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Interview In Schulbüchern gegen Israel

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(Quelle: Unsplash)

Wir haben mit Miki Hermer und Stephanie Ecks über ausgelassene Fakten, falsche Begrifflichkeiten und die „Juden in der Wüste” gesprochen.

Belltower.News: Ihr habt 16 Schulbücher der Sekundarstufe 1 angeschaut, also bis zur zehnten Klasse, für Geschichte, Gesellschaftswissenschaften und Politik.
Miki Hermer: Genau. Der Rahmenlehrplan Berlin gibt lediglich vor, welche Kernthemen im Unterricht in der jeweiligen Klassenstufe behandelt werden müssen. Dabei können Lehrkräfte wählen, welche Lehrbücher sie benutzen möchten. Populär sind Schulbücher der drei großen Verlage Klett, Westermann und Cornelsen. Auf diese haben wir uns auch beschränkt. Unser Fokus lag dabei nicht allzu sehr auf Antisemitismus oder auf Israelbezogenem Antisemitismus, sondern auf der Darstellung Israels. Wir haben unsere Analyse gemeinsam mit dem Mideast Freedom Forum Berlin erarbeitet. Die Bücher, die uns am relevantesten erschienen, haben wir feinanalysiert.

Und was ist dabei rausgekommen?
Miki Hermer: Das Gravierendste sind eigentlich die Sachtexte, die neutral Wissen vermitteln sollten, aber sehr häufig tendenziös und wertend sind. Eine unvoreingenommene Meinungsbildung ist für Schülerinnen und Schüler so kaum möglich. Zitat aus einem Schulbuch von Westermann: „Es ist keinesfalls so, als hätte die Wüste auf die Ankunft der Juden gewartet“. In einem Sachtext. Das ist hämisch und polemisch. Solche oder ähnlich urteilende Beispiele haben wir als unzureichend definiert. Auch die Idee von unterschiedlichen Seiten auf den Konflikt zu schauen – Multiperspektivität – wird oft höchstens auf den ersten Blick umgesetzt, wenn zwar eine israelische Stimme und eine palästinensische Stimme zu Wort kommen, die israelische jedoch politisch dem antizionistischen Lager zugeordnet werden könnte.

Stephanie Ecks: Es ist auch deutlich geworden – da decken sich unsere Befunde mit vorherigen Studien – dass das Israelbild insgesamt unterrepräsentiert ist. Israel kommt überhaupt nur im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt vor und wird häufig als alleiniger Aggressor dargestellt. Der Konflikt an sich wird daher auch unterkomplex dargestellt, im Lehrmaterial tauchen bei näherer Betrachtung große historische Leerstellen auf. In der Studie nennen wir das David-gegen-Goliath-Narrativ. In dem Zuge wird zum Beispiel auch der palästinensische Terrorismus verharmlost.

Woran macht ihr das fest?
Miki Hermer: Zum Beispiel an der mangelnden Einordnung von geläufig verwendeten Begriffen, drei im speziellen: Zionismus, Palästina und Intifada. Alle drei werden entweder falsch, gar nicht oder mitunter tendenziös kontextualisiert. Der Begriff Palästina suggeriert sofort einen jüdischen Fremdkörper im arabischen Raum, da er im heutigen Narrativ einen zukünftigen Staat für Palästinenser*innen bezeichnet. Es wird selten dargestellt, dass lange vor der israelischen Staatsgründung Palästinenser*innen und Jüdinnen und Juden Menschen aus Palästina waren. Der Begriff Palästina hat je nach Epoche eine sich wandelnde Bedeutung, das muss klar betont werden. Auch beim Begriff. Zionismus ist das so. Heute wird er als tendenziell rechte Bewegung interpretiert, die vermeintlich einen rein jüdischen Staat fordere. Zionismus, also das Bestreben nach einer schützenden, jüdischen Heimstätte, ist jedoch entstanden, weil Europa Juden zunächst diskriminierte, verfolgte und dann ermordet hat. Nicht zuletzt deswegen gab es die zionistische Bewegung. Ohne diesen Kontext und die historischen Zusammenhänge, ist nicht nachzuvollziehen, dass die Bildung eines jüdischen Staates legitim ist. Als letzter Begriff, der nur mangelhaft erläutert wird, ist noch „Intifada” zu nennen, diese wird oft nur beschönigend als „Jugendaufstand” übersetzt, illustriert mit Bildern von Kindern, die Steine auf einen übermächtigen israelischen Panzer werfen. Zivile Opfer durch Terror und das Leid auf israelischer Seite werden, wenn überhaupt, dann nur am Rande erwähnt. Hier sehen wir enorme Leerstellen.

Wie sieht‘s überhaupt mit der Bildsprache aus?
Stephanie Ecks: Auf ganz vielen Bildern wird Israel nur in Form von Panzern und Soldaten dargestellt. Es gibt sehr selten Bilder von der israelischen Zivilbevölkerung, die in den Sachtexten auch nicht als Opfer von Terror benannt wird. Das spiegelt sich bei den Angaben zu Geflüchteten-Zahlen, die Flucht und Vertreibung von Palästinenser*innen vor und nach der Staatsgründung wird ausgiebig erwähnt, aber nicht die Flucht und Vertreibung von Jüdinnen und Juden aus arabischen Ländern und dem Iran, die auch zur gleichen Zeit stattfand.

