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Interview „Ordenbandit“ analysiert rechte YouTuber und produziert Gegenrede

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(Quelle: YouTube)

Die Video-Plattform YouTube spielt in Bezug auf Online-Radikalisierung eine nicht zu unterschätzende Rolle. Zahlreiche Vertreter:innen der extremen Rechten und der verschwörungsideologischen Szene betreiben YouTube-Accounts mit Followerzahlen, die bis in den sechsstelligen Bereich reichen können. Der Algorithmus der Plattform trägt zusätzlich dazu bei, dass Nutzer:innen mit zunehmend radikalen, menschenfeindlichen Inhalten konfrontiert werden. Belltower News hat mit dem YouTuber Ordenbandit gesprochen, der seit 2019 Kanäle und Content Creator aus dem rechten Rand analysiert.

Belltower News: Du hast einen YouTube-Kanal, der sich mit YouTuber.innen aus dem rechtsextremen und verschwörungsideologischen Spektrum beschäftigt. Wie ist es dazu gekommen, dass du dich dem angenommen hast?
Ordenbandit: Grundsätzlich war ich schon immer politisch interessiert und wurde in einem eher progressiven Spektrum sozialisiert. Davor habe ich schon mehrere Jahre YouTube-Videos gemacht, obwohl da ein paar politische Sachen im Stil von „Haha, die AfD ist blöd“ dabei war, jedoch eher semi-seriös. Richtig angefangen habe ich 2019 mit einer Serie zu YouTube-Kanälen, unter anderem von Tim Kellner, Henryk Stöckl oder Martin Sellner. Einerseits habe mit den Analyse-Videos angefangen, weil Personen wie Tim Kellner oder Schrang TV in den YouTube-Trends aufgetaucht sind und ich das nicht so toll fand. Andererseits gab es einen persönlichen Grund. Jemand aus meinem Umfeld, von dem ich das nicht erwartet hatte, begann sich in politisch in diese Richtung zu entwickeln, diese Videos waren auch eine Art Coping-Mechanismus, eine Bewältigungsstrategie also.

Was sind die wichtigsten Protagonist:innen der reaktionären YouTube-Szene? Was sind die Inhalte, wie groß sind die Kanäle?
Die Strömungen der Kanäle reichen von pseudo-seriös bis hin zu vollkommen abgedreht. Dazwischen liegen dann diese „edgy“ [„edgy“ bezeichnet Positionen, die bewusst moralische und politische Grenzen überschreiten und provozieren sollen] Meinungsblogger:innen. Das für mich Interessanteste sind die Kanäle, die als Einstieg in antiprogressives Denken fungieren; also dieses „Schaut mal, was die Social Justice Warriors jetzt gemacht haben“. Das findet man zum Teil auch bei Kanälen, die gar nicht explizit politisch wirken, wie „Kuchen TV“ – auch wenn das inzwischen ein bisschen kritischer geworden ist – über „Massengeschmack TV“ bis hin zu den „Space Frogs“, die auch diese Polemik über „dauernd getriggerte Linke“ betreiben. Von da aus geht es dann bergab zu edgy Meinungsbloggern wie „Vulgäre Analyse“ oder die ein etwas gesetzteres Publikum ansprechen, wie Tim Kellner oder „Schrang TV“. Und dann gibt es noch diese pseudowissenschaftlichen und verschöwrungsideologischen Kanäle. Je niedriger die Abonnent:innenzahlen, desto ausdifferenzierter ist dieses Feld.

Gibt es eine Vernetzung untereinander, und wenn ja, wie sieht die aus?
Ich speise viel aus Vorschlägen des Algorithmus, man kann über die Empfehlungen richtiges „Kanalhopping“ betreiben. Viele Vorschläge beruhen auch auf Kooperationen. Es ist also schon eine Vernetzung da und bestimmte Gruppen oder Akteure laden sich auch proaktiv Leute ein, zum Beispiel die „Honigwabe“ [Ein Podcast zwischen den beiden rechtsextremen Troll-Kanälen „Die Vulgäre Analyse“ und „Idiotenwatch“, Anmerkung der Redaktion]. Es gibt aber auch Akteure, die herausfallen, zum Beispiel „NeverforgetNiki“, der zwar sehr jung ist, aber trotzdem eher mit „Schrang TV“ zusammenarbeitet und ein gesetzteres Publikum anspricht.

