Am Donnerstag vor einer Woche, am 27. Mai, veröffentlichte Susanne Raab, Integrationsministerin der Österreichischen Volkspartei (ÖVP), eine interaktive „Islam-Landkarte“. Darauf zu sehen: 623 muslimische Verbände, Organisationen und Moscheen, jeweils mit Verbindungen und einer Einschätzung der ideologischen Ausrichtung – samt Adresse. In einigen Fällen waren sogar die Privatnummern der Vorstandsmitglieder aufgelistet. Die Karte wurde vor knapp zehn Jahren von der österreichischen Dokumentationsstelle politischer Islam erstellt. Das österreichische Integrationsministerium hat sie aktualisiert. Seit dem 27. Mai war sie abrufbar.
„Die Islamlandkarte wollte eine differenzierte Diskussion über das islamische Leben in Österreich ermöglichen und einen positiven Beitrag leisten. Es sollte die Vielfalt des islamischen Lebens in Österreich aufgezeigt werden – in all seinen Schattierungen“, heißt es in einer Stellungnahme auf der Website. Die Integrationsministerin verstehe die Karte als Serviceangebot für Muslim:innen: „Sie sollen doch auch wissen, in welche Moschee sie gehen und welche Strukturen und Ideologien dahinterstehen.“
Generalverdacht gegenüber Muslim:innen
Bei Muslim:innen löst sie jedoch großes Unbehagen aus. Viele fühlen sich durch die Veröffentlichung stigmatisiert. Die Muslimische Jugend Österreichs (MJÖ) forderte Polizeischutz für Vereinsfunktionäre, deren Namen und Adressen veröffentlicht wurden. Scharfe Kritik kam auch von jüdischer Seite. „In einer Zeit, in der viele Umfragen bestätigen, dass die antimuslimische Stimmung in Österreich und in ganz Europa zunimmt“, stigmatisiere die Landkarte alle in Österreich lebenden Muslim:innen als potenzielles Sicherheitsrisiko, erklärte der Präsident der Konferenz der Europäischen Rabbiner und Oberrabbiner von Moskau, Pinchas Goldschmidt. Er kritisierte insbesondere, dass die Karte auch interreligiöse Organisationen wie den Muslim Jewish Leadership Council, dessen Co-Vorsitzender Goldschmidt ist, miteinschließe.
Auch der Europarat kritisierte die Karte. Die Veröffentlichung der Karte wirke aufgrund von Form und Zeitpunkt auf viele muslimische Gläubige als Generalverdacht gegenüber dem Islam, sagte Daniel Höltgen, Sonderbeauftragte für muslimfeindliche Intoleranz und Hassverbrechen des Europarats. Die Kartei sei muslimfeindlich und potenziell kontraproduktiv.
„Warnschilder“ vor genannten muslimischen Einrichtungen
Und was zu befürchten war, ist auch prompt eingetreten: Rechtsextreme nutzen die Karte, um gegen Muslim:innen zu wettern und den Islam pauschal zu verunglimpfen. Dank der Adressen der „Islam-Landkarte“ stellten sie „Warnschilder“ vor einigen der aufgeführten Einrichtungen auf. Die Schilder zeigen einen bärtigen Mann mit finsterer Miene sowie die Aufschrift „Achtung! Politischer Islam in Deiner Nähe.“
Der rechtsextreme Martin Sellner teilte als einer der Ersten via Telegram die Bilder vom Aufhängen der Plakate – offenbar steckt seine rechtsextreme Truppe, die sogenannte „Identitäre Bewegung“ (IB), die sich mittlerweile auch „Patrioten in Bewegung“ nennt, hinter der Aktion. In einem Livestream empfiehlt Sellner seinen Fans auf der „Islam-Landkarte“ zu schauen, welche muslimischen Einrichtungen in der Nähe sind. „Und wenn euch nicht gefällt was ihr auf der ‚Islam-Landkarte‘ findet, dann wäre der nächste Schritt eure Freunde anzurufen, eure Kollegen eure Bekannten anzurufen, eine kleine Initiative zu gründen.“ Der merkwürdige Aktionismus der Integrationsbeauftragten stößt bei Aktivist:innen der sogenannten „neuen“ Rechten, zu der auch die IB zählt, auf fruchtbaren Boden. Einer der Haupt-Feinde dieser Rechtextreme sind Muslim:innen, die in Europa leben. Nach ihrer Ideologie vom „Ethnopluralismus“ sollten Muslim:innen nur in ihrem eigenen Kulturraum leben, und das ist nach ihrer rassistischen Ansicht nicht das christliche und weiße Europa.
Ministerin Raab reagierte mit einer Stellungnahme, in der sie die rechten Plakat-Aktivist:innen mit Islamist:innen gleichsetzte. „Wir müssen als Gesellschaft weiterhin gegen den Extremismus von allen Seiten konsequent vorgehen“, sagte sie. Weder lasse man zu, dass rechte Gruppen den Kampf gegen den Islamismus politisch missbrauchen, noch lasse man sich durch Drohungen von islamistischer Seite vom Weg abbringen.
Karte ist momentan nur eingeschränkt abrufbar
Mittlerweile ist die „Islam-Landkarte“ nur noch eingeschränkt abrufbar. Doch auch wenn die interaktive Karte momentan offline ist, der Schaden ist bereits angerichtet. Rechtsextreme, wie die IB, sehen sich in ihrem rassistischen Hass auf Muslim:innen bestärkt. Martin Sellner hat bereits angekündigt eine „neue, bessere und detailliertere Islamkarte“ zu erstellen.
Rechte Aktivist:innen planen eigene „Islam-Landkarte“
Das Magazin „Freilich“, welches als Vernetzung von Inhalten der rechtsextremen „Identitären Bewegung“ und Politiker:innen der FPÖ dient, hat nun eine Unterstützerkampagne für das Erstellen einer unabhängigen Islam-Karte gestartet – vorerst nur für Österreich. Federführend ist dabei offenbar „Freilich“-Autor Irfan Peci. Peci, geboren in Serbien, aufgewachsen in der Oberpfalz war jahrelang führender Islamist für das Netzwerk von al-Qaida. Nach seiner Inhaftierung wurde er als V-Mann angeworben und betreibt seither als Aufklärungsarbeit getarnte Hetze gegen Muslim:innen.
In einem Interview mit Peci zu dem nun offenbar gestarteten Projekt heißt es: „Wir wollen mehr. Wir wollen ein realistisches Bild der gesellschaftlichen Veränderung um uns herum, in der der politische Islam natürlich eine Rolle spielt, aber auch der demographische Wandel in seinen vielen Facetten von mehr oder weniger integrierten Arbeitskräften, Wirtschaftsflüchtlingen und langfristigem politischen Wandel.“
Der Schaden ist angerichtet
Zwar ist die „Islam-Landkarte“ momentan nur eingeschränkt abrufbar, doch sobald einige IT-Änderungen vorgenommen wurden, würde das Projekt wieder online gehen, heißt es auf der Website. An der „Islam-Landkarte“ möchte die Integrationsministerin also festhalten, sie könne einen „sinnvollen Beitrag“ zur „zweifellos dringende Notwendigkeit an einer sachlichen Debatte über den Islam in Österreich“ leisten. Genau wie in Deutschland ist auch in Österreich eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Islam notwendig, besonders in Hinblick auf radikale und antidemokratische Strömungen innerhalb des Islams. Doch diese Debatten müssen sachlich geführt werden und mit Vertreter:innen des Glaubens. Diese „Islam-Landkarte“ war dagegen auf allen Ebenen ein Schuss in den Ofen, der viel Schaden angerichtet haben dürfte.