Das folgende Interview mit Heike Kleffner, Journalistin und Geschäftsführerin des Verbands der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt- (VBRG) ist ein Auszug aus der Broschüre.
Welchen Begriff verwenden Sie, wenn Sie extrem rechte Gewalt gegen weiblich oder unmännlich gelesene Personen thematisieren?
Heike Kleffner: Ich spreche von Misogynie, Femiziden und von extrem rechtem Frauenhass, weil diese Begriffe abbilden, dass es sich um Täter handelt, in deren rechten Weltbild Frauen als vermeintlich minderwertige Objekte gelten. Zur Ideologie der extremen Rechtengehört patriarchale Dominanz als integraler Bestandteil und Machtverhältnis – daraus legitimieren sich dann rechte Gewalt und Tötungsdelikte gegen Frauen und LGBTIQ*.
Welche spezifischen Zielgruppen sind besonders von misogyner Gewalt betroffen?
Zu den Betroffenen gehören insbesondere muslimisch gelesene Frauen und BIPoC-Frauen. Wie sehr Rassismus und Misogynie Hand in Hand gehen, zeigt sich u.a. in den Fallstatistiken und dem unabhängigen Monitoring der Opferberatungsstellen. Muslimisch gelesene und Schwarze Frauen haben ein erhöhtes Risiko, insbesondere im öffentlichen Raum aus rassistischen und misogynen Motiven angegriffen zu werden. Es gibt eine weitere Gruppe, die von extrem rechten Frauenhass und Misogynie betroffen ist, die oft nicht gesehen wird: die politischen Gegnerinnen. Auch hier finden wir zwei Tatmotive: Einmal die Misogynie und diese wird verstärkt durch die politische Gegnerinnenschaft.
Beobachten Sie hier spezifische Gewaltformen?
Zu den aktuellen Entwicklungen gehören misogyne, rechtsextreme Gewalt im digitalen Raum und dass beispielsweise der NSU 2.0, aber auch andere organisierte Strukturen der extremen Rechten digitale Medien nutzen, um öffentlich, halböffentlich und auch direkt Morddrohungen auszusprechen. Spätestens seit dem Mord an Walter Lübcke müssen die Betroffenen damit rechnen, dass derartige digitale Morddrohungen in die Tat umgesetzt werden – entweder durch die jeweiligen Absender-Netzwerke oder extreme Rechte, die die Aufforderung „Taten statt Worte“ auch umsetzen. Der Effekt von misogynen rechtsextremen und rassistischen sowie antisemitischen Morddrohungen auf die Betroffenen ist sehr massiv; das zeigt sich in den Zeug*innenaussagen im NSU 2.0-Prozess am LG Frankfurt und lässt sich in unserem Podcast mit Seda Basay-Yildiz und Martina Renneroder auch bei Jasmina Kuhnke nachhören. Vor dem Hintergrund von sich häufenden Waffenfunden kann niemand die reale Gefährdung von extrem rechten misogynen Kampagnen ernsthaft leugnen.
Gibt es Auffälligkeiten in Bezug auf Sexarbeitende?
Auch Sexarbeiterinnen sind akut gefährdet. In unserem Langzeitrecherche-Projekt „Todesopfer rechter Gewalt seit 1990“ für ZEIT/Tagesspiegel zeigt sich diese Verschränkung von Misogynie und tödlichem extremrechten Frauenhass u.a. in den Morden an den Sexarbeiterinnen Andrea B. in Hannover 2012 durch einen Neonazi-Rapper und Beate Fischer 1994 in Berlin. Hier ist das Problem, dass wir überwiegend davon erfahren, wenn es zu spät ist. Das zeigt sich u.a. in der Aussage einer Sexarbeiterin aus Bayern gegenüber dem BKA. Sie hatte 2018 die Polizei gerufen, weil sie von dem späteren Hanau-Attentäter bedroht und misshandelt worden war, und dabei die Polizist*innen auch auf dessen misogyne Gewaltfantasien und Bewaffnung hingewiesen. Leider wurden ihre Warnungen von den Ermittlern nicht ernst genommen. Zudem wissen alle, dass in einigen Bundesländern, besonders im Osten, die Strukturen von Frauen-Menschenhandel durch extreme Rechte mit aufgebaut wurden und bis heute betrieben werden. Ein aktuelles Beispiel sind die Ermittlungsverfahren u.a. wegen Zwangsprostitution gegen die sogenannte Bruderschaft der Turonen u.a. in Thüringen und beim Objekt 21. Auch da muss man davon ausgehen, dass es eine Kumulation von Misogynie und Rassismus ist, mit der die Frauen konfrontiert sind, sowohl durch Neonazi-Netzwerke als auch durch die Freier. Die Bedrohungslage der Betroffenen lässt sich also klarzeichnen.