Niklas Lotz – so sein bürgerlicher Name – hat auch bei Schrang sein Buch publiziert. Er  und Naomi Seibt wurden beide von David Berger, der den Blog „Philosophia Perennis“ betreibt, hochgezogen.
Gerade die „NeverforgetNiki“-Video sehen aus wie Bildzeitungs-Artikel. Die YouTuber, die wie Niki oder Tim Kellner simple Aussagen im Stil von „Die Politiker sind doof“ treffen, haben auch den meisten Mainstream-Appeal. Und dazu kommen diejenigen, die etwas abgespacter sind, „Tichys Einblick“, „Compact“, „Wissensmanufaktur“, „Hallo Meinung“ – die sich dem bürgerlichen Spektrum zuordnen und behaupten, sie würden „gegen Ideologie kämpfen“. Diese Edgelords, wie der „Schattenmacher“, haben dann doch weniger Appeal, und stoßen wegen mangelnder Massenkompatiblität an eine gläserne Decke. Kanäle wie Tim Kellner oder „NeverforgetNiki” wachsen massiv weiter, bei dem „Schattenmacher“ sehe ich nicht, dass er nächste Woche 500.000 Abonnent:innen hat. Es ist nicht das Format, das massenweise begeistert, da es weniger simple Aussagen wie zum fünfzehnten Mal „Annalena Baerbock ist doof“ ist, sondern pseudophilosophisches Geschwurbel, auf das die meisten Leute auch keine Lust haben.

Sind das alle YouTube-Profis?
Nein, nein, es gibt auch ganz viele Amateur:innen, die sich jede Woche auf einer Demonstration vor die Kamera stellen und davon berichten. Das ist ein ausdifferenziertes Feld, das jede:n ansprechen und wo sich jede:r verorten kann. Außerdem gibt es Akteur:innen, die aus einer Lifestyle-Szene kommen, und dann anfangen politischen Content zu machen. Das kommt so gut an, weil es für jede:n da was gibt! Man muss auch differenzieren, was wirklich gefährlich ist; wenn da so ein alter Mann in seinem Wohnzimmer sitzt und sagt, dass Merkel doof ist, dann ist das zwar albern, aber noch nicht unbedingt dramatisch. Ich glaube auch, dass jüngere Leute, die sich gesellschaftlich alleine gelassen fühlen, weil sie glauben, nicht in ein diversifiziertes Gesellschaftsbild zu passen, am stärksten von Radikalisierung gefährdet sind. Dann gibt es natürlich auch diejenigen, die glauben „man müsste sich das mal anschauen“ und deswegen die Videos sehen. Bei älteren Zuschauer:innen gehe ich davon aus, dass sie bei Videos glauben, das gesagte würde stimmen, weil es jemand im Internet von sich gibt.

Gibt es gemeinsame, sich wiederholende Narrative, die auch in unterschiedlichen Kanälen reproduziert werden, und wenn ja, welche?
Das durchgehende Element ist die Darstellung der eigenen Überlegenheit. Ob es jetzt „Schrang TV“ ist, der spirituell erklärt, wieso alles blöd ist, oder die „Vulgäre Analyse“, der glaubt wieder ein paar Feministinnen entzaubern zu müssen. Gleichzeitig wird die eigene Underdog-Rolle kultiviert, weil es auch die sympathischere Rolle ist – wie die Gefährten bei Herr der Ringe oder die Rebellen bei Star Wars, die sich gegen das namenlose Böse richten. „Wir sind zwar eigentlich die Mehrheit, aber wir werden trotzdem unterdrückt“. In Bezug auf verschwörungsideologische Inhalte ist das dann vielfältiger; einige sind nicht primär verschwörungsideologisch unterwegs, sondern wollen Themen ihren eigenen „Spin“ geben, und dann gibt es welche, die vollkommen am Rad drehen. Dazwischen ist alles vertreten. Es ist ein sehr vielfältiges Feld, mit sehr vielfältigen Leuten, die alle unterschiedliche Gründe haben – unter anderem Aufmerksamkeit. „NeverforgetNiki“ hat mit Videos angefangen, in denen er Gedichte vorträgt, das hat niemanden interessiert. Ich mache das ja auch ein bisschen der Aufmerksamkeit wegen (lacht). Und wenn man Zuspruch erfährt, gerät man sehr schnell in einen Sog.

Welche Mittel nutzen rechtsextreme und verschwörungsideologische YouTuber:innen, um Leute zu erreichen?
Viel geht da über Humor. Jemand wie Tim Kellner versucht, humoristisch zu agieren und arbeitet auf Instagram auch mit Memes. Dann gibt es noch esoterische Behauptungen wie, dass man der Welt überlegen sei. Vor allem aber Wut und Aufregung – und das ist sehr schwierig zu kontern! Wenn jemand ein Video über einen Fehler von Baerbock macht, der vielleicht auch kritisierenswert ist, aber daraus ein Verbot der Grünen ableitet…

