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Israelbezogener Antisemitismus Wenn der Nahostkonflikt nach Deutschland schwappt

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Wenn es um den Nahostkonflikt geht, will fast jeder seinen Senf dazu geben. Nicht selten überschreiten solche Meinungen die Grenze zum Antisemitismus.

Verschärfungen des Nahostkonflikts führen meist auch zu einer Verstärkung des antisemitischen Diskurses zu Israel in Deutschland. Damit ist natürlich nicht jede kritische Diskussion israelischer Regierungspolitik gemeint, sondern die Aussagen und Taten, die die Grenze zum Antisemitismus überschreiten. So beispielsweise 2014 während des Gaza-Krieges, oder 2017 nach Verlegung der US-amerikanischen Botschaft nach Jerusalem, als auf Demonstrationen antisemitische Parolen gerufen und Israelflaggen verbrannt wurden – vielerorts gerade auch von Jugendlichen und jungen Erwachsenen.

Nun wurde in letzter Zeit eine möglicherweise bevorstehende Annexion von Teilen des Westjordanlandes durch Israel diskutiert, gerade auch in deutschen Medien und sogar im Bundestag. Könnte dies eine ähnliche Situation nach sich ziehen und vermehrt israelbezogener Antisemitismus zu beobachten sein? Wenn ja, was wäre zu tun, gerade auch auf individueller Ebene, im Bildungskontext oder der Arbeit mit Jugendlichen? Bei vielen Menschen herrscht große Unsicherheit wie man am besten mit direkt an den Nahostkonflikt gekoppelten antisemitischen Äußerungen oder Handlungen umgeht. Ein Themenfeld, das auch die Amadeu Antonio Stiftung beschäftigt, zum Beispiel Rosa Fava und Arnon Hampe von „ju:an“, der Praxisstelle für antisemitismus- und rassismuskritische Jugendarbeit, und Jan Riebe von der Fachstelle für Gender, Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Rechtsextremismus. Mit ihnen sprach Jonas Stapper.

Belltower.News: Bisher wurden der Nahost-Plan der Trump-Administration und eine mögliche Annexion von Teilen des Westjordanlandes ja in keiner Weise umgesetzt. Trotzdem wird in den Medien, und sogar im Bundestag darüber diskutiert. Gab es schon als problematisch einzuordnende Demonstrationen oder sind diese noch zu erwarten?

Jan Riebe: Die bisherigen Demonstrationen dazu sind in sehr kleinem Rahmen verlaufen und sozusagen von den „üblichen Verdächtigen“ organisiert. Ich habe das Gefühl, dass bis jetzt – anders als man das beim Thema Nahostkonflikt eigentlich erwartet – noch kein großes Mobilisierungspotenzial entwickelt wurde.

Rosa Fava: Wenn man das beispielsweise vergleicht mit der Verlegung der US-amerikanischen Botschaft nach Jerusalem im Jahr 2017, ist hier aber eben auch der Unterschied, dass bisher noch nichts wirklich passiert ist. Allerdings kann man schon beobachten, dass beispielsweise Palästina-Soli-Gruppen sich auf mögliche Geschehnisse vorbereitet haben und ihre Proteste nun auch abhalten. Wenn konkrete politische Schritte erfolgen sollten, ist auch zu erwarten, dass diese Mobilisierungsversuche noch verstärkt werden.

Belltower.News: Ein negativer Höhepunkt der Mobilisierung zum Nahostkonflikt in Deutschland war wohl der Sommer 2014. Während der Konflikt zwischen Israel und den militanten palästinensischen Gruppen im Gazastreifen offen und verstärkt ausgetragen wurde, eskalierte die Situation auch in Deutschland. Bei Demonstrationen wurden beispielsweise antisemitische Sprechchöre wie „Jude, Jude, feiges Schwein, komm heraus und kämpf allein“ gerufen. Was war da passiert, wie wurde damit umgegangen und was kann man daraus lernen?

Jan Riebe: Es gibt bei solchen Demonstrationen häufig ein Konglomerat von verständlichem und nachvollziehbarem Protest – zum Beispiel von Personen, die einen direkten Herkunftsbezug zu der Region haben – aber eben oft verbunden mit Personen, die solche Demonstration als willkommende Gelegenheit sehen um ihren Antisemitismus lautstark auszuleben. 2014 hatten die Demonstrationen vielfach antisemitischen Charakter und waren teilweise sogar deutlich dadurch geprägt. Zudem gab es eine Demonstration nach der nächsten, auch sehr spektrumübergreifend. Insgesamt geprägt war der Protest vor allem von einer nationalistischen und teilweise religiösen türkischen und palästinensischen Communities oder Personen mit Bezugspunkten in diese. An manchen Demonstrationen beteiligten sich Rechtsextreme, andere organisierte die örtliche Linksjugend. Teilweise gab es aber auch Gegenkundgebungen, wo sich andere Mitglieder der Linksjugend beteiligten. Das zeigt wie vielschichtig diese Demonstrationen teilweise waren.

