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Interview In Berlin will ein Bündnis einen 8. März ohne Antisemitismus

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Bei einer Demo an der Berliner FU demonstrierten im Februar jüdische Studierende gegen Antisemitismus. (Quelle: picture alliance / Caro | Trappe)

Ein feministischer Kampftag ohne Antisemitismus? Das war in Berlin in den letzten Jahren eine Seltenheit. Immer wieder kam es zu antisemitischen Ausfällen auf großen Demos. Gerade an diesem 8. März 2024, fünf Monate und einen Tag nach dem Terror der Hamas und damit Vergewaltigungen, sexualisierter Gewalt und Entführungen, müsste es eigentlich selbstverständlich sein, dass Solidarität für alle Frauen gilt, auch wenn sie aus Israel kommen oder jüdisch sind. Doch das ist auch in diesem Jahr nicht immer der Fall. Organisationen, die die Taten der Hamas gerechtfertigt haben, beteiligen sich an Bündnissen, die Demos veranstalten und schaffen damit eine Drohkulisse für jüdische oder israelische Frauen.

Das neues Bündnis „Feminism unlimited“ fordert „universelle feministische Solidarität“ und veranstaltet am 8. März zum ersten Mal eine Demo in Berlin. Wir haben mit Bündnissprecherin Theresa Serber über Leerstellen im Queer-Feminismus, innerlinke Spaltungen und Intersektionalität gesprochen.

Belltower.News: „Believe all women“, ist eine zentrale Forderung, also Frauen zu glauben, wenn sie über sexualisierte Gewalt und über Übergriffe sprechen. Aber seit dem Terror vom 7. Oktober gibt es für einige Queer-Feminist*innen einen Zusatz: „Außer es sind Jüdinnen.“ Warum ist das so?
Theresa Serber: Antisemitismus ist leider eine Leerstelle im Queer-Feminismus. Das Weltbild dahinter und die verschiedenen Erscheinungsformen werden nicht begriffen und es fehlt auch der Wille, sich auf einer theoretischen Ebene damit auseinanderzusetzen. Antisemitismus wird häufig als Unterkategorie von Rassismus behandelt. Israelbezogener Antisemitismus existiert in dieser Vorstellung überhaupt nicht. Antisemitismus wird zu wenig als ein aktuelles Problem – auch vor dem 7. Oktober – begriffen. Zudem werden Juden_Jüdinnen in vielen (queer)feministischen Kontexten als weiß und Teil „des Westens“ markiert. Aus einem affektiven und vermeintlich antirassistischen Gefühl heraus, findet dann keine Kritik an antisemitischer und islamistischer Ideologie statt und im schlimmsten Fall wird sie geleugnet oder sogar glorifiziert. Antisemitismus ist teilweise so fest verankert, dass dann grundlegendste feministische Ansprüche wie „Believe all women“ über Bord geworfen werden. Es wird ein einfaches Bild von gut und böse konstruiert: Israel bzw. Juden_Jüdinnen als white Colonizer. Antisemitismus und Antizionismus geben also vielen vermeintlich Linken und Feminist*innen das Gefühl einer machtkritischen Positionierung. Auch die antisemitismuskritische Selbstinszenierung der Ampelregierung und der daraus folgenden Hetze gegen Geflüchtete und muslimisch markierte Menschen führt zu einer Art Generalverdacht von Antisemitismusbekämpfung als etwas Rassistisches und Konservatives. Viele scheitern daran, Widersprüche, Gleichzeitigkeiten und Komplexität anzuerkennen und auszuhalten.

 

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Warum braucht es eine weitere Demo am 8. März?
Innerlinke Spaltung durch Antisemitismus und Transfeindlichkeit ist ein Problem, welches die Vorfreude auf einen empowernden feministischen Kampftag schon lange überschattet. Seit dem 7. Oktober hat der Antisemitismus jedoch auch in feministischen Kontexten einen neuen Höhenpunkt erreicht. Wir beobachten nicht nur die ausbleibende Solidarität mit jüdischen und israelischen Frauen, die der sexualisierten Gewalt der Hamas zum Opfer fallen, sondern offene Leugnung bis Glorifizierung dessen – auch von Stimmen, die sich zum 8. März organisieren.
Am Tag gegen Gewalt an Frauen am 25.11. – also keine zwei Monate nach dem Massaker der Hamas – mussten jüdische und israelische FLINTA* ihre eigene Demo in Berlin organisieren. Wie kann das sein? Wo bleibt die Solidarität?

Wir wollen einen Feminismus, der sich mit allen Menschen solidarisiert, die der systematischen Unterdrückung des Patriarchats ausgeliefert sind. Wir wollen nicht wählen, ob wir mit Antisemit*innen, Terfs oder Rassist*innen mitlaufen müssen oder lieber ganz Zuhause bleiben. Wir wollen eine (queer)feministische und antifaschistische Demo ermöglichen, auf der ALLEN Opfern sexualisierter Gewalt geglaubt wird.

In vermeintlich progressiven Kreisen scheint der Blick oft ziemlich verengt auf den sogenannten Nahostkonflikt zu sein?
Solidarität muss global ausgeweitet werden. Jüdische, muslimische, kurdische, afrikanische, jesidische, jemenitische, afghanische und iranische Frauen und queere Menschen sind massiver islamistischer Gewalt ausgesetzt. Trotz dieser enormen Bedrohung besteht Widerstand durch emanzipatorische Bewegungen. Diese erhalten nur teilweise Aufmerksamkeit und Solidaritätsbekundungen. Die Kämpfe durch schwarze Aktivist*innen gegen die islamistische Terrorherrschaft im globalen Süden ist auch in islamismuskritischen linken Kontexten kaum Thema.
Auch die Auseinandersetzung mit feministischen osteuropäischen Perspektiven auf den russischen Krieg gegen die Ukraine, sowie Kritik an Russlands queerfeindlicher Politik müssen von Betroffenen immer wieder in linken Kontexten durchgesetzt werden.

