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Interview Mohammed Altlooli kommt aus Gaza und kämpft gegen die Hamas

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Mohammed Altlooli arbeitet mit geflüchteten Kindern in einem Camp auf der griechischen Insel Leros. (Quelle: privat)

Mohammed Altlooli ist politischer Aktivist aus Gaza. 2017 hat er im „Gaza Youth Movement“ Proteste gegen die Hamas mit angeführt. Seitdem er den Gazastreifen verlassen musste, klärt er über die Hamas auf und ermutigt die Zivilbevölkerung vor Ort, die Proteste fortzusetzen. Wir haben mit ihm über die verzerrte Wahrnehmung des 7. Oktobers und die reale Situation der Menschen in Gaza gesprochen.

Belltower.News: Wie interpretieren Sie den Terror vom 7. Oktober?
Mohammed Altlooli: Als erstes möchte ich allen betroffenen Israelis und Zivilist*innen in Gaza mein tiefes Mitgefühl aussprechen. Den Angriff am 7. Oktober habe ich vor allem als eine Ablenkung der Hamas von ihrem eigenen politischen Versagen wahrgenommen. Die Menschen im Gazastreifen merken schon lange, dass die Hamas sich nicht um die eigene Bevölkerung schert und keine Verantwortung für die existenziellen Bedürfnisse der Menschen übernimmt, wie zum Beispiel die ausreichende Versorgung mit Wasser und Elektrizität. Nachdem die Unzufriedenheit der Zivilbevölkerung durch Proteste immer sichtbarer wurde, hatte die Hamas verstärkt Interesse daran, von ihrer eigenen Verantwortung für die Situation im Gazastreifen abzulenken und sich als „Befreiungskämpfer” zu inszenieren.

Im Westen kommt das gut an. Wie erklären Sie sich diese Verklärung des Angriffs trotz des offensichtlich repressiven Regimes der Hamas in Gaza?
Das liegt unter anderem am Auftreten, der Sprache und  den Slogans, die die Hamas auf internationaler Ebene nutzt. Die Gruppe konnte international tatsächlich an Popularität gewinnen, weil Menschen auf ihre Propaganda hereinfallen. Auf innenpolitischer Ebene sieht das anders aus. Von der Annahme eines „Befreiungskampfes“ ist dort wenig zu sehen. Es ist schon lange deutlich, dass die Hamas nur im Sinne ihrer eigenen Machtinteressen agiert. Sie führt Stellvertreterkriege für das iranische Regime im Namen des palästinensischen Volkes, die nichts mit der Befreiung oder Autonomie der Bevölkerung im Gazastreifen zu tun haben. Ganz im Gegenteil haben auch schon die letzten drei Kriege, die die Hamas gegen Israel begonnen hat, zu nichts außer Schmerz, dem Verlust der eigenen Familien und weiteren Krisen geführt. Für die Hamas sind diese Kriege ein Geschäft. Sie profitiert vom Elend der Bevölkerung. Selbst in der aktuellen Situation, in der die Menschen an Hunger leiden, stiehlt die Hamas humanitäre Hilfsgüter.

Sie haben zuletzt im Januar in der Jungle World über die aktuellen Proteste im Gazastreifen gegen die Terrororganisation berichtet. In deutschsprachigen Medien ist darüber ansonsten wenig zu lesen.
Erst letzte Woche gab es Proteste in Khan Younis und Rafah. Männer, Frauen und Kinder forderten einen Waffenstillstand, die Freilassung der israelischen Geiseln und dass die Hamas ins Exil verschwindet. Ich denke, dass die Mehrheit der Bevölkerung in Gaza sie loswerden möchte.

Leider haben wir kritischen palästinensischen Aktivist*innen keine Plattform und keine Unterstützung von außen. Aufgrund der politischen Überwachung durch die Hamas gibt es in Gaza auch nicht wirklich zivilgesellschaftliche Organisationen, die man unterstützen kann. Wir sind auf uns alleine gestellt. Ich glaube jedoch weiterhin daran, dass es in der Hand der palästinensischen Bevölkerung liegt, sich der Hamas entgegenzustellen und sie zu vertreiben. Deshalb ist es mir in meinem Aktivismus auch wichtig, die Menschen im Gazastreifen weiter zu ermutigen, sich gegen die Hamas zu wehren und ein Sprachrohr für sie zu sein. Ich wünsche mir, dass auch mehr Menschen im Ausland die Proteste unterstützen und sichtbar machen. Meistens sieht man nur Bilder vom Elend aus Gaza. Nicht die Bilder des Zusammenhalts, der Liebe oder des Protests. Die Bilder des Elends verkaufen sich nunmal besser.

