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Interview mit dem Opferfonds CURA „An der Seite von Betroffenen von rechter Gewalt“

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Rechte Gewalttaten sind „Botschaftstaten“: Sie treffen nicht nur die Opfer, sondern sind auch ein Angriff auf die Gruppe, für die die Opfer stehen. (Quelle: AAS)

Ein Mann der im Fitnessstudio aus rassistischen Gründen angegriffen wird, eine Frau die immer wieder von ihrer Nachbarin antisemitisch beleidigt wird, ein Journalist dessen Wohnung Neonazis verwüsten oder ein rechter Brandanschlag auf ein Wohnhaus. Es gibt die unterschiedlichsten Fälle von rechter Gewalt. Dabei denken die meisten wohl an Angriffe von rechtsextremen organisierten Gruppen. Das ist zwar nicht falsch, bildet jedoch nicht das ganze Ausmaß von Angriffen ab, die alleine aufgrund bestimmter Vorstellungen von Ungleichwertigkeit und Feindbildern begangen werden.

Rechte Gewalttaten sind „Botschaftstaten“, sie treffen nicht nur die Opfer, sondern sind auch ein Angriff auf die Gruppe, für die die Opfer stehen. Der Opferfonds CURA unterstützt seit 2004 Betroffene rechtsradikaler, rassistischer, antisemitischer und anderer vorurteilsmotivierter Angriffe schnell und unbürokratisch mit finanziellen Mitteln. Wir sprachen mit Sarah Haupenthal, Projektleiterin von CURA, über Hassgewalt und darüber was jeder Einzelne tun kann.

Belltower.News: Was sind die Anliegen, mit denen Betroffene auf euch zukommen?
Sarah Haupenthal: Ein vorurteils- oder politisch motivierter Angriff kann viele Formen annehmen und sehr unterschiedlich aussehen: von spontanen verbalen und physischen Attacken auf der Straße oder im Supermarkt bis zu gezielten Anschlägen auf Geschäfte, Einrichtungen oder Privatwohnungen. Entsprechend sind auch die Anliegen, mit denen Betroffene zu uns kommen vielfältig.

Wie sieht die Hilfe die ihr leistet dann konkret aus?
Wir helfen beispielsweise bei der Wiederbeschaffung von bei einem Angriff zerstörten und dringend benötigten Alltagsgegenständen wie einer Brille oder einer Winterjacke. Cura leistet aber auch Unterstützung bei der Durchführung von Sicherheitsmaßnahmen z.B. an der Wohnungstür oder der Installation von Überwachungskameras. Sehr häufig bitten Betroffene auch um die Übernahme von Anwaltskosten, um gegen die Täter*innen vorgehen zu können. Für die Betroffenen steht dabei meist die offizielle Anerkennung der Taten als voruteilsmotivierte Gewalttaten im Vordergrund, dies ist sehr wichtig für eine Verarbeitung des Geschehenen.

Könnt ihr irgendeine Art von Trend ausmachen?
In letzter Zeit unterstützen wir immer häufiger bei Umzügen, die aufgrund von Bedrohungslagen in einer bestimmten Region notwendig werden. Dies passiert zum Beispiel wenn Menschen andauernd rassistisch oder homofeindlich beleidigt und bedroht werden, zum Teil sogar von direkten Nachbar*innen. Ein Wegzug ist natürlich keine Lösung des gesellschaftlichen Problems, aber für das Leben der Betroffenen fundamental wichtig.

Welche Formen von Hasskriminalität gibt es?
Als Hasskriminalität werden alle kriminellen Handlungen bezeichnet, die aufgrund von rassistischen, homofeindlichen, antisemitischen, sozialchauvinistischen und anderen menschenverachtenden Motiven begangen werden. Häufig wird auch die Bezeichnung Vorurteilskriminalität verwendet, die viele als eine bessere Beschreibung des Phänomens empfinden. Dazu können auch Beleidigungen und Bedrohungen auf der Straße oder Hetze im Internet zählen. Der Opferfonds CURA unterstützt vor allem Menschen, die Betroffene von Hassgewalt geworden sind, also einen physischen Angriff oder Angriffsversuch erlebt haben. Die Täter*innen sind dabei bei weitem nicht immer organisierte Neonazis, sondern häufig so genannten Alltagsrassist*innen oder Menschen mit anderen abwertenden Einstellungen. Die Angriffe sind deshalb nicht weniger schlimm und haben die gleiche einschüchternde und traumatische Wirkung.

Welche Auswirkungen kann Gewalt haben, die allein aufgrund von Hautfarbe, Religion, Sexualität, Nationalität ausgeübt wird?
Hassgewalt hat eine zutiefst verunsichernde Wirkung, da sie aus der Perspektive der Betroffenen völlig anlasslos und häufig „aus dem nichts heraus“ geschieht. Häufig ist bei vorurteilsmotivierten Gewalttaten auch eine besonders hohe Brutalität der Täter*innen zu beobachten. Für Betroffene entsteht ein besonderes großes Gefühl der Ohnmacht.

Ist diese Ohnmacht also quasi eine weitere Gewalttat?
Ja, kann man so sagen. Auf der Suche nach einem „Grund“ für das Geschehene gibt es aus dem gesellschaftlichen Umfeld der Betroffenen, wie auch bei Polizei und Justiz, häufig den Reflex, die Schuld bei den Betroffenen selbst zu suchen, die sich plötzlich in einer Verteidigungshaltung befinden. Diese zweite traumatische Erfahrung nach dem Angriff wird auch als „sekundäre Viktimisierung“ bezeichnet und erschüttert ein zweites Mal fundamental das Vertrauen in unsere Gesellschaft.

Wie wirken sich solche Taten aus? Auch in Bezug auf Menschen, die potentiell Opfer von rechter Gewalt werden können?
Vorurteilsmotivierte Angriffe sind Botschaftstaten. Das heißt, dass solche Taten nicht nur gegen das direkte Opfer gerichtet sind, sie zielen auf die Einschüchterung und Bedrohung einer ganzen gesellschaftlichen Gruppe, wie zum Beispiel gegen Geflüchtete, Juden oder Muslime. Wir müssen uns immer bewusst sein, dass Hassverbrechen nicht nur das einzelne Opfer treffen, sondern immer gegen die ganze Community gerichtet sind. Die Mehrheitsgesellschaft kann es in vielen Fällen nicht richtig nachvollziehen, welche Signale einzelne Angriffe gegen beispielsweise PoC, Muslime, Juden und Jüdinnen, Rom*nija oder Trans-Personen in die entsprechenden Gemeinschaften senden. Sie rufen Angst hervor und schränken die Bewegungsfreiheit und das Sicherheitsempfinden der gesamten Gruppe ein. Damit haben sie größere gesellschaftliche Auswirkungen und sind eine Bedrohung für ein demokratisches Zusammenleben.

Habt ihr ein paar praktische Tipps, was jeder Einzelne zur Unterstützung tun kann?
Wichtig ist zunächst, sich bewusst zu sein, wie sehr Bedrohungen und Hassgewalt zum Alltag in Deutschland gehören. Wenn man zum Beispiel auf der Straße oder im Supermarkt Situationen beobachtet, in denen Menschen angepöbelt oder gar bedroht werden, sollte man stehen bleiben, Präsenz zeigen und nachfragen, ob alles in Ordnung ist. Auch und besonders, wenn die Einschüchterungen von Autoritätspersonen wie zum Beispiel einem Supermarkt-Detektiv ausgeht. Betroffenen zu zeigen, dass Umstehende die Situation wahrnehmen und sich verantwortlich fühlen, dass sie nicht allein sind und dass das Verhalten der Täter*innen nicht hinnehmbar ist, ist eine wichtige Unterstützung und kann häufig Schlimmeres verhindern.

