Das Interview führte Uli Hauser
Herr Lindenberg, am kommenden Freitag (2. Dezember 2011) laden Sie zu Rock gegen rechte Gewalt in Jena. Warum?
Das ist jetzt eine schnelle Aktion, die leider sein muss. Als bekannt wurde, dass die Neonazi-Mörder eine Blutspur durch Deutschland gezogen haben, war ich erst sprachlos. Wir haben ja immer davor gewarnt, die Gefahr von rechts nicht ernst zu nehmen. Aber das, was sich in den vergangenen Jahren offensichtlich ereignete, macht mich fassungslos. Aber hilft ja nix, jetzt müssen wir wieder Zeichen setzen.
Was meinen Sie damit, wenn Sie „Zeichen“ setzen wollen?
Es sind jetzt ein paar Wochen des Entsetzens vergangen. Die Politiker haben das Richtige getan und schnell reagiert. Aber jetzt müssen wir Bürger wieder auf die Straße. Ich kämpfe seit Jahrzehnten für die Bunte Republik Deutschland. Niemand wird uns unsere Bunte Republik in ein schräges Licht rücken, es muss endlich Schluss sein mit dem Nazi-Terror.
Das ist wahrscheinlich ein frommer Wunsch. Wundert es Sie eigentlich, dass Sie der erste bekannte deutsche Künstler sind, der nach dem Bekanntwerden der Mordserie öffentlich aktiv wird?
Weiß nicht. Als vor elf Jahren (2000) der sogenannte „Aufstand der Anständigen“ ausgerufen wurde, waren natürlich erst einmal jede Menge mehr Leute am Start. Aber ich habe keine Zeit, mir Gedanken zu machen, was andere tun. Ich habe mir geschworen, gegen Nazi-Terror aufzustehen, solange ich lebe. Ich meine, das sind wir auch den vielen Opfern der vergangenen Jahre und der Zeit davor schuldig. Es ist (2011) mal gerade 66 Jahre her, dass die Alliierten Deutschland befreit haben.
Und Sie sind jetzt (2011) im 66. Lebensjahr …
… in einem Alter, das man mir nicht ansieht, nä? Bin ja noch ein junger Hüpfer. Aber als Nachkriegskind habe ich mitbekommen, wie sich alle weggeduckt haben, als die Fragen kamen, was getan wurde, Hitler zu verhindern. Wir sollten uns keine Illusionen machen: Was sich Neonazi schimpft, hat eine glasklare Ideologie. Der will unsere Demokratie abschaffen und ein Terror-Regime errichten. Der findet geil, wenn man ihn einen Nazi nennt. Ich finde, wir sollten solche Typen nach dem benennen, was sie sind: Kriminelle. Gangster. Banditen.
Stimmt es, dass der (damalige) SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel Sie gedrängt hat, das Konzert zu organisieren?
Er hat mich nicht bedrängt, wir haben das gemeinsam überlegt. Wir sind schon seit Langem befreundet und tauschen oft Gedanken aus. Mich hatten vorher andere Freunde gebeten, was auf die Beine zu stellen. Aber ich bin gerade ziemlich busy, habe viel zu tun. Meine neue CD auf Platz eins der Charts, Preise hier und da, Überlebenspreise (lacht), Proben für die neue Platte. Ich habe echt anderes zu tun, als mich wieder um dieses Thema zu kümmern. Wir alle haben etwas anderes zu tun, als uns mit dem Nazi-Scheiß zu beschäftigen.
Dann lassen Sie das doch!
Nein. Wenn wir jetzt auftreten, wollen wir nicht nur der Opfer gedenken. Und den Angehörigen gegenüber unser tiefes Mitgefühl ausdrücken. Wir wollen eben auch den vielen, vor allem jungen Leuten danken, die sich in Dörfern und Städten für unsere Demokratie gerademachen. Ich war vor Jahren mit diesen Jugendlichen unterwegs, ich weiß, was die aushalten müssen. Diese Leute müssen wir immer wieder ermutigen und ermuntern. Demokratie heißt eben auch, um Freiheiten zu kämpfen. Und für mich sind diese vielen klugen Leute in den Initiativen vor Ort die wahren Verfassungsschützer.
Sie haben einen Brief geschrieben und fordern Rechtsradikale auf, auszusteigen. Glauben Sie, dass Ihre Worte diese Leute erreichen?
Ich habe gehört, dass einer der Terroristen, die nun tot sind, gerne meine Lieder gehört hat. Was geht in so einem Kopf vor, frage ich mich. Die Leute wissen doch, wofür ich stehe. Und trotzdem mögen die meine Songs, vor allem viele im Osten sind ja echte Fans. Als Künstler weißt Du nie, was Worte bewirken, was Lieder mit Menschen machen. Ich habe diesen Brief vor allem auch für meine Freunde von „exit“ geschrieben; die Leute von „exit“ helfen Typen, die Zweifel an ihrer Ideologie haben, aus der Neonazi-Nummer herauszukommen. Das ist eine wirklich tolle Initiative, die haben mittlerweile über 400 Leute aus der Szene geholt. Für „exit“ und Initiativen, die sich um Opfer von Attacken kümmern, habe ich schon 2000 und 2001 Geld gesammelt. Deswegen unterstütze ich auch weiter die stern-Kampagne „Mut gegen rechte Gewalt“. Diese Leute brauchen weiterhin Geld für ihre verdienstvolle Arbeit.
Das Interview ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).