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Islamfeindlichkeit Die falschen Thesen des Herrn Fest

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Ob Herr Fest das lustig finden würde? Screenshot eines islamfeindlichen "Scherz"-Bildes von einer "Umstrittener Humor"-Website auf Facebook. (Quelle: Screenshot Facebook)

Interview: Carolina Ambrosi

Nicolaus Fest,  Vizechefredakteur der Bild am Sonntag (BamS), hat einen umstrittenen Kommentar veröffentlicht, in dem er darlegt, was ihn alles am Islam und an den Muslimen stört – etwa „Zwangsheiraten“ und „Ehrenmorde“. Sofort hagelte es Kritik von allen Seiten. Selbst die Spitze der Bild-Zeitung distanzierte sich von seinen Aussagen. 

In seinem nur 106 Wörter umfassenden Kommentar stellt Fest fünf Behauptungen auf, die Kritiker für unsäglich halten. Aber lässt sich  jede seiner Behauptungen so einfach widerlegen? ZEIT ONLINE hat die fünf Hauptthesen mit zwei Wissenschaftlern besprochen. Klaus Boehnke, der an einer Studie des Innenministeriums zu den Lebenswelten junger Muslime in Deutschland mitgearbeitet hat, ärgert sich vor allem darüber, dass der Kommentar von Satz zu Satz „immer bösartiger und unglaublicher“ werde.

In seinem Text bezieht sich Fest auch auf eine umstrittene Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen zur Kriminalität von Muslimen von 2010, die wie andere durch eine neue Untersuchung infrage gestellt wird. Wassilis Kassis von der Universität Osnabrück hat sie schon damals zerpflückt. Er sagt, Nicolaus Fest sei Kulturalist, also einer, der gesellschaftliche Entwicklung allein mit Kultur und Religion erklären möchte – genauso wie Thilo Sarrazin.

Sind muslimische Jugendliche ü?berdurchschnittlich kriminell?

Klaus Boehnke: So pauschal kann man das nicht behaupten. In der Vergangenheit gab es Studien, die zu einem solchen Schluss gekommen sind. Da wurden aber die Hintergründe vernachlässigt. Zuwanderer sind im Bildungssystem klar benachteiligt, was zu einer stärkeren Straffälligkeit führt. Zudem geraten Menschen mit muslimischem Migrationshintergrund auch eher ins Visier polizeilicher Maßnahmen. Der muslimische Glaube trägt sogar dazu bei, dass die Kriminalität gedämpft wird. Gläubige Muslime trinken ja keinen Alkohol. Und viele Straftaten von Jugendlichen haben etwas mit Alkoholkonsum zu tun. Im Prinzip ist die Religion also sogar ein Schutzfaktor. 

Wassilis Kassis: Die These ist wissenschaftlich nicht belegt und in dieser Verallgemeinerung schlicht falsch. Schon allein, weil es nicht den einen muslimischen Hintergrund gibt. Muslime sind heterogener als Juden, Buddhisten oder Christen. Diese Heterogenität wird Muslimen abgesprochen, nicht nur von Fest, sondern allgemein. Muslime werden zu einer diffusen, konfusen, gefährlichen Masse zusammengeschrumpft. Stellen Sie sich vor, Herr Fest schriebe von Jugendlichen mit christlichem Hintergrund. Da würden Sie zu Recht sagen: Meinen Sie jetzt die fundamentalistischen Christen, die sogar der Evolution die Faktizität absprechen? Meinen Sie Jugendliche mit einem bestimmten sozioökonomischen Status? Meinen Sie Jugendliche, die gänzlich abgehalftert sind? Von welchen Jugendlichen sprechen Sie?

Verkörpert der Islam eine „totschlagbereite Verachtung für Frauen und Homosexuelle“?

Boehnke: Die meisten großen Religionen sind frauenfeindlich und homophob. Herr Fest attestiert das aber nur dem Islam und vergisst alle anderen. Etwa, dass in die katholische Kirche keine Frauen ordiniert oder dass Homosexualität im orthodoxen Judentum oder bei evangelikalen Christen eine der schlimmsten Sünden ist. 

