Seit 2021 baute Firewall ein erfolgreiches bundesweites Trainer*innen-Netzwerk zur Auseinandersetzung mit Hass im Netz auf und wurde mit rund 260.000 Euro jährlich gefördert. Wir haben mit Firewall gesprochen: über engagierte Trainer*innen, Medienkompetenz in Zeiten der Dauerkrise und die düstere Zukunft der Demokratie.
Belltower.News: Im Koalitionsvertrag der Ampel steht: „Wir werden die Arbeit zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus fortsetzen, inhaltlich weiterentwickeln und sie nachhaltig finanziell absichern. (…) Wir stärken die Arbeit gegen Hass im Netz und Verschwörungsideologien.” Was ist dein Eindruck, wie läuft das bisher?
Firewall: Ich habe nicht das Gefühl, dass die Bundesregierung die Themen tatsächlich auf dem Schirm hat. Unser Projekt Firewall hat gerade die Nachricht bekommen, dass wir aller Voraussicht nach ab dem nächsten Jahr keine weitere Förderung erhalten. Auch Hate Aid hat es erwischt, da geht es um Bekämpfung von Hate Speech, aber auch um Medienkompetenzbildung in Bezug auf Desinformation. Wir müssen Ende des Jahres einpacken, wenn es keine neue Finanzierung gibt.
Was genau macht Firewall?
Firewall richtet sich gegen Hass und Menschenfeindlichkeit im Netz. Aber wir vermitteln auch Medienkompetenz und informieren über digitalen Selbstschutz. Wir wollen den digitalen Raum mit demokratischen Narrativen gestalten und ihn damit schützen und bewahren. Wir mögen das Internet sehr, aber wir sehen auch, dass es von rechtsextremen Akteur*innen missbraucht wird, um ihre menschenfeindliche Ideologie und ihren Hass zu verbreiten. Ein Herzstück des Projekts ist unser Netzwerk aus Trainer*innen, zu dem mittlerweile über 110 Menschen zählen, das wir über die letzten Jahre hinweg aufgebaut und gepflegt haben.
Die geben ihr Wissen an Jugendliche weiter?
Die Trainer*innen gegen Workshops überall in Deutschland, in Städten, aber vor allem auch in ländlicheren Regionen. Damit erreichen wir viel mehr junge Menschen als nur als kleines Team allein. Wir wollen sie befähigen, mit Desinformationen und Hass im Internet umzugehen und das alles nicht einfach als etwas ganz Normales hinzunehmen. Zum Einstieg öffnen wir immer den Raum und sprechen darüber, auf welchen Plattformen sich die Jugendlichen am liebsten aufhalten und wofür sie dieses sozialen Medien nutzen. Sie sind nicht zufällig auf z.B. Instagram, sondern verbringen dort viel und gerne ihre Zeit, weil es die Erweiterung des Sozialraums ist. Wenn wir dann im Anschluss über ihre Beobachtungen und Erfahrungen dort sprechen und fragen, ob ihnen auf Instagram oder TikTok Hass begegnet ist, also zum Beispiel beleidigende Kommentare oder Diskriminierungen, dann beantwortet das eigentlich immer ein großer Teil der Gruppe ohne zu zögern mit einem klaren Ja. Das deckt sich mit den Ergebnissen der Forsa-Studie aus diesem Jahr im Auftrag der Landesmedienanstalt NRW, laut der neun von zehn befragten Jugendlichen Hate Speech online wahrnehmen. Bei der Begegnung mit Desinformationen ist die Wahrnehmung der Jugendlichen ähnlich.
Online ist also Hass Alltag?
Er gehört leider dazu. Gerade deswegen ist es wichtig, Menschen das Wissen und die Fähigkeiten an die Hand zu gehen, damit umzugehen. Und das machen wir, weil die Reaktion von Pädagog*innen ist – zumindest eine, die wir oft erleben: „Dann sollten wir den Jugendlichen das Handy wegnehmen.” So ein Denken – vollkommen unrealistisch, auch mit Blick darauf, wie lange es das Internet gibt – will junge Menschen nicht befähigen, selbst aktiv zu werden. Viele Pädagog*innen haben den Anspruch, zu beschützen, statt dazu zu bewegen, digitale Zivilcourage zu üben und auch im digitalen Raum für demokratische Werte zu stehen. Schutz ist richtig und wichtig, aber nicht, indem das Internet abgestellt wird.
Wie sieht das alles praktisch aus?
Firewall ist auch das Ergebnis jahrelanger Arbeit der Amadeu Antonio Stiftung zu Hate Speech und Hass im Netz. Was unsere Kolleg*innen schon seit langem an Wissen und Expertise gesammelt haben, übersetzen wir hier ganz praktisch in Workshops und gut zugängliche Informationen und Übungen für Jugendliche. Das tragen wir dann weiter in unser Netzwerk aus freien Trainer*innen. Das haben wir überhaupt nur entwickelt, weil die Stiftung aufgrund ihrer jahrelangen Expertise regelmäßig für Schulungen oder Workshops zu Themen wie Medienkompetenz, Desinformation oder Hass im Netz angefragt wird, diesen Bedarf aber alleine gar nicht decken kann. Das Netzwerk existiert bundesweit, damit wir überall Workshops anbieten können: Wir müssen nicht aus Berlin anreisen, ohne zu wissen, was vor Ort überhaupt los ist. Workshops können am besten Leute machen, die aus der Region kommen und die auch wissen, was vor Ort die Themen sind, über die gesprochen wird. Das passiert vor allem an Schulen, aber auch in Einrichtungen der außerschulischen Bildung. Es geht darum, Hate Speech zu erkennen und zu verstehen. Wie werden diskriminierende Strukturen aus dem Offline-Raum in den digitalen Raum übertragen? Wie bedingt sich das wechselseitig? Das ist eng verknüpft mit dem Diskriminierungsbegriff und dem Konzept der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit. Die Workshops sind Orte zum Austausch: Wie bewegen wir uns im digitalen Raum? Wie nutzen wir unser Smartphone? Wo nehmen wir aktiv an der Gesellschaft mit unserem Smartphone Teil? Das heißt, das eigene Medienverhalten wird im Prozess mit den Jugendlichen reflektiert. Und das machen wir alles, ohne am Ende zu sagen: Das Internet ist böse.