Was sind eure Forderungen?
Neben einer feministischen Außenpolitik fordern wir Maßnahmen zum Schutz vor Femiziden und sexualisierter Gewalt, die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen, ein diskriminierungsfreies Selbstbestimmungsgesetz und vieles mehr (die Liste ist lang). Wir fordern auch die linke und feministische Szene dazu auf, sich endlich mit Antisemitismus und Islamismus auseinanderzusetzen und weitere betroffene Perspektiven miteinzubeziehen – und nicht nur jene, die das eigene Weltbild bestätigen und als Token dienen.
Und vor allem: Das Anzweifeln, die Relativierung und Leugnung von sexualisierter Gewalt muss aufhören. Rape Culture muss skandalisiert und bekämpft werden.

Ihr wendet euch gegen selektiven Feminismus. Was heißt das?
Eigentlich ist die Bezeichnung „selektiver Feminismus“ ein Paradoxon. Ein Feminismus, der selektiert und limitiert, ist kein Feminismus. Was wir aber damit zum Ausdruck bringen wollen, ist, dass viele vermeintliche Feminist*innen sich weigern, ihre eigenen Grundprinzipien und ihre eigentlichen Ansprüche und Forderungen für ALLE geltend zu machen, die von patriarchaler Gewalt betroffen sind. Der eigene intersektionale Anspruch wird nicht eingehalten, sobald es um Juden_Jüdinnen und generell um die Opfer islamistischer Gewalt geht.

Verschiedene Erscheinungsformen sowie antisemitische Weltbilder und Stereotype werden nicht behandelt. Antisemitismus wird maximal als weitere Kategorie Gruppenbezoger Menschenfeindlich betrachtet. Doch selbst in diesem unzureichenden Verständnis von Antisemitismus  werden einige Feminist*innen ihrem eigenen intersektionalen Anspruch nicht gerecht: Anstatt alle Diskriminierungsformen als etwas anzuerkennen, das in gesellschaftlichen Strukturen, in unserer Sozialisation und Denkweise verankert ist, wird Antisemitismus immer nur konkreten Situationen, Personen und vor allem der NS-Zeit zugeordnet. Die notwendige Erkenntnis und daraus resultierende Selbstkritik, dass Diskriminierung nicht nur von rechts ausgehen kann, bleibt bei Antisemitismus noch immer aus. Antisemitismus als gesellschaftliches Problem sowie eigene Denkweisen und Doppelstandards werden nicht reflektiert.

Auch trans Personen müssen häufig die Erfahrung machen, aus vermeintlich feministischen Kontexten ausgeschlossen zu werden.
Das überproportional hohe Risiko von trans Personen, Oper einer Gewalttat bis hin zu Mord zu werden, ist scheinbar vielen immer noch nicht bewusst oder egal. Eine Statistik von Transgender Europe belegt, dass von Oktober 2022 bis November 2023 europaweit 321 trans Menschen ermordet wurden. Mehr als 90 Prozent der Opfer sind trans Frauen. Größtenteils trans Frauen of Color, Schwarze trans Frauen oder Sexarbeiterinnen. Gleichzeitig werden trans Personen durch Rechtsradikale, Antifeministen und Verschwörungerzählungen als ulitmative Bedrohung dargestellt. Dass eine so gefährdete Gruppe dann noch die schmerzliche Erfahrung machen muss, solche Narrative in vermeintlich feministischen Kontexten wiederzufinden, ist untragbar.

Viele transfeindliche „Feministinnen“ scheinen das Gefühl zu haben, dass ihnen etwas weggenommen oder die eigene Unterdrückung abgesprochen wird, wenn die von trans Personen sichtbar gemacht wird. Kämpfe von Frauen, queeren und trans Menschen sind miteinander verwoben. Sie müssen zusammen gedacht und nicht gegeneinander ausgespielt werden.

Jüdischen Frauen zu glauben, bedeutet genauso wenig, das Leid – und auch das geschlechtsspezifische Leid und die Gewalterfahrung – von Palästinenser*innen abzuerkennen. ​​​​​​Die eine Unterdrückung wird nicht durch die Sichtbarkeit einer anderen aberkannt. Betroffene patriarchaler Unterdrückung sollten nicht in (Opfer-)Konkurrenzen verfallen, sondern für eine universelle feministische Solidarität und gegen JEDE patriarchale Gewalt zusammenstehen.

Was passiert am 8. März?
Um 15 Uhr findet am Helsingforser Platz eine Kundgebung jüdischer und israelischer Frauen statt, die vom feminism unlimited Bündnis supportet wird. Mit dieser Kundgebung wollen wir Betroffenen von Antisemitismus und Islamismus zuhören, die seit dem 7. Oktober verstärkt Anfeindungen und Bedrohungen ausgesetzt sind und die schmerzhafte Erfahrung ausbleibender Solidarität aus feministischen Kontexten machen müssen. Danach startet die Demo und läuft zum Wismarplatz, wo eine Zwischenkundgebung mit Redebeiträgen von Latkes* Berlin, Hengameh Yaghoobifarah, Amina Aziz und weiteren tollen Redner*innen stattfinden wird. Die Demo endet mit einer Abschlusskundgebung am Frankfurter Tor.

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