Das Eskalationspotenzial führte bis hin zu einem Brandanschlag auf die Synagoge in Wuppertal mit dem unfassbaren Nachspiel, dass das zuständige Gericht diesen nicht als antisemitisch einstufte. Das absolut Fatale war meiner Meinung nach aber, dass die Solidaritätskundgebungen mit Jüdinnen und Juden von ihnen selbst organisiert werden mussten. Ich verbinde 2014 auch mit einem Versagen der deutschen Zivilgesellschaft.

Rosa Fava: Ergänzend finde ich wichtig, manche der oft zugrundeliegenden Annahmen explizit zu hinterfragen. Beispielsweise wird immer eine Trennung aufgemacht zwischen der Gruppe mit direktem Bezug – also Verwandten aus dem israelisch-palästinensischen Gebiet oder einem Fluchthintergrund von dort – und politischen Gruppen, wie zum Beispiel der Linksjugend. Implizit werden dadurch dann „die Palästinenser“ „den Deutschen“ gegenübergestellt. Das trifft so einfach aber keinesfalls zu, eine Linksjugend setzt sich ebenso auch aus Jugendlichen und jungen Erwachsenen zusammen, deren Eltern von woanders herkommen, sei es aus den betroffenen Gebieten oder nicht.

Außerdem darf man andersrum nicht kulturalisieren, beispielsweise mit der Annahme, dass Menschen mit direkten Herkunftsbezügen sich eher mobilisieren lassen für Demonstrationen gegen Israel. Veranstaltet werden diese nämlich von Gruppen und Organisationen mit teilweise klarer politischer Agenda. Dahinter steht dann beispielsweise ein libanesischer Nationalismus, der mobilisiert, aber nicht die libanesische Herkunft einzelner Personen.

Israelbezogener Antisemitismus ist ein Querschnittsthema: So laufen beispielsweise auf dem alljährlichen Al-Quds-Marsch Gruppen zusammen, die sich an anderen Stellen weit entfernt voneinander positionieren. Daher sollte man das Problem keinesfalls bloß bei Menschen und Gruppen mit direktem Herkunftsbezug verorten.

Belltower.News: Woher kommt denn der abgerufene Antisemitismus? Ist er Grundhaltung oder situationsbedingt?

Rosa Fava: Das ist schwierig pauschal zu beantworten. Wenn man auf 2014 schaut, muss man sich die konkrete Situation anschauen, um die Frage zu beantworten wie der Slogan „Jude, Jude, feiges Schwein…” so massenwirksam, beziehungsweise tauglich werden kann. Nicht einfach zu beschreiben ist dieses historisch gewachsene Amalgam aus Ressentiments – auch politischen – sowie dem Deutungsmuster, dass israelisches Handeln als allgemein jüdisches Handeln verstanden wird. Und zwar als jüdisch mit all den negativen Konnotationen verbunden, zum Beispiel die vermeintliche Feigheit, die ja auch auf ein altes antisemitisches Bild zurückgeht.

Selbstverständlich ist dieser Spruch antisemitisch, weil die Aussage klar antisemitisch ist, egal wie sie eigentlich gemeint sei. Aber die tatsächliche Motivation ist weniger deutlich. Hier ist dann eher die Frage, ob ich Lösungen suche in einem juristischen Prozess, oder wissenschaftlich, oder für den pädagogischen Kontext. Bei Letzterem muss dann eben gerade mit diesen Widersprüchen und auch Emotionen gearbeitet werden.