Was lässt sich über die Täter sagen?
Wir sehen, dass sich das Spektrum der Tätergruppen im Bereich Rechtsterrorismus und rechter Gewalt über die letzten 30 Jahre erweitert hat. Was gleich geblieben ist, sind ideologische Fundamente, aus denen sich die Tatmotivationen jeweils speisen – auch bezüglich der Betroffenengruppen. Was lange Zeit nicht genug im Blick war, ist Misogynie. Wenn wir uns aber die Tötungs-delikte aus den 1990ern anschauen – etwa der misogyn und neonazistisch motivierte Mord an Patricia Wright1996 in Bergisch-Gladbach und aus den 2000ern – und wenn wir uns die realen Erfahrungen von Betroffenenaus den 1990er Jahren anhören, dann war Misogynie auch da schon eine klare Motivation, in den meisten Fällen auch in der Kumulation mit Rassismus und politischer Gegnerinnenschaft. Deswegen ist eine intensivere Beschäftigung damit überfällig. Die ersten Texte dazu sind aus der autonomen Antifabewegung gekommen, wie alle wichtigen Impulse zur Forschung in diesem Feld. Hilfreich wäre eine Studie, die explizit die Täterseite und die misogynen Elemente des rechten Weltbildes in den Blick nimmt.
Woran lassen sich misogyne Gewalttaten beispielsweise in Ermittlungs- und Gerichtsakten erkennen? Spielen hier Aussagen, oder auch Verlaufsformen von Gewalt eine Rolle?
Dafür gibt es ein ganzes Bündel an Merkmalen: beispielsweise auffallend oft misogyne Äußerungen der Täter in sozialen Netzwerken, in Chatverläufen, aber auch entsprechenden Aussagen im face-to-face Kontakt mit Freund*innen und Familienangehörigen sowie anderen Dritten. Viele Femizide und misogyne Gewalttaten haben einen längeren Vorlauf: Die Täter bereiten ihre Gewalttaten oft akribisch vor und prahlen oder drohen im Vorfeld damit.
Was müsste passieren, damit der Zusammenhang zwischen misogyner Ideologie und misogynen Taten auch politisch und juristisch anerkannt wird?
Da gibt es zwei Ebenen: Eine Forderung von intersektionalen Bündnissen ist, Femizide sowie Misogynie und misogyn motivierte Gewalttaten als solche auch durch Polizei und Justiz zu erfassen. Der Hartnäckigkeit dieser Bündnisse, vieler Aktivist*innen und Anwält*innen ist es auch zu verdanken, dass es seit 2021 zumindest die Unterkategorie „frauenfeindlich“ im sogenannten Themenfeld „Hasskriminalität“ der Politisch Motivierten Kriminalität (PMK) aufgenommen wurde und der jetzige Justizminister Marco Buschmann angekündigt hat, dass Frauenfeindlichkeit explizit als strafschärfend in den §46 Abs. 2 Satz 2 StGB mit aufgenommen werden müsste. Allerdings: Der Begriff „frauenfeindlich“ verharmlost die Ideologie, die misogyne Gewalttäter antreibt. Und die für die Erfassung politisch motivierter Kriminalität und eine verbesserte Erfassung geschlechtsspezifischer Straftaten zuständige Arbeitsgruppe innerhalb der Innenministerkonferenz hat selbst festgestellt, dass das Ausmaß der Untererfassung und der Schulungsbedarf riesig sind: Perspektivisch wird empfohlen, ein regelmäßig zu aktualisierendes Lagebild zu „geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichteten Straftaten“ zu erstellen, welches sich aus dem KPMD-PMK sowie der PKS speist und die jeweiligen Entwicklungen bewertet. Ein solches Lagebild soll auf Basis der Fallzahlen 2022 im Sommer2023 erstmals umgesetzt werden. Die bisher im KPMD-PMK im Themenfeld „Geschlecht/sexuelle Identität“ erfassten Fallzahlen sind außergewöhnlich niedrig. Vor diesem Hintergrund sind entsprechende Informations-und Sensibilisierungsmaßnahmen (Handreichungen, Fallbeispiele) erforderlich, die insbesondere Dienststellen außerhalb des Polizeilichen Staatsschutzes eine wichtige Hilfestellung bei der Ermittlung der Motive und der Zuordnung der Straftaten in der Statistik leisten können.
