Heute antwortet Robert Andreasch, Journalist und Mitarbeiter der Antifaschistischen Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München a.i.d.a. e.V.
Was waren die wichtigsten Ereignisse in Bayern im Jahr 2010, bezogen auf Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus?
Antifaschist_innen hatten seit vielen Jahren vor den Konsequenzen der Anti-Antifa-Arbeit Nürnberger Neonazis gewarnt. Die organisieren sich mittlerweile im an die 2004 verbotene „Fränkische Aktionsfront“ angelehnten „Freien Netz Süd“ (FNS). Einer der führenden Aktivisten des FNS, Peter Rausch, erkennt am 28. April 2010 in der Nürnberger U-Bahn einen jungen Antifaschisten und greift diesen an. Der Attackierte wird so schwer verletzt, dass er zweimal reanimiert werden muss und danach im Koma liegt. Die Polizei verschweigt mehrere Tage lang gegenüber der Öffentlichkeit den neonazistischen Hintergrund des Überfalls, den angegriffenen Jugendlichen bezeichnet die Behörde öffentlich als „Linksextremisten“.
Im oberfränkischen Oberprex erwirbt die Familie des FNS-Führungskaders Tony Gentsch im Frühsommer 2010 den ehemaligen Gasthof „Egerländer“, der danach für zahlreiche neonazistische Veranstaltungen genutzt wird. Aber auch in anderen Teilen Bayerns kommt es 2010 beinahe wöchentlich zu Aufmärschen, Aktionen und Konzerten des „Freien Netz Süd“, vor allem in der Oberpfalz und Niederbayern, oft in Zusammenarbeit mit der NPD.
Widerstand dagegen organisieren nur Wenige: gegen das internationale Rechtsrockspektakel „Day of Friendship“ in Niederbayern protestieren ganze sechs Jugendliche, beim neonazistischen „Frankentag“ in Obertrubach nur auswärtige Antifaschist_innen. Als Neonazis im Februar „spontan“ im unterfränkischen Eltmann aufmarschieren, entschuldigt die Polizei ihr Nichtreagieren damit, die Beamten hätten den neonazistischen Fackelmarsch für „eine Art Faschingsumzug“ gehalten. Es ist kein Wunder, dass die Neonazis Ende 2010 selbstbewusster auftreten: In Sulzbach-Rosenberg brechen im November 60 von ihnen aus einem Aufmarsch aus und jagen in der Innenstadt stundenlang nach Antifaschist_innen.
Was erwarten Sie 2011?
Ende 2010 forderten mehrere CSU-Politiker (darunter ein Bundestagsabgeordneter) allen Ernstes öffentlich dazu auf, nichts mehr gegen den von Neonazis betriebenen Szenetreff im ehemaligen Gasthof „Egerländer“ (Oberprex) zu unternehmen. