Herr Weimann, Sie sind einer der kreativen Köpfe hinter dem neuen Spiel „Loulu“. Erklären Sie uns das Spiel – aber bitte ohne Spoilers.
Caspar Weimann: „Loulu“ ist eine interaktive Fiktion, in die man mit dem Smartphone per App eintauchen kann. Dabei begegnet den Spieler:innen die Influencerin Frida, die sehr emotional ist, da sie gerade Opfer eines kalkulierten Shitstorms wurde. Sie bittet die Spieler:innen um Hilfe, mit diesem Shitstorm umzugehen. Kurz darauf schließt sich Robin den beiden an und gemeinsam wollen die drei mehr über den Shitstorm herausfinden: Was ist sein Ziel? Wie wurde er geplant? Steckt wirklich, wie Robin annimmt, ein rechtes Netzwerk dahinter? Zusammen macht man sich auf eine Art Recherchereise durch verschiedene Soziale Plattformen und kommt dabei dem geheimnisvollen und gut strukturierten Netzwerk immer näher…
Warum haben Sie sich für das Medium Videospiel entschieden, um über dieses Thema zu berichten?
Als „onlinetheater.live“ wollen wir digitale gesellschaftliche Entwicklungen reflektieren und unser digitales Miteinander mit künstlerischen Mitteln mitgestalten. Mich persönlich interessiert vor allem interventionistische Kunst, die in den Räumen unserer digitalen Interaktionen stattfindet, wie beispielsweise auf Facebook, Instagram und TikTok. Mit „Loulu“ war das etwas anders, da wir in diesem Spiel mit künstlerischen Mitteln über die Strategien, Ästhetiken und Narrative rechter und antifeministischer Netzwerke aufklären wollen.
Und dafür wären die üblichen sozialen Netzwerke nicht geeignet?
Sobald man das an einem digitalen Ort wie Facebook oder Instagram macht, mit dem alle potentiell interagieren können und wo alle kommentieren können, bietet man Rechten automatisch eine Plattform. Wir wollten einen abgeriegelten, originären Space schaffen, indem man sich mit rechten Narrativen auseinandersetzen kann, ohne tatsächlichen Akteur:innen Aufmerksamkeit in Form von Klicks zu geben. Da hat sich ein Spiel einfach perfekt für geeignet, obwohl ich wirklich lieber von „interaktiver Fiktion“ spreche, weil es letztendlich nur eine besondere Weise des Storytellings ist.
Kommen Sie und Ihr Team aus der Gamingblase?
Gameentwicklungserfahrungen hatte ich persönlich vorher nicht, aber Toni, der das Spiel programmiert hat, hat mit anderen Leuten aus unserer Gruppe „onlinetheater.live“ vorher schon ein Live-Game entwickelt. Als Theatermensch interessiert es mich, mit neuen Arten und Weisen zu experimentieren, wie man Geschichten erzählen bzw. Erfahrungen vermitteln kann.
Im Spiel bilden Sie ja verschiedene fiktive soziale Netzwerke ab, die ganz eindeutig an größere Plattformen angelehnt sind, von Facebook über Telegram bis Discord. Warum?
Da muss ich jetzt aber ein kleines bisschen spoilern. Digitale Radikalisierung ist ein schleichender Prozess, der sehr sehr oft mit einem Plattformwechsel verbunden ist: Oft startet sie auf einer Plattform wie Facebook, YouTube, Twitter oder Instagram, innerhalb derer man nach und nach in immer radikaleren Filterblasen landet. Irgendwann verschlägt es Leute zu alternativen Nachrichtenseiten oder Plattformen wie Telegram, bei denen rechte Meinungsmacher:innen ziemlich direkt mit ihrem Publikum interagieren können. Und dann gibt es die tatsächlichen Netzwerke, die sich über Discord oder Ähnliches organisieren. Da treffen sich dann die absoluten Hardliner. Diese drei Schritte wollten wir in „Loulu“ thematisieren.
Wie sehen diese drei Schritte der digitalen Radikalisierung im Spiel aus?
Bei uns geht die Suche auch auf einer bild- und videobasierten Plattform („Vire“) los. Dort sieht man sehr viele kurze Videos, in denen Influencer:innen sprechen, mit denen man sich schnell identifizieren kann – oder eben nicht. Nebenbei schreibt man mit Frida und Robin auf einer Plattform für Individualkommunikation („Pling“), die später von einer rechten Influencerin als persönlicher Nachrichtenkanal gebraucht wird. Und am Ende dann landet man bei „Channelz“, wo sich das rechte Netzwerk organisiert. Wir wollen mit dem Spiel darauf aufmerksam machen, wie die Kanäle unserer digitalen Kommunikation als gezielte und wirkmächtige Manipulationstools missbraucht werden können. Und um das zu erreichen, haben wir versucht ein Erlebnis zu schaffen, in dem es sich anfühlt, als würde man tatsächlich gerade auf dieser oder jener Plattform sein. Das Spiel soll sich also genauso real anfühlen wie das Thema ist, was es behandelt.