Kassis: Auch hier: Es gibt nicht den Islam. Eine „totschlagbereite“ Verachtung des Islams für Frauen gibt es jedenfalls nicht. Und ich denke, dass es momentan beispielsweise schwieriger ist, in Russland homosexuell zu sein als in Ägypten, Malaysia oder im Kosovo. Dass Fest aus all denjenigen, die homophobe Vorurteile haben, einzig die Muslime herausgreift, kommt einem Fingerzeig gleich: Einzig die sind es. Wir haben ja kein Problem mit Homosexuellen!

Gibt es „antisemitische Pogrome“ von Muslimen?

Boehnke: Das ist geschichtslos. Wo in den letzten hundert Jahren antisemitische Pogrome in aller Härte stattgefunden haben, wissen wir ja. Wahrscheinlich bezieht Herr Fest sich auf die antisemitischen Parolen, die auf anti-israelischen Demonstrationen gegen den Gazakrieg gebrüllt wurden. Antisemitismus ist etwas, das wir auf jeder Seite bekämpfen müssen. Aber dabei dürfen wir nicht vergessen, dass sich Antisemitismus und Islamophobie zum Teil aus derselben Geisteshaltung speisen. Es muss klar sein, dass die Abwehr von Andersartigkeit in Demokratien eine Frage der politischen Auseinandersetzung ist und sie nicht auf die Religionszugehörigkeit reduziert werden kann.

Kassis: Das Wort „Pogrom“ knüpft an die Erfahrung aus dem Nationalsozialismus an. Diese Pogrome haben nicht Muslime begangen. Es gab bei den Demonstrationen eine hässliche antisemitische Stimmung. Aber es wurden keine Menschen getötet.  Herr Fest betreibt hier eine geschichtliche Verschleierung und Verniedlichung des Nationalsozialismus.

Ist der Islam ein Integrationshindernis?

Boehnke: Religiöser Fundamentalismus jedweder Prägung gefährdet den Zusammenhalt in Gesellschaften. Fundamentalistische Religiosität kann Andersartigkeit nicht ertragen, grenzt sich aus. Dies genuin dem Islam zuzuschreiben und nicht anzuführen, dass Religion an sich etwas Abgrenzendes hat, scheint mir sehr verwegen.

Kassis: Sowohl national als auch international stellt der Islam an sich in keinster Weise ein Integrationshindernis dar. Das belegen zahlreiche wissenschaftliche Studien. Wenn man einzelne Gruppen von Muslimen nimmt, aus der Unterschicht, in bestimmten Ghettoisierungsbereichen, kann man allerdings durchaus mangelnde Integration feststellen. Wenn Sie in ein Quartier gehen, wo es ausschließlich Muslime aus der Unterschicht gibt, weil sie nur dort leben können und sie alle dort zusammen sind, dann ist das der Fall. Das hat aber nichts mit dem Islam zu tun, sondern einzig mit der Ghettoisierung und der Unterschichttendenz.

Importierte?n Muslime Rassismus?

Boehnke: Der Rassismus ist ja nicht hierher gebracht worden durch muslimische Zuwanderer. Deutschland war vor nicht allzu langer Zeit ein Stück weit ein Hort des Rassismus. Nun zu behaupten, er sei nur wieder da, weil wir muslimische Zuwanderer haben, ist unglaublich. Wir haben Gruppierungen in Deutschland, die aus rassistischen Erwägungen Muslime umbringen, und dann gibt Herr Fest den Opfern zu verstehen: Ihr habt den Rassismus hier re-importiert. Das ist absurd!

Kassis: Rassismus ist das, was Herr Fest in seinem Kommentar vertritt. Er sagt, die Muslime sind so, sie können nicht anders – und dann spricht er von importiertem Rassismus. Er impliziert damit, dass Muslime eigentlich nicht zu Deutschland gehören. Die Tatsache, dass rund die Hälfte der Muslime in Deutschland hier geboren wurde, dass sie Deutsche sind, interessiert ihn nicht. Das grenzt an Absurdität und ist nicht haltbar.

Dieser Text erschien zuerst am 31.07.2014 auf ZEIT online. Mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.

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