Und was kann man tun, wenn man nicht gerade vor Ort ist?
Betroffene brauchen nach einem Angriff Aufmerksamkeit und Unterstützung. Wichtig ist dabei, ihre Erfahrungen ernst zu nehmen und ihre Perspektive ins Zentrum zu rücken – einfach an der Seite der Betroffenen zu sein. In der Vergangenheit hat sich beispielsweise im Umgang mit den Anschlägen des NSU gezeigt, dass staatliche Strukturen wie Polizei und Justiz häufig leider nicht in der Lage dazu waren. Umso wichtiger sind zivilgesellschaftliche Strukturen, die Betroffene nicht alleine lassen. Die finanzielle Unterstützung des Opferfonds CURA ist für Betroffene häufig nicht nur existenziell notwendig, sondern für die Betroffenen auch ein wichtiges Signal der Solidarität und Anerkennung und eine Voraussetzung, Vertrauen in die Gesellschaft zurückzugewinnen. Da wir Betroffene ausschließlich mit Spendengeldern unterstützen können, sind wir für unsere Hilfeleistung auf Spenden angewiesen.

Seit geraumer Zeit streben rechtsaußen Akteure und Politiker*innen eine Diskursverschiebung an, offenbar leider erfolgreich. Merkt ihr Auswirkungen bei den Betroffenen?
Mit den Grenzen des Sagbaren haben sich nun auch die Grenzen des Machbaren verschoben. Menschenverachtende Einstellungen erhalten eine zunehmende Akzeptanz. Menschen, die als Minderheiten gedeutet werden, wie beispielsweise Geflüchtete, Jüd*innen, Muslime, PoC und Homosexuelle bekommen das als erstes und oft eben sogar am eigenen Leib zu spüren.

Der Umgang mit Hassgewalt darf dabei aber nicht von aktuellen Konjunkturen der medialen Aufmerksamkeit abhängen, wie zum Beispiel dem Mord an Walter Lübcke. Derzeit gibt es eine Welle der Solidarisierung mit Kommunalpolitiker*innen und Maßnahmen zu ihrem Schutz, was gut, richtig und wichtig ist, aber gleichzeitig ignoriert, dass Hassmorde kein neues Phänomen sind und auch andere Gruppen diesen Schutz bräuchten. Die politische Mitte steht in der Verantwortung, Tabubrüchen eine Absage zu erteilen und mit der eigenen Politik nicht dazu beizutragen.

Wir müssen endlich Hasskriminalität und Hassgewalt als einflussreiches gesellschaftliches Phänomen, das starke Auswirkungen für Betroffene und die Gesellschaft hat, anerkennen. Im aktuellen politischen Diskurs werden Abwertungsideologien immer salonfähiger, es wird Angst geschürt und ganze Gruppen werden diffamiert.

Immer wieder kommt es zu rassistischen und diskriminierenden Übergriffen durch Sicherheitsbehörden. Wie kann man damit umgehen?
Es fehlt im Umgang mit Fällen von Hassgewalt durch Polizei und Justiz einfach häufig an Wissen über die Bedeutung von Hasskriminalität und den Umgang mit Betroffenen, aber auch am Willen, dem Thema die angemessene Behandlung zukommen zu lassen. Betroffene werden nicht ernst genommen, Ermittlungen frühzeitig eingestellt oder die Tatmotive vor Gericht nicht erkannt oder gar nicht erst geprüft. Für Betroffene und ihre Verarbeitung des Geschehenen ist dies verheerend. CURA setzt sich deshalb dafür ein, dass das Thema Hasskriminalität mehr in die Aus- und Weiterbildung von Polizist*innen, Staatanwält*innen und Richter*innen integriert wird, sowie für bessere Kontrollmechanismen in den Behörden, wie beispielsweise durch die Ernennung von Beauftragten. Im Februar 2020 wird es zu diesem Thema einen Tageskongress in Berlin geben, mit dem wir auch in der Öffentlichkeit ein Schwerpunkt setzen wollen.

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