Wie wird sich das weiter entwickeln?
Es gibt hier eine Reihe von offenen Fragen und vor allgemeine große Leerstelle: Bislang werden von Behörden-seite die Kategorien „Femizide“ und Misogynie vermieden – und damit die Anerkennung, dass es sich hier um ideologisch motivierte Gewalttaten handelt. Zu befürchten ist zudem, dass aufgrund von institutionellem Rassismus und „Othering“ vermutlich in den Polizei-Statistiken als erstes misogyne Taten durch Täter vermerkt werden, die nicht als Angehörige der Mehrheitsgesellschaft gelesen werden – wohingegen der Zusammenhang von rechtsextremen Frauenhass und Misogynie weiterhin nicht erfasst wird. Meine Befürchtung ist auch, dass in Deutschland erst eine Terror-Tat mit INCEL-Hintergrund geschehen muss, damit Ermittlungsbehörden und Justiz hier weiterkommen. Das ist fürchterlich, weil wir ja wissen, wie groß das Ausmaß an sexualisierter Gewalt gegen Frauen und Mädchen ohnehin schon ist. Die zweite Befürchtung betrifft die Anerkennung des Zusammenwirkens von Misogynie und Rechtsextremismus, also extrem rechtem Frauenhass. Leider haben wir in diesem Bereich bislang keine oder nur sehr wenig Fortschritte gemacht. Es gibt zwar – theoretisch – das Wissen, dass die INCEL-Bewegung eine der Einstiegsbewegungen für Aktivisten der extremen Rechten und Rechtsterroristen ist. Doch das reicht nicht. Es wäre wichtig, Misogynie nicht als Unterkategorie von „Hasskriminalität“, sondern als eigene Kategorie der Politisch Motivierten Kriminalität zu benennen – im Bereich Rechts ebenso wie beim Dschihadismus.
Würden Sie die gesellschaftliche Reaktion als angemessen bezeichnen und welche aktuellen Entwicklungen sehen Sie?
Wir müssen dringend über die Strafverfolgungsbehörden und die Justiz reden. Deren Reaktionen auf das Ausmaß an Femiziden, Misogynie und extrem rechten Frauenhass sind bislang nicht angemessen. Das sehen wir u.a. an der mangelnden Bereitschaft, die Rolle eines dringend tatverdächtigen Polizeibeamten aus der rechten Chatgruppe im 1. Frankfurter Polizeirevier im NSU2.0-Komplex aufzuklären. Das ist natürlich ein fatales Signal an die Betroffenen, die sich nicht ernst genommen fühlen – und an die Täter, weil klar wird, dass misogyne Morddrohungen und auch Androhungen von sexualisierter Gewalt bagatellisiert werden. Ob die dringend notwendigen, von Bundesinnenministerin Nancy Faeser angekündigten Veränderungen unter anderem im Disziplinarrecht abschreckende Wirkung entfalten werden, ist noch völlig offen. Generell ist es problematisch, wenn das Strafrecht bei misogyner Gewalt die Tatmotivation nicht klar ermittelt und eindeutig benennt – und schlimmstenfalls Täter nicht zur Verantwortung gezogen werden. Das gilt insbesondere für Misogynie und extrem rechten Frauenhass im Netz. Leider reagieren hier die Ermittlungsbehörden in den wenigsten Fällen adäquat und erst mit großer Verzögerung. Damit werden Nachahmer ermutigt und soziale Netzwerke zu digitalen Minenfeldern für Betroffene von Misogynie und extrem rechten Frauenhass – wie auch für Betroffene von Rassismus und Antisemitismus. Und wie schon gesagt: Es ist schlichtwegkurzsichtig, zwischen digitaler und analoger Bedrohung zu unterscheiden, weil Gewalttaten im analogen Bereich durch digitale Kampagnen vorbereitet werden.
Heike Kleffner, wir danken für das Gespräch!