Sondern umgekehrt?
Das Internet bietet vor allem total viele Möglichkeiten und ist ein großer kreativer Raum. Wir lieben es, aber es passieren auch schlechte Sachen. Und die gehen so oder so nicht an den Jugendlichen vorbei. Das heißt, wir wollen, dass sie Hate Speech als Phänomen einordnen können, aber auch die Strategien dahinter verstehen: Was da passiert, ist ja kein Zufall, sondern das Ergebnis einer Strategie. Deshalb gibt es in den Workshops auch nicht nur frontalen Input, wir wollen junge Menschen auch empowern: Vielleicht einen Gegenkommentar zu schreiben, ein eigenes Video als Antwort zu posten oder wir weisen auf zivilgesellschaftliche Meldestellen hin, an die man sich wenden kann, um einen Hasskommentar anzuzeigen.
Wie viele Leute erreicht ihr?
In den zweieinhalb Jahren, in denen es das Projekt jetzt gibt, haben wir insgesamt 5.000 Teilnehmer*innen erreicht. 2022 hatten wir 75 Workshops, in diesem Jahr haben wir schon jetzt so viele, die Nachfrage steigt, denn das Angebot spricht sich herum.
Ihr seid nicht die einzigen, die von den Kürzungen aus dem Bundesjustizministerium betroffen sind, oder?
Hate Aid ist ebenfalls vom Justizministerium gefördert und berichtet auch über Kürzungen. Bei denen geht es sogar um 600.000 Euro, da geht es besonders um Beratungen für Betroffene, die jetzt eingestellt werden müssen. Zur Wahrheit gehört auch, dass das, was wir hier gerade erleben, so oder so ähnlich an der Tagesordnung ist: Wir müssen jedes Jahr immer wieder um diese Projektgelder für ein Jahr kämpfen, weil es keine sinnvolle, dauerhafte, langfristige Projektförderung gibt. Wir haben drei Jahre lang dieses Netzwerk aufgebaut und gepflegt. Das ist so unglaublich wertvoll und wichtig. Jetzt soll das alles umsonst gewesen sein? Und das in Zeiten, in denen der Kampf gegen Desinformation und Hass immer wichtiger wird.
Natürlich sind wir traurig, aber wir lassen uns dadurch jetzt auch nicht lähmen und werben dafür, dass es weitergeht. Dieses Netzwerk und dieses Projekt müssen einfach weiterbestehen, weil es ein fatales Zeichen auch für die Jugendlichen und die ratsuchenden Pädagog*innen wäre, wenn die Finanzierung endgültig wegbricht und es eingestellt werden muss. Politische Bildung kommt heute ohne Medienkompetenzbildung nicht mehr aus.
Ist das nicht etwas, was in der Schule vermittelt werden sollte?
In der traditionellen Medienbildung waren die Fachkräfte und Lehrkräfte immer in einer Vermittlerrolle, aber dadurch, dass der digitale Wandel sich wahnsinnig schnell vollzieht, brauchen auch Fachkräfte Anleitung, Informationen und Impulse. Wir haben Workshops zu TikTok-Phänomen gegeben oder zu Desinformationen im Klassenchat.
Das muss zusammengedacht werden. Demokratie ist nicht vom Himmel gefallen, sondern muss immer wieder reflektiert und erlernt werden. Das bedeutet auch, sich nicht ausschließlich auf junge Menschen zu fokussieren, sondern Medienkompetenzbildung ist eine Aufgabe für alle Generationen.
Dein Projekt steht vor dem Aus. Was geht in deinem Kopf vor?
Mir macht das alles keinen Mut. Ich frage mich, warum diese Kompetenzbildung scheinbar keinen Stellenwert in dieser demokratischen Gesellschaft hat. Wir erleben es doch in den letzten Jahren der Krisen, wohin dieses Denken geführt hat: zu Verschwörungserzählungen und immer mehr Menschenfeindlichkeit.
Was wird dir besonders fehlen?
Unser Trainer*innen-Netzwerk: Über 100 ganz tolle und super engagierte Menschen, die alle auf ihre Weise aktiv sind. Wir haben wahnsinnig viele Perspektiven in diesem Netzwerk, die so wichtig sind. Gerade auch, wenn es um politische Bildung im ländlichen Raum geht. Eine Trainerin erzählte uns zum Beispiel, dass sie durch Firewall politische Bildung in ihren Landkreis in Süddeutschland bringen konnte, was sie wahnsinnig empowert hat, weil sie immer gedacht hat, sie müsste nach Berlin ziehen, obwohl sie das eigentlich nicht wollte. Wir haben sehr viel erreicht und es wäre fatal, wenn wir jetzt damit aufhören müssten.