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Interview Warum Rechtspopulismus und Antifeminismus so gut zusammenpassen

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Die erste Reihe der "Identitären"-Demo in Berlin. Frauen stehen vorn, dahinter sind fast nur Männer zu sehen. (Quelle: AAS)

Der Soziologe und Sozialpsychologe Rolf Pohl ist der Begründer der kritischen Männlichkeitsforschung in Deutschland und beschäftigt sich seit Jahren mit den Hintergründen des Antifeminismus. In seinem  Buch „Feindbild Frau“ beschreibt Pohl die „ambivalente bis feindselige Einstellung zu Frauen, die als Tendenz bei fast allen Männern nachweisbar ist.“ Wir haben mit ihm über Antifeminismus von rechts außen, die Frauen der AfD und den Mythos der gesunden Kleinfamilie gesprochen.

Belltower News: Warum passen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus so gut zum Antifeminismus?

Rolf Pohl: Zu den ideologischen Bausteinen des Rechtsextremismus und auch des Rechtspopulismus gehört das Bild der intakten Familie und das der klassischen Arbeitsteilung. Gleichzeitig wird propagiert, dass dieses Bild in der Auflösung begriffen oder schon längst systematisch abgeschafft worden ist. Der Mann hat angeblich seine Männlichkeit verloren. Im Rechtsextremismus ist das Bild des Widerstandes und der Opposition schon immer männlich codiert gewesen. Es geht um eine starke, männliche Wehrhaftigkeit, die sich gegen alle Zurücksetzungen behaupten muss.

Wie ist das Männer- und Frauenbild im Rechtsextremismus?

Es gibt die starke, heldische Komponente des Mannes. Aber das ist nicht ganz eindeutig. Genausowenig wie die Reduktion auf die Mutterrolle der Frau. Das war im historischen Vorbild, dem Nationalsozialismus, schon so, dass es auch praktisch und politisch sehr widersprüchliche Entwicklungen gab. In der neuen Rechten wird diskutiert, ob es eine rechte Emanzipationsbewegung geben kann, also ob die Frau nicht auch als Kämpferin an der Seite des Mannes stehen kann. Trotzdem gibt es aber immer den Bezug auf die Hegemonie und die Vormachtstellung des Mannes.

Das Bild des klassischen Rechtsextremen in gewaltaffiner Kampfbekleidung ist ja auch anders als das Männerbild in der Identitären Bewegung oder bei der AfD, oder?

Sie eint aber die Grundidee, dass es darum geht, eine verloren geglaubte souveräne Männlichkeit und Überlegenheit wiederherzustellen und gleichzeitig die Idee, dass die gesellschaftliche Grundlage eine intakte Familie ist, mit dem Mann als Familienoberhaupt.

Da will man ja eigentlich an einen Ort zurück, der so nie wirklich existiert hat, oder?

Historisch gesehen liegen große Fehler in dieser Grundannahme vor, dass die Kleinfamilie ein Erfolgsmodell der gesamten Menschheit ist. Dieses Modell gibt es erst seit ungefähr 200 Jahren und das auch nicht in allen gesellschaftlichen Schichten und Bereichen. Die Kleinfamilie ist sehr stark mit der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft verknüpft, aber war auch von Anfang an immer von Erosion und Zerfall bedroht. Da wird rückblickend etwas idealisiert, was es in dieser Form eigentlich nie gegeben hat. Das ist die Grundidee von einem Mythos, etwas zu konstruieren, zu dem wir wieder zurück müssen, damit wir das Heil der Gesellschaft erreichen. Es ist auch ein Konstrukt, weil dieser Mythos nie für alle gegolten hat oder es ihn nie für alle gegeben hat. Doch diese Ursprungsmythen und Fantasien sind wirkmächtig. Davon zehrt der gesamte Rechtspopulismus. Eine viel komplexere, reale, historische Analyse interessiert die nicht.

Rolf Pohl spricht bei einer Veranstaltung der Fachstelle Gender und Rechtsextremismus der Amadeu Antonio Stiftung über Rechtspopulismus und Antifeminismus. Nähere Infos und Audiomitschnitte der Veranstaltung finden SIe hier.  

So werden dann Emotionen geschaffen?

Es geht um eine Vision, an die ich Affekte koppeln kann. Die wird als Ursprung konstruiert – abseits von einer realen, komplizierten, politischen Auseinandersetzung mit den Krisen und Strukturkonflikten in der Gesellschaft. Der Mythos sagt: Wenn wir an den Ursprung zurückkehren, dann ist alles wieder in Ordnung.

Sie und andere sprechen von einer „rhetorischen Modernisierung“. Sexismus existiert weiterhin, aber es ist gesellschaftlich mehr oder weniger geächtet, tatsächlich sexistisch zu reden oder offenen Sexismus zu pflegen. Ist selbst das durch den Rechtspopulismus in Gefahr?

Es ist eine Gefahr, dass sie Dinge wieder sagbar machen. Der Sexismus ist ja nicht wirklich verschwunden. Der Antisemitismusforscher Werner Bergmann hat den Begriff der Kommunikationslatenz geprägt. Nach 1945 war es gesellschaftlich verpönt, offen antisemitisch zu sein. Umfragen nach 1945 haben aber immer und bis heute ergeben, dass ein Bodensatz von 15, 20 Prozent Antisemitismus in der Bevölkerung verankert, aber nicht offen sagbar ist. Das heißt, man versteckt das hinter bestimmten Formulierungen oder Codes. In einer repräsentativen Umfrage haben 72 Prozent auf die Frage ‚Würden Sie in einer repräsentativen Umfrage die Wahrheit über Juden sagen?‘ mit Nein geantwortet.