Jan Riebe: Ich stimme in dem Punkt zu, dass wenn eine Demonstration so etwas brüllt, ich natürlich nicht in die Leute reinschauen kann, ob die das jetzt mitbrüllen, weil alle es brüllen, oder aus tiefster antisemitischer Überzeugung. Was sich 2014 aber gezeigt hat – beziehungsweise auch generell bei Antisemitismus und Straftaten in diesem Komplex zeigt – ist, dass es hier eine Wellenbewegung gibt. Antisemitismus findet mal stärker Ausdruck und mal schwächer. Man darf aber nie von der Illusion ausgehen, dass wenn die Welle gerade unten ist, die Leute dann weniger antisemitisch sind. Wenn im Nahostkonflikt etwas passiert, fühlen sich die Menschen mit tiefer antisemitischer Weltsicht bemüßigt, diese in Bezug auf Israel zu äußern, dann kommt sie vielleicht aber auch mal ein paar Jahre wieder nicht zum Vorschein. Ich bin eher pessimistisch und glaube, dass sich ein realistischeres Bild vom Antisemitismus in Deutschland zeigt, wenn die Welle gerade oben ist.

Belltower.News: Wie relevant ist das Thema denn in der Jugendarbeit, wie äußert es sich da und wie geht man am besten damit um?

Rosa Fava: Das ist ganz unterschiedlich, allein schon in Berlin sind die Kieze so verschieden, was die Hintergründe der Jugendlichen angeht, das zeigt sich auch in Bezug auf den Nahostkonflikt: Für manche Thema Nummer eins, andere haben noch nicht mal davon gehört. Es ist aber definitiv ein Thema, das immer wieder, manchmal auch unerwartet, aufkommt. Herangetragen werden an uns fast nur die wirklich problematischen bis extremen Fälle, wenn zum Beispiel „Jude“ als Schimpfwort verwendet wird. Auch, weil Ressentiments gegen Israel insgesamt flächendeckend verbreitet sind, an vielen Stellen also gar nicht als problematisch wahrgenommen werden, bekommen wir von den latenten Fällen meist gar nicht mit.

Arnon Hampe: In der pädagogischen Praxis hat sich insgesamt gezeigt, dass es wenig sinnvoll ist, tendenziell antisemitische Aussagen mit Israelbezug rein auf der historisch-sachlichen Ebene zu bearbeiten. Aussagen wie „Die haben unser Land gestohlen” oder „Die töten ohne Grund kleine Kinder” sind meist stark von Emotionen genährt. Da lohnt sich fast immer das Gesagte erstmal auszuhalten und dann in den Beziehungskonflikt zu gehen, also durchaus auch eigene Emotionen sichtbar zu machen. Damit das funktionieren kann, muss man sich seiner Emotionen natürlich selbst bewusst sein und sie gezielt als pädagogische Strategie einsetzen können. Zu pädagogischer Professionalität gehört aber auch, die eigenen Grenzen des Sag- und Verhandelbaren zu kennen und diese ebenso deutlich zu kommunizieren. Im besten Fall entsteht so ein Raum, in dem eine fruchtbare Auseinandersetzung geführt werden kann.

Belltower.News: Haben Sie ein Beispiel?

Rosa Fava: Ein Beispiel war ein Kurzfilm-Projekt zum Thema Identität, währenddessen ein Jugendlicher unabgesprochen einen Anhänger mit der Silhouette des israelisch-palästinensischen Gebietes, vollständig in palästinensischen Farben, zeigte. Auf diesem auch sonst weit verbreiteten Emblem kommt Israel schlichtweg nicht vor. Die Sozialarbeiter*innen überlegten anfangs noch die Szene einfach zu verpixeln, haben dann aber erstmal mit dem jungen Mann gesprochen. Dieser zeigte sich einsichtig und verstand, dass diese Darstellung die Existenz eines Landes negiert, was gar nicht seine Absicht war. Solche problematischen Vorfälle können einfach auf Unwissenheit basieren. Auf dieser Ebene kann man gut pädagogisch arbeiten, indem man die Menschen konfrontiert mit dem was sie machen und aufzeigt, was daran nicht in Ordnung ist.

Arnon Hampe: Ich hatte kürzlich den Fall, dass während eines Workshops mehrere Jugendliche ein Arbeitsblatt auf den Boden geworfen und draufgetreten haben, weil darauf eine Person abgebildet war, die in Israel geboren worden ist. Das hat mich natürlich schockiert, ich habe dann aber erstmal tief durchgeatmet und sie gefragt, warum sie das machen. Sie antworteten mit den üblichen israelfeindlichen Aussagen. Ich fragte, ob sie die Person auch treten würden, wenn sie physisch anwesend wäre. Die Meinung war geteilt. Dann habe ich gefragt, ob sie mich auch treten würden, da ich ebenfalls in Israel geboren bin. Nach einem kurzen Moment der Irritation verstanden die Jugendlichen, dass damit der Workshop und die mit mir erst kurz zuvor eingegangene Beziehung beendet wäre und verneinten. Die eingeübte und bis dahin unhinterfragte Reaktion des Hasses war damit zumindest für den Moment irritiert zugunsten des Gesprächs und In-Beziehung-Bleibens.

