Im Fanzine dreht sich alles um das Verhältnis von Jüdischsein und Punk – und damit auch um Antisemitismus und das Palituch. Bestellen kann man es ganz einfach via Instagram. Das Resultat kann sich sehen lassen. Wir haben mit Ostsaarzores über Punk-Identitäten, NOFX und Antisemitismus im Moshpit gesprochen.
Belltower.News: Ist Punk jüdisch?
Ostsaarzorn: Ich würde sagen Punk ist alles, also ist Punk auch jüdisch. Punk wäre jedenfalls nicht das, was wir heute kennen, hätte es keine jüdischen Protagonist:innen gegeben die Punk maßgeblich beeinflusst und vorangetrieben haben. Das bedeutet, wenn man sich mit Punk beschäftigen will, kommt man nicht daran vorbei, sich auch mit jüdischem Punk zu beschäftigen
Worum geht es in der neuen Sonderausgabe eures Fanzines?
Kurz gesagt: Es geht um Jüdischsein und Punk. Das Thema war für uns nicht leicht zu bearbeiten. Als Ostsaarzorn-Redaktion hatten wir einige Zweifel, ob wir das stemmen können. Können wir, aus einer nicht-jüdischen Perspektive ein Zine über „Jewishness“ publizieren? Damit das gelingen kann war es uns sehr wichtig möglichst vielen Menschen die Möglichkeit zu geben, sich an dem Zine zu beteiligen.
Wir haben dafür über Instagram einen Aufruf gestreut, der sich an jüdische und nicht-jüdische Punks als Co-Autor:innen richtete. Es gab erfreulicherweise einige Interessent:innen und wir hatten schnell ein großes Spektrum an Perspektiven zusammen.
Wie habt ihr das Zine geplant?
Wir wollten vor allem jüdische Punkbands und –künstler:innen aus Fanperspektive porträtieren. Die vorgestellten Künstler:innen wurden jedoch nicht wahllos aufgrund ihres Jüdischseins ausgewählt, sondern es geht explizit um Punks, die ihre jüdische Identität auch in den Songtexten thematisieren. Fokus sollte die Schnittmenge des künstlerischen Outputs und des Jüdischseins der Künstler:innen sein.
Das Buch Die Heebie Jeebies im CBGB’s von Steven Lee Beeber hat das Zine stark beeinflusst. Wieso?
Steven Lee Beeber war einer der Ersten, der die These vertrat, dass Punk (auch) jüdisch sei. Er hat das Buch 2006 in den USA veröffentlicht und damit für ganz schön Furore gesorgt. Es sind scharfe Thesen, die er auf die oft zitierte und umstrittene Formel „No Holocaust, no punk“ zuspitzt. 2008 ist das Buch auf Deutsch im Ventil Verlag erschienen.
Beeber hat sich stark mit den Entstehungsbedingungen für Punk im New York der frühen bis mittleren 1970ern beschäftigt. Dafür führte er auch Interviews mit jüdischen und nicht-jüdischen Zeitzeug:innen. Sein Buch war damals für viele Punks, Musikinteressierte aber auch für Wissenschaftler:innen ein Augenöffner. Dass Jüdinnen:Juden einen derartigen Einfluss auf die Subkulturszene der 1970er Jahre und auch auf unser heutiges Verständnis von Punk hatten, war für viele überraschend.
Im Fanzine schreibt ihr unter anderem über Daniel Kahn & The Painted Bird, Jewdriver, NOFX und die Ramones, die jüdische Bandmitglieder haben. Wie präsent ist Jüdischsein im Punk?
Dafür ist der Kontext relevant. Es ist einfach, etwas über jüdische US-amerikanische Bands zu finden und zu schreiben. Dort gibt es eine größere jüdische Community – vor allem rund um New York – die viele tolle Bands hervorgebracht hat. Jüdinnen:Juden sind dort präsenter als bei uns in Deutschland. Hier sind die jüdischen Gemeinden sehr klein und wachsen nur langsam. In der Post-Shoah Gesellschaft hat das Bekenntnis zum Judentum einen ganz anderen Stellenwert als in den USA.
Wir haben die aus der Schweiz stammende, jüdische Künstlerin Elianna Renner interviewt. Sie war in den 1990er viel mit verschiedenen Punkbands in Deutschland und Europa unterwegs. Nach ihren Erzählungen gab es auch damals Jüdinnen:Juden in der deutschen Punkszene, doch wurde das Jüdischsein kaum thematisiert oder öffentlich gemacht. Die Gründe dafür kann man sich denken und sie haben sicherlich mit Antisemitismus zu tun. Aber auch damit, dass man selbst, als Punk, das religiöse Jüdischsein aus atheistischen Gründen abgelehnt hat. Schließlich spielt Atheismus und teilweise auch offene Religionsfeindschaft eine wesentliche Rolle im Punk.
Gibt es ein Spannungsverhältnis zwischen jüdischer Identität und der Identität als Punk?
