamten beschimpft und unverhältnismäßig brutal behandelt wurde. Rassistische Polizeigewalt mitten in Berlin?  Wir haben mit Rafid Kabir über Polizeigewalt, Rassismus und Solidarität von Greta Thunberg gesprochen.

Belltower.News: Was ist in Berlin passiert?
Rafid Kabir: In der Nacht vom 2. Juli wollten wir gemeinsam in den Geburtstag unseres Freundes feiern. Es war kurz nach zwölf Uhr als wir durch die Skalitzer Straße in Kreuzberg liefen.  In einer dunklen Ecke wurden etwa fünf schwarze Menschen einer polizeilichen Kontrolle unterzogen. Wir beobachteten, dass die Polizei während der Maßnahme sehr aggressiv vorging und sich zwei der kontrollierten Personen sogar ausziehen mussten. Nachdem uns ein Polizist aufforderte, Abstand zu halten, haben wir die Maßnahme aus zehn Meter Entfernung weiter beobachtet. Die Polizei ging immer gewaltsamer vor und drückte die Personen auf den Boden, obwohl sie keinen Widerstand leisteten. Wir haben darüber geredet, den Vorgang mit der Handykamera aufzunehmen. Das bekamen die Polizisten mit. Einer der Polizisten forderte uns auf, uns an die Wand zu stellen. Das alles hat mich zutiefst schockiert. Als ich zu meinem Handy griff, um eine  Liveübertragung zu starten, um alles zu dokumentieren,  kamen weitere Polizisten auf mich zu. Einer von ihnen zerriss die Tasche auf meinem Rücken. Das Handy in meiner Hand fiel auf den Boden. Ich schrie voller Angst um  Hilfe und weinte. Ein Polizist sagte daraufhin „Sei keine Pussy, sei ein Mann“. 

Die Situation ist immer noch weiter eskaliert?
Ich habe weder die Maßnahme gestört, noch eine Aufnahme gestartet. Ich verstand das alles nicht. Sie haben mich innerhalb von ein paar Sekunden auf den Boden geworfen. Es ging alles sehr schnell. Einen Polizisten habe ich an meinem Hals gespürt. Er drückte seine Hände auf meinen Nacken und schnürte mir die Luft ab. Ein anderer saß auf meinem Rücken und drückte mit seinem Knie auf mich, damit ich nicht mehr bewegen kann. Ich hatte große Angst und entschied mich, still zu halten und nichts zu tun, weil sich die Situation zu dem Zeitpunkt lebensgefährlich anfühlte. Ich lag ungefähr fünf bis zehn Minuten auf dem Boden. Währenddessen sicherten sie meine Freunde und stellten sie an die Wand, um Aufnahmen zu verhindern. Mich stellten sie später dazu. Einer der Polizisten drückte trotz Sicherung durchgehend auf meine rechte Schulter und schaute mir aggressiv in die Augen, bis ihn sein Kollege endlich ermahnte. Sie verlangten die Passwörter unserer Handys und löschten Dateien, ohne unsere Zustimmung. Sie nahmen unsere Handys mit und durchsuchten sie im Polizeiwagen. Meine Freunde wurden entlassen, während ich weiterhin in Handschellen warten musste. Nach ungefähr vierzig Minuten wurde die Maßnahme beendet. Ich habe ein Beschlagnahmeprotokoll erhalten und konnte in mein Hotel zurückkehren.

Du bist Aktivist bei Fridays For Future. Die Gruppe hat mittlerweile auch auf den Vorfall aufmerksam gemacht. Wie ist das abgelaufen?
Wir alle sind hauptsächlich bei ,,BIPoC for Future‘‘ aktiv. Anfänglich mussten wir uns bemühen, dass es geteilt wird. Wir mussten mehrmals auf die Dringlichkeit hinweisen. FFF bestimmt demokratisch über ihre Inhalte auf den sozialen Medien. Wir haben viel positive Resonanz erhalten, obwohl es auch andere Stimmen gab.. Ich habe den Umgang von FFF dennoch als sehr solidarisch empfunden. Gestern hat auch FFF auf internationaler Ebene den Post geteilt und sogar Greta Thunberg. 

Welche Folgen hat dieser Vorfall für dich?
Diese Erfahrung hat mich traumatisiert. Bisher war ich nicht besonders kritisch gegenüber der Polizei. Ich habe bis dato keine Polizeigewalt erfahren. Der Abend hat mich eines Besseren belehrt und mich sehr enttäuscht. Die Machtlosigkeit, die ich gespürt habe, als ich auf dem Boden lag und keine Luft bekommen habe, hat in mir einen Vertrauensverlust ausgelöst. Ich bin durch den Fall von George Floyd und ,,Black Lives Matter‘‘ politisch aktiv geworden und wurde jetzt selbst Betroffener von Polizeigewalt. Jede Minute denke ich daran, wie ich hilflos ausgeliefert war und auf den Boden gedrückt wurde. Diese Machtlosigkeit und dieser Umgang lähmen mich im Alltag. Ich versuche mich momentan mit Hilfe von Sport und durch andere Aktivitäten abzulenken. Wir alle versuchen professionelle Hilfe durch eine entsprechende Organisation zu erhalten. 

Was sind eure Forderungen als Betroffene?
Wir möchten, dass Polizeigewalt auch als ein deutsches Phänomen anerkannt wird. Bisher bekommt das nicht genug Aufmerksamkeit. Ich möchte allen raten: Kennt eure Rechte! Wer seine Rechte kennt, kann selbstbewusst einer unverhältnismäßigen polizeilichen Maßnahme entgegentreten.  Außerdem hat mich die fehlende Zivilcourage der Passanten vor Ort sehr enttäuscht. Auch die Polizei sollte als Institution von der Gesellschaft hinterfragt werden. 

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