Wieso eigentlich?
Das ist eine komplexe Frage. Ich denke, das ist im Sinne der Hamas. Für sie ist das Elend der Palästinenser*innen ein Geschäft, von dem sie profitieren. Die Hamas steht auch für ein sehr eisernes Männlichkeitsideal des starken Märtyrers und Kämpfers. Sie wollen nicht, dass palästinensische Männer, die davon abweichen oder sich dem widersetzen, sichtbar werden. Im Übrigen ist das ironischerweise ein Ideal, dem die Hamas-Führung selbst nicht einmal gerecht wird. Sie treiben Menschen zum bewaffneten Kampf an, halten sich jedoch gleichzeitig selbst lieber in Sicherheit im Ausland auf, während ihr angebliches Volk in Gaza im Krieg getötet wird.

In den letzten Wochen ist die Kritik am israelischen Militäreinsatz im Gazastreifen und dem Ziel, den Krieg so lange zu führen, bis die Hamas vernichtet wurde, immer lauter geworden.
Die Situation ist paradox, da die Existenz der Hamas in der Vergangenheit gut mit Netanyahus Interessen harmoniert hat. Der fortlaufende Krieg führt zu immer mehr Leid und Vertreibung und wird auf den Schultern der palästinensischen Zivilbevölkerung ausgetragen. Ich denke, dass es gerade Ähnlichkeiten zwischen der Lage der Israelis und der Lage der Bevölkerung in Gaza gibt. Auch in Tel Aviv gibt es immer wieder Demonstrationen gegen die ultrarechte Regierung. Meine Message an die israelische Zivilbevölkerung ist, dass genauso wie sie, auch viele Palästinenser*innen einfach in Ruhe leben und das Land in Frieden mit ihnen teilen wollen. Sie wünschen sich diesen Frieden nicht nur, sie brauchen ihn auch. Genauso wie die Menschen in Gaza weiter gegen die Hamas demonstrieren werden, hoffe ich, dass die Menschen in Israel auch weiterhin laut gegen ihre Regierung sind.

Als Aktivist haben Sie in Gaza mehrere Kriege und politische Rückschläge erlebt. Was lässt sie weiterhin hoffnungsvoll für eine friedliche Koexistenz der Menschen in Israel und Palästina bleiben?
Das Problem ist nicht, dass die Menschen vor Ort keinen Frieden wollen. Es geht darum, dass die Menschen in Gaza nur ein Spielball der Interessen des Iran und anderer Großmächte sind. Diese Regime interessieren sich nicht dafür, was die Menschen wirklich wollen. Palästinenser*innen stehen den machtpolitischen Interessen in der Region nur im Weg. Deswegen hoffe ich sehr darauf, dass Israelis und Palästinenser*innen irgendwann ohne Vermittlung von außen gemeinsam an einen Tisch kommen.

Obwohl ich aufgrund des Militäreinsatzes nach dem 7. Oktober meinen Vater und meine Stiefmutter verloren habe und meine Familie zu Schulen der UNRWA und in ein Flüchtlingscamp in Jabalya fliehen musste, trete ich in meinem Aktivismus nach wie vor überzeugt für Frieden zwischen Israelis und Palästinenser*innen ein. Ich halte diese Einstellung auch für keinen naiven Optimismus. Ich weiß, dass der Weg sehr steinig ist, aber die derzeitigen Proteste auf beiden Seiten zeigen, dass es sowohl Israelis als auch Palästinenser*innen gibt, die sich eine gemeinsame Zukunft ohne radikale politische Führer wünschen.

Wie sieht eine realistische Perspektive für den Gazastreifen nach dem Krieg aus?
Sicher ist, dass die Menschen im Gazastreifen, solange sie kein normales Leben führen können, weiterhin gegen die Hamas protestieren werden, auch wenn ihre Mittel schwach sind. Immer mehr Palästinenser*innen haben keine Angst mehr vor der Hamas. Ich denke, dass vielen Menschen im Gazastreifen eine zivile Verwaltung der Israelis als Übergangslösung sicherlich lieber wäre als die Fatah oder die Hamas. Schließlich ist die israelische Regierung im Gegensatz zur Hamas an internationales Recht gebunden und müsste eine Versorgung der Bevölkerung mit den notwendigsten alltäglichen Dingen sicherstellen. In der Vergangenheit hat sich deutlich gezeigt, dass weder die korrupte Fatah noch die Hamas zukunftsfähige Optionen sind. Das palästinensische Volk muss seinen politischen Repräsentanten für ein würdevolles Leben in Freiheit noch finden. Solange befürworte ich jede Verwaltung, die die knapp zwei Millionen Zivilist*innen in Gaza glaubhaft unterstützt und ihre existenzielle Versorgung sicherstellt. Die aktuellen Zustände in Gaza und das Fehlen einer zeitnahen Vision für einen Waffenstillstand erschöpfen die Menschen vor Ort und bringen sie ans Ende ihrer Kräfte. Deswegen hat der Schutz dieser Menschen und ihre Unterstützung für mich persönlich absolute Priorität.

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