Das ist die Crux, genau darum geht’s. Natürlich gibt es dieses Spannungsverhältnis. Punk ist angetreten als ein „fuck you“ an Schubladendenken und an jede starre Identitätskonstruktion und bietet dafür die Möglichkeit einer hyperindividualisierten Identität, eben als Punk. Das beißt sich allerdings mit der gesellschaftlichen Realität, die Individuen durchaus gewaltvoll auf bestimmte Identitätsmerkmale festnageln kann. Eine jüdische Person kann sich selbst als Punk definieren und das Jüdischsein für sich ablehnen. Trotzdem kann sie von Antisemitismus betroffen sein, da Jüdischsein in Form antisemitischer Fremdzuschreibungen aufgerufen werden kann.
Ist Punk eine Möglichkeit, aus der jüdischen oder deutschen Identität zu fliehen?
Punk verspricht diese Möglichkeit. Situativ wird dieses Versprechen auch erfüllt – das ist es, was Punk noch immer für junge und nicht mehr ganz so junge Menschen attraktiv macht. Es ist vielversprechend, bietet den Menschen die Möglichkeit zur Selbstorganisation, zur Selbstbestimmung und zur Autonomie. Punk vertritt einen „Do It Yourself“-Ethos, der Autoritäten, gesellschaftliche Regeln und Vorschriften offen in Frage stellt. Wenn ich zum Beispiel nicht weiß, wie ich ein Fanzine mache, dann mach ich das trotzdem und schau mal was passiert. Das Risiko dabei auch scheitern zu können, gehört dazu und macht gewissermaßen den Reiz aus.
Wie seid ihr an das Thema Antisemitismus rangegangen?
Ursprünglich wollten wir im Fanzine Punk als eine jüdische Widerstand- und Subversionspraxis in den Mittelpunkt stellen. Juden und Jüdinnen sollten nicht in erster Linie als Betroffene von Diskriminierung erscheinen. Dennoch war es uns sehr wichtig im Fanzine auch Antisemitismus zu thematisieren. Das nicht zu behandeln, war keine Option – das hat mit Sicherheit auch etwas mit unserer Sozialisation in Deutschland zu tun.
In unserem Fanzine haben wir zwei Beiträge zum Thema. In einem beschäftigen wir uns mit Deutschpunk und untersuchen Songtexte auf antisemitische Aussagen. Dabei fanden wir häufig Passagen die anschlussfähig für antisemitisches Denken sind: antiamerikanische Narrative, verkürzte Kapitalismuskritik und pauschalisierende Konstruktionen wie „Die da oben“. Auch die Verherrlichung der Roten Armee Fraktion, die eine antisemitische Ideologie verfolgte, ist präsent im Deutschpunk.
Offener Antisemitismus fand sich dagegen nur sehr selten: Von einzelnen Ausnahmen abgesehen, gibt es keinen offen ausgesprochenen Antisemitismus im Deutschpunk, was uns selbst eher überrascht hat. Wenn man den Blick auf die internationale Punkszene weitet, gibt es in der modernen Hardcore und Metalcore Szene einige Beispiele für antisemitische Verschwörungserzählungen. Ein Artikel von Max Kirstein in unserem Fanzine beleuchtet das genauer.
Wie sieht es in der internationalen Szene aus?
International gibt es außerdem einige Bands, die offen israelfeindlich sind. Trotzdem werden sie in der Punkszene größtenteils gefeiert und unterstützt. Wir behandeln das in unserem Zine nicht weiter, da dazu schon einige Publikationen erschienen sind und wir dem Thema nicht noch mehr Raum geben wollten. Es gibt auch internationale Punkbands, die BDS unterstützen oder offen zur Intifada aufrufen. Aber in der deutschsprachigen Punkszene ist das zum Glück bisher noch kein Thema.
Ihr verweist auf das Buch „Gojnormativität“, das im letzten Jahr im Verbrecher Verlag erschienen ist. Hat euch das Konzept der Gojnormativität etwas gebracht für euren Zugang zum Thema?
Bücher wie „Gojnormativität“ tragen dazu bei, zwischen rassismuskritischen und antisemitismuskritischen Perspektiven zu vermitteln, diese zu verbinden und nicht gegeneinander auszuspielen. Das Buch enthielt einige erhellende Gedanken und einen spannenden Perspektivwechsel, der mich erst irritiert hat – was er glaube ich auch soll. Wenn man die Selbstverständlichkeiten des eigenen nicht-jüdischen Blicks auf Juden:Jüdinnen und Antisemitismus hinterfragt wird man dadurch auf einige Widersprüche gestoßen.
Der eingeschränkte Blick nicht-jüdischer Punks auf die eigene Szene hierzulande ließe sich auch mit dem Konzept der „Gojnormativität“ fassen. Es ist den Leuten oft gar nicht klar, dass es auch jüdische Punk-Protagonist:innen in Deutschland gab, gibt oder geben könnte. Jüdische Künstler:innen aus Israel oder auch der USA sind dagegen bekannt und touren regelmäßig auch in Deutschland. Zur Sichtbarmachung und Normalisierung von unterschiedlichen und auch widerstreitenden jüdischen Stimmen und Perspektiven wollen wir mit unserem Zine für die Punkszene beitragen.