In den verschiedenen Chats und Videos bilden Sie ja toxische Narrative ab, die so auch in der Realität von Verschwörungsideolog:innen und Rechtsextremen geteilt werden. Die Reproduktion von problematischen Aussagen und Stereotypen bringt ja einige Gefahren mit sich. Wie gehen Sie mit der Herausforderung um?
Das ist der Punkt, mit dem wir uns in der Konzeption am intensivsten auseinandergesetzt haben. Und ja, um über toxische Narrative aufzuklären, muss man sie auf die eine oder andere Art und Weise benennen, sichtbar machen und kontextualisieren. Auch deshalb haben wir uns dafür entschieden, einen abgeschlossenen Gaming-Space zu schaffen, über den wir die volle Kontrolle haben. Im Spiel werden viele der rechtsextremen Inhalte, denen man begegnet, von Robin und Frida eingeordnet, mit ihnen diskutiert. Auch trifft man besonders am Anfang des Spiels nicht nur auf rechte Influencer:innen, sondern auch auf diverse Accounts, die eine bestimmte Medienkompetenz, ein pluralistisches Weltbild vermitteln, wir bieten im Spiel sozusagen Alternativen an. Auch die Geschichte, dass man Frida hilft, die Ziel eines Angriffs wurde, gibt eigentlich keinen großen Interpretationsspielraum für die Inhalte, denen man dann begegnet. Gleichzeitig wollten wir aber auch nicht zu didaktisch sein, nicht alles ständig kommentieren. Die Spieler:innen müssen im Spiel auch eigene Erfahrungen sammeln können, sonst ist es ja langweilig.
Dennoch müssen Sie problematische Inhalte abbilden, um sich mit denen auseinanderzusetzen.
Es gibt zwei Dinge, auf die wir in der Gestaltung der Inhalte geachtet haben: Wir erfinden keine „neuen“ Narrative, wir orientieren uns ausschließlich an schon existierenden Erzählungen oder Charakteren. Und wir nennen im Spiel nicht die Namen von tatsächlich existierenden rechten Influencer:innen, um keine Werbung für sie zu machen. Im Spiel kann man keine eigenen Inhalte erstellen, die andere Spieler:innen sehen. So bietet das Spiel Rechten eben keine Plattform. Eine Expertin, die uns in der Spielentwicklung begleitet hat, hat mal gesagt: „Ihr könnt nur so gut über Radikalisierung aufklären, wie ihr sie auch abbildet und behandelt.“ Das fand ich sehr passend.
Wer ist die Kernzielgruppe für das Spiel?
Das Spiel richtet sich an Menschen, die viel selbst in Sozialen Netzwerken unterwegs sind und die eben noch nicht in rechten Filterblasen gelandet sind. Wir wollen die Spieler:innen gegen rechte Narrative und Ästhetiken sozusagen immunisieren. Es wäre toll, wenn man sich nach dem Spielen ein bisschen aufmerksamer in den existierenden Sozialen Plattformen bewegt. Bei welchen Hashtags, bei welchen Symbolen, bei welchen Inhalten ist Vorsicht geboten? Wie funktionieren die Plattformen? Das kann man bei „Loulu“ herausfinden. Und wir hoffen, dass das möglichst viele Leute interessiert. Man muss nicht viel wissen vorher, vielleicht nur, wie man sich durch ein Soziales Netzwerk swipt, der Rest müsste klar werden – und zur Not einfach alles mal antippen, dann wird schon irgendwas passieren. Nach dem Sommer wollen wir Konzepte entwickelt, wie man das Spiel an den Schulunterricht andocken kann, das dann aber nur für Schüler:innen ab 16 oder 17. Wir haben bei unseren Beta-Testings festgestellt, dass es für jüngere Schüler:innen ein bisschen zu komplex ist.
Und die wichtigste Frage: Wo lässt sich das Spiel denn eigentlich herunterladen?
Man findet „Loulu“ für Android und iOS im Play Store bzw. App Store unter dem Stichwort Loulu. Das kann man sich kostenlos runterladen, installieren und loszocken. Wir würden empfehlen, es mit WLAN zu spielen, sonst saugt es euch die mobilen Daten leer.
Transparenzhinweis:
Während der Entwicklung von „Loulu“ hat das Projekt Good Gaming Einschätzungen zu Spielemechaniken und Darstellungsweisen gegeben.