Das ändert sich jetzt?

Jetzt haben wir eine gesellschaftliche und politische Entwicklung, wo auch Antisemitismus und Rassismus wieder hoffähig werden. Wenn Leute, die rassistisch oder sexistisch argumentieren, plötzlich zum Führer einer Weltmacht werden, dann ist das Wasser auf derenMühlen. Der Zentralrat der Juden wird mit Hate Speech beschimpft und bekommt Hassmails – seit wenigen Jahren auch wieder unter Klarnamen und echten Adressen. Die Antisemiten – wie auch andere Hater – verstecken sich nicht mehr. Durch das Internet als Kommunikationsplattform haben sie das Gefühl, nicht mehr alleine zu sein oder etwas Verbotenes oder Verpöntes zu sagen. Der Rechtspopulismus hat dabei eine unglaubliche katalysatorische Wirkung.

In der AfD gibt es einige wenige, dafür sichtbare Frauen, bei den Identitären stehen die wenigen weiblichen Mitglieder oft in der ersten Reihe bei Demos, genauso wie bei Pegida. Was sagt das über das Geschlechterbild Rechtsaußen?

Es hat eine Modernisierung stattgefunden. Die AfD ist keine klassisch patriarchalische Partei, in der Frauen gar nichts zu sagen haben. Frauen können in Führungspositionen kommen. Das erweckt den Anschein, dass Frauen die gleichen Chancen haben, was aber nicht stimmt. Davon abgesehen können Frauen auch sehr konservative, familientraditionalistische, fundamentalistische Positionen vertreten, die sich eigentlich gegen die eigenen Interessen richten. Sie können sich an diesem Geschäft der Selbstunterdrückung beteiligen, und dann sagen, „seht her, wie erfolgreich wir sind.” Alice Weidel ist ein Beispiel. Es wird der Anstrich von Fortschrittlichkeit geweckt, in Wirklichkeit stecken aber dumpfe Ressentiments dahinter. Dass Frauen sich an diesem Geschäft beteiligen, ist bitter, zeigt aber, dass Frauen durchaus auch Teil dieses ganzen strukturellen Systems sind und eben auch an der Aufrechterhaltung interessiert sind. Frauen dürfen Teil dieser so genannten ‚konservativen‘ Rebellion genannt sein, die aber eigentlich eine konformistische ist. Eine kleinbürgerliche Aufmüpfigkeit. Diese ewigen Tabubrecher: „Man wird doch mal in diesem Lande wieder sagen dürfen…“,“Juden sind auch nicht so toll“, „Frauen sind nicht die besseren Menschen“, „Männer sind nicht so schlimm, wie wir immer denken.“ Diese Aufmüpfigkeit hat etwas sehr Kleinbürgerlich-Spießiges. Der Emanzipationsdiskurs zielt nicht auf Befreiung hin, sondern in eine kleinbürgerliche Haltung.

Das heißt, die Gleichberechtigung am rechten Rand ist nicht echt?

In der Forschung wurde lange gedacht, dass die Theorie des autoritären Charakters eigentlich überflüssig geworden ist, das stimmt aber nicht. Er tritt jetzt nur in einem neuen Gewand und mit einer neuen Haltung auf. In Form dieser merkwürdigen Rebellion, an der sich Frauen beteiligen. Besonders unter dem Anschein, es würde sich um Gleichberechtigung handeln. Das ist aber eine Illusion, da die gesamten Strukturen und das gesamte Programm ganz eindeutig auf männliche Dominanz und männliche Führung ausgerichtet sind.

Denken Sie, dass das innerhalb dieser Gruppen überhaupt diskutiert wird?

Kollektive oder nationale Identitäten basieren immer auf dem Ausschluss von Menschen, die nicht dazugezählt werden. Viel seltenerer wird über die Definition derjenigen gesprochen, die dazu gehören. Das enthebt die Gruppierung davon, dieses Geschlechterverhältnisses mit seinen Widersprüchlichkeiten überhaupt zu thematisieren: „Wir sitzen alle in einem Boot, egal ob Männer oder Frauen, und es ist auch egal, wer uns nach außen hin repräsentiert. Wir sind eine Gemeinschaft und die Geschlechter gibt es nicht mehr.“ Das ist auch die Idee der Volksgemeinschaft – die aber auch beinhaltet, dass alle, die nicht dazugehören oder stören, ausgeschlossen werden müssen.

Was können wir tun?

Als erstens muss das Thema Geschlechterforschung viel stärker in den Vordergrund treten, sowohl in der Rechtsextremismus-Forschung und auch in den Institutionen und Einrichtungen, die sich mit diesem Themenkomplex beschäftigen. Umgekehrt muss in der Männlichkeitsforschung das Thema Rechtsextremismus viel stärker beachtet werden. Zweitens müssen wir sehr viel stärker gegen Alltagsrassismus, aber auch Alltagssexismus intervenieren. Vor allem weil diese beiden Dinge auch kombiniert auftreten.

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