Wie steht es um den Algorithmus von YouTube, der steht ja häufig in der Kritik, weil er problematische Videos quasi belohnt?
Algorithmen sind nicht so super, was Meinungsvielfalt angeht. Da reicht es, wenn man nach fünf Welt-Videos eins vom rechten Blogger Gunnar Kaiser angezeigt bekommt. Es wäre interessant zu analysieren, welche Rolle das bei der Radikalisierung von Menschen spielt. Gerade bei Menschen aus dieser Edgelord-Bubble [„Edgelord“ bezeichnet eine Person, die besonders gerne provokant und unangenehm auftritt, um damit anzuecken]; bei denen ich glaube, dass viele von ihnen nicht komplett verloren sind. Es ist mehr, dass sie ein Set an Ideen bekommen haben, das sie für richtig halten, und eine Politikverdrossenheit entwickelt haben. Viele Leute fühlen sich von diesen Videos angesprochen, weil sie frustriert sind. Niemand, der ein schönes Sozialleben und gute Laune hat, geht auf YouTube und schaut „Schattenmacher“-Videos. Danach hat man auch erst recht kein schönes Sozialleben oder gute Laune mehr. Und auch wenn diese YouTuber:innen oder ihre Zuschauer:innen reich oder erfolgreich sind, ist das noch lange kein Indiz für eine gefestigte Persönlichkeit oder Zufriedenheit.

Dazu kommt, dass normale Leute wie du und ich auch Besseres zu tun haben, als im Internet rumzuhängen und Hasskommentare zu schreiben, weshalb Creator:innen, die menschenfeindliche Inhalte produzieren, gar kein Verständnis dafür haben, was diese Inhalte auslösen. Da ist eine „Waffenungleichheit“; Personen, die sagen wir mal primär Feministinnen auf Instagram folgen, werden niemals einen Shitstorm unter den Videos des „Schattenmacher“ anzetteln.

Hast du Angriffe wegen deiner Arbeit erfahren? Welcher Natur, und wie gehst du damit um?
Ich habe das Privileg, dass ich nie besonders viel Angriffsfläche geboten habe. Die einzige Kommunikation, die ich nutze, sind E-Mails oder Discord, und es ist nicht so befriedigend, eine Drohmail zu schreiben, bei der man nicht mal weiß, ob die gelesen wird. Zwar sprechen Leute Morddrohungen aus, aber ernsthaft bedroht fühle ich mich weniger. Ich habe keine Sorge, dass ich im Privaten angegriffen werde, dafür halte ich mich zu bedeckt.

Wie lässt sich rechtsextremen YouTube-Narrativen entgegentreten?
Es ist wichtig, die Anhänger:innen dieser Channels als Individuen zu betrachten und anzusprechen. Aber über gewisse Dinge lässt sich nicht diskutieren; was ich viel wichtiger finde ist, Strukturen aufzuzeigen. Darzulegen, was und warum Aussagen antisemitisch oder verschwörungsideologisch sind, dass die Aussagen keine seriöse Wissenschaft sind. Bei diesen Edgelords kann man die Angriffe dekonstruieren und aufzeigen, dass die nicht funktionieren. Ich kriege Feedback von Leuten, die mir sagen, dass meine Videos sie weitergebracht haben. Ich selbst kenne meine Pappenheimer inzwischen – wenn ich weiß, dass ein YouTuber mit der „Vulgären Analyse“ zusammenarbeitet, dann kann ich das einordnen. Dennoch würde ich niemandem raten, meine Videos, oder YouTube-Videos generell, als die Grundlage einer politischen Bildung zu verstehen. Ich selbst informiere mich nicht bei YouTube über Politik, sondern seriösen Medienschaffenden, die das gelernt haben. Es geht mir aber darum zu sagen: Es gibt einen Widerspruch zu bestimmten Aussagen, und die Leute, die diese Aussagen treffen, sind nicht ganz so cool, wie Du denkst. Und es gibt Leute, die den Mangel an Widerspruch mit der Unmöglichkeit des Widerspruchs verwechseln; wenn niemand Tim Kellner kritisiert, führt das dazu, dass Leute glauben, dass es nichts zu kritisieren gibt.

Hast du Tipps für Menschen, die eventuell ebenfalls Debunking-Videos zu reaktionären Protagonist:innen machen wollen?
Macht das nicht, das nimmt mir potentiell die Zielgruppe weg! (lacht) Wichtig ist, dass es einfach ist: „Tim Kellner ist blöd“, und ein großes Foto von Tim Kellner, dann gucken die Leute drauf. Und Masse ist wichtig – wenn tausend Leute ein Video des „Schattenmachers“ kritisieren, dann führt das bei anderen eher zu dem Gedanken, dass der doch nicht so cool ist. Klare Strukturen, klares Design und Authentizität sind auch wichtig. Leute schauen YouTube-Videos ja gerade wegen der Authentizität. Und sei Selbstkritisch, gib eigene Schwächen zu, und sei nicht zynischer als die Edgelords. Im Prinzip: klare Kante zeigen, sich nicht selbst ins Schussfeld bringen und dran bleiben. Durch die Verwendung großer Namen oder Keywords lässt sich auch Reichweite generieren, aber es sollte kein Clickbait werden. Quellenarbeit und strukturierte Arbeit sind ebenfalls wichtig, so bleibe ich selbst viel klarer im Kopf. Und wenn Du merkst, dass dir diese Beschäftigung nicht guttut, dann lass es sein. Es gibt genug Möglichkeiten, gute Dinge zu unterstützen, ohne sich dabei selbst kaputtzumachen.

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