Die Bildsprache der analysierten Schulbücher polarisiert bewusst und schafft einseitig Empathie für die palästinensische Seite. Vereinfachende Gegenüberstellung von Gut und Böse verhindern eine unvoreingenommene Meinungsbildung bei Schüler*innen. Was nur selten in den Schulbüchern gezeigt oder thematisiert wird, sind auch Friedensbemühungen und -verhandlungen, Israels oder von palästinensischen zivilgesellschaftlichen Initiativen, als auch von überregionalen Akteuren, also anderen Staaten. Historische Fakten werden hier einfach nicht thematisiert und ausgeblendet, stattdessen wird ein überzeitlicher ewiger Konflikt dargestellt, der nicht zu lösen sei.

Als religiöser Konflikt?
Stephanie Ecks: In den Schulbüchern wird oft von einem ausschließlich religiösen Konflikt gesprochen und nicht einem historischen oder geopolitischen zwischen zwei Konfliktparteien: Es wird eine ganz klare religiöse Linie zwischen Juden auf der einen Seite und Muslimen auf der anderen, gezogen. Das ignoriert die Faktenlage und blendet andere Akteure aus, die im Nahostkonflikt verschiedene Interessen vertreten, zum Beispiel die arabischen Nachbarstaaten, die USA oder die Sowjetunion zu Zeiten der Staatsgründung. Die Gründung wird als großes historisches Ereignis thematisiert, genauso wie der Sechstagekrieg, aber davor und danach weisen die analysierten Schulbücher große Lücken auf.

Die jüdische Präsenz in der Region, die seit der Antike besteht, wird oft nicht ausreichend nachgezeichnet. Das heißt Schüler*innen wird nicht verständlich gemacht, dass Jüdinnen und Juden dort schon immer waren und dadurch die Legitimität des Staates Israel an dieser Stelle besteht. Insgesamt kann man von einer großen Auslassung von historischen Fakten sprechen. Die wären aber didaktisch äußerst notwendig, um die Staatsgründung den Schülerinnen und Schülern verständlich zu vermitteln.

Woran liegt das?
Miki Hermer: Warum sollte sich das Israelbild in Schulbüchern unterscheiden vom Israelbild der Medien und der Gesellschaft? Das gesellschaftliche Bild spiegelt sich natürlich auch in Schulbüchern wider. Es steckt sicher keine böse Absicht dahinter. Die Autor*innen sind sich wahrscheinlich gar nicht unbedingt bewusst, dass sie  rote Linienübertreten und wie reduktionistisch das Israelbild ist, das sie zeichnen. (Intendierter) Antisemitismus findet sich übrigens lediglich an zwei, drei Stellen. Es sind die gemeinsamen, gesamtgesellschaftlichen Narrative, die in den Schulbüchern weitererzählt werden. Israelis und damit Juden und Jüdinnen als Täter*innen sind einigen evtl. bekömmlicher, als ein Staat, der jeden Tag um seine Existenz und für sein legitimes Recht kämpft.

Bildung gehört immer zu den Forderungen, wenn es um die Bekämpfung von Antisemitismus geht. Aber wenn Bildung auf diesen Ansichten beruht, was bedeutet das?
Miki Hermer: Wichtig wäre, schon in der Ausbildung von Lehrkräften israelbezogenen Antisemitismus und Antisemitismus generell zu thematisieren. Dazu braucht es mehr Wissen über Antisemitismus und Israel Education. Diese Themen müssten im Curriculum des Lehramtstudiums verankert werden.

Ihr habt schonmal ein halbes Jahr lang einen Politikkurs an einer Neuköllner Oberschule begleitet und über Antisemitismus gesprochen. Was ist euer Eindruck? Was fehlt?
Stephanie Ecks: Generell wird zu wenig über jüdisches Leben gesprochen. Alles, was ab dem Mittelalter folgt, ist entweder dieses Narrativ von Juden als Geldverleiher oder als Opfer der Shoah. Beispiele von jüdischen Menschen, die Leistungen etwa in der Wissenschaft erbracht haben, kommen kaum vor oder ihr Jüdischsein wird verschwiegen.

Es braucht außerdem Grundwissen. Um Antisemitismus zu erkennen, muss man wissen, wie jüdisches Leben aussieht und ausgesehen hat. Auch um eine Kontinuität zu schaffen, die nicht mit der Shoah anfängt und endet

Miki Hermer: Und letztendlich gab es bei all der Kritik auch zwei wirklich positiv herausstechende Bücher. Beide im Klett-Verlag erschienen. Da gibt es Kapitel mit der Überschrift „Jüdisches Leben in Deutschland”. Es umreißt jüdische Feiertage, Juden in Europa und ihr Beitrag zur Kulturgeschichte, ihre Verfolgung, den Holocaust und letztlich den Wunsch nach einem eigenen Staat. Das ist ein gelungener Versuch, ein Bild von Jüdinnen und Juden im heutigen und im historischen Deutschland zu vermitteln. Inklusive einem Bezug zum Nahostkonflikt.

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