Belltower.News: Wird in solchen Situation sonst zu oft der einfachste Weg des Wegschauens gewählt?

Rosa Fava: Allgemein macht eine Thematisierung immer Sinn: Beispielsweise, wenn in Schulen oder Jugendclubs Weltkarten hängen, auf denen Israel durchgestrichen ist. Meistens interessiert das aber niemanden, so wie geschmierte Hakenkreuze viel zu oft niemanden interessieren. Da sind leider die Sozialarbeiter*innen eine Seltenheit, die das aufgreifen und nachfragen, was das bedeuten soll und so eine Diskussion und bestenfalls Reflektion anregen. Auf der Ebene gegenseitiger Akzeptanz, also eigentlich basaler Beziehungsarbeit in der Jugendarbeit, kann dann immerhin der Punkt erreicht werden, dass Jugendliche andere Positionen kennenlernen und auch akzeptieren können.

Belltower.News: Aber woran liegt das, weshalb tun sich viele mit dem aktiven Thematisieren so schwer?

Rosa Fava: Bei Fortbildungen und Workshops merken wir, dass insgesamt eine große Unsicherheit bei dem Thema herrscht. Da wird sich teilweise ehrlich gefragt, was man denn sagen „darf“ und was nicht und warum. Gar nicht bezüglich einer vermeintlichen Meinungsdiktatur, sondern aus dem Bedürfnis mehr und offen über das Thema zu sprechen, auch um andere als die eigenen, oder aus dem eigenen Kontext bekannten, Positionen zu hören. Und vor allem erklärt zu bekommen, welche Aussagen antisemitisch sind und weshalb. Hier kann das offene Reden in einem geschützten Raum kaum überschätzt werden.

Belltower.News: Eben war schon die Rede von einem „Versagen der Zivilgesellschaft“ 2014. Was wären denn allgemeine Forderungen zum Umgang mit israelbezogenem Antisemitismus?

Jan Riebe: Bei den meisten Konflikten haben die wenigsten Deutschen eine klare Position, was Ursachen des Konflikts sind und wer Aggressor ist. Beim Nahostkonflikt habe ich das Gefühl könnte man die meisten Deutschen mitten in der Nacht wecken und sie wären sofort in der Lage sich klar zu positionieren. Ich glaube, diese Sicherheit muss man nehmen, allein schon, weil die gegenüberstehenden Seiten gar keine homogenen Blöcke sind. In Workshops zu israelbezogenen Antisemitismus ist es wichtig, dass die Teilnehmenden ein Grundvertrauen untereinander entwickeln, um auch das zu sagen, was sie denken. Denn Antisemitismus kann nur bearbeitet werden, wenn darüber nicht abstrakt geredet wird, sondern eigene Positionen daraufhin angeguckt werden, ob sie eine Nähe zu Antisemitismus oder auch zu Rassismus haben.

Belltower.News: So wie sich viele mit dem Problematisieren von Antisemitismus schwer tun, wird das Problem auch gerne einfach bei anderen verortet?

Jan Riebe: Absolut, schuld sind immer die anderen. Nahezu alle Bundestagsanfragen der AfD zu Antisemitismus reduzieren Antisemitismus auf „migrantische Kreise“. Aber auch andere gesellschaftliche Gruppen zeigen immer gerne auf die Gegenseite. Bei sich selbst und dem eigenen Umfeld ist man da weniger gewillt, zum Teil aufgrund des eigenen Selbstverständnisses als links, beziehungsweise antirassistisch. Auch das steht einer grundlegenden Lösung im Weg, da hiermit völlig verkannt wird, dass so gut wie alle Menschen in Deutschland mit Antisemitismus sozialisiert sind und deshalb auch antisemitische Ressentiments internalisiert haben. Auch diese Sicherheit des eigenen Nicht-Antisemitisch-Seins muss genommen werden. Nur wer sich grundsätzlich Ressentiments eingesteht, kann sie auch ergründen. Nur durch die Bereitschaft zur Selbstreflexion kann die Situation grundlegend verändert werden.

Belltower.News: Grundsätzlich sollte israelbezogener Antisemitismus also mehr thematisiert werden, beziehungsweise ist es immer besser über die Themen zu sprechen, um Vorurteile aufzubrechen und Reflexion anzuregen, auch bei sich selbst. Was sind hier denn ganz konkrete Tipps für den Alltag, wie schafft man reflektierte Antisemitismuskritik?

Jan Riebe: Das Problem wird oft gerade erst dann erkannt, wenn es besonders virulent ist. Das ist aber der schlechteste Zeitpunkt für Lösungen. 2014 wurde plötzlich von allen Seiten gefordert, dass man jetzt dringend etwas gegen Antisemitismus tun müsse. Absolut richtig, bleibt aber das Problem, dass gerade diese Momente die ungünstigsten für einen Beginn sind. Ein besserer Zeitpunkt wäre, bevor es eskaliert, beziehungsweise emotional besonders aufgeladen ist. Das heißt beispielsweise genau jetzt – wenn man befürchtet, dass es bald wieder hochkochen könnte – in Schulklassen über den Nahostkonflikt, beziehungsweise israelbezogenen Antisemitismus zu sprechen.

Sonst empfehle ich – wie auch bei Rassismus, Antifeminismus et cetera – die Thematisierung individuell ins Alltagsgeschehen einzubauen. Beispielsweise also, wenn in der Schlange im Supermarkt solche Äußerungen fallen, die Person direkt anzusprechen. Das führt einerseits dazu, dass die Person merkt, dass sie in der Öffentlichkeit eine deutliche Resonanz bekommt, wenn sie sich so äußert, was vielleicht sogar ein Umdenken bewirken kann. Andererseits führt das auch zu einer Stärkung der eigenen Argumentation und Sicherheit im Umgang mit der Problematik.

Rosa Fava: Was zum Thema israelbezogener Antisemitismus in der Bildungsarbeit sehr wichtig ist, dass man mit Beispielen arbeitet, die eben nicht immer nur arabische oder muslimische Menschen darstellen. Wichtig ist auch den „urdeutschen“ israelbezogenen Antisemitismus einzubinden, beispielsweise der Wuppertaler Richter*innen, die das Anzünden einer Synagoge als politische Meinungsbekundung verstehen wollen, oder der Partei „Die Rechte“, deren Wahlkampfslogan „Israel ist unser Unglück“ vor Gericht nicht als antisemitisch erkannt wird. So wird auch das beschriebene Auslagern durchbrochen, und die Menschen angeregt nochmal über den explizit deutschen Kontext nachzudenken.

Belltower.News: Und im explizit pädagogischen Kontext, zum Beispiel in der Schule?

Rosa Fava: Ein sinnvoller Weg kann sein, auch über andere internationale Konflikte zu sprechen, insbesondere da israelbezogener Antisemitismus gerne als einfache politische Kritik gerechtfertigt wird. Anhand von beispielsweise dem Krim-Konflikt, der Situation auf Zypern oder in Taiwan, oder dem Syrienkrieg lässt sich schnell verdeutlichen, dass immer mindestens zwei, selten ganz homogene Akteure, mit eigenen Handlungen, Interessen und Sichtweisen beteiligt sind, die sich auch gegenseitig bedingen. Genauso verhält es sich natürlich auch im Nahostkonflikt, anders als die einseitige Kritik an Israel glauben machen lässt. Hier muss ebenfalls die Komplexität verdeutlicht und auf einer rationalen Ebene diskutiert werden. An sich geht es darum, gute politische Bildung zu fördern. Das muss gar nicht unbedingt primär anhand des Nahostkonflikts geschehen. Viele Jugendliche wollen ja politisch sein, damit kann man sie andersherum auch gut erreichen. Und gerade bezüglich des emotionalisierten Diskurses zu Nahostkonflikt und Antisemitismus ist das eine gute Ebene.

Arnon Hampe: Unabhängig davon müsste Antisemitismus, genau wie Rassismus, noch viel stärker als Querschnittsthema gedacht werden, dass eben nicht nur im Geschichtsunterricht durchgenommen wird.

Jan Riebe: Und ergänzend zur politischen Bildung ist außerdem kritische Medienkompetenz sehr sehr wichtig. Vor allem über soziale Medien kommen die ersten Infos, wenn der Nahostkonflikt eskaliert, viel davon sehr einseitig und teilweise schlichtweg falsch. Wenn man das halbwegs einordnen kann, ist schon viel gewonnen. Hier ist ein Problem, dass viele Lehrer*innen da selbst nicht unbedingt auf der Höhe der Zeit sind und das Thema in der Schule insgesamt noch lange nicht genug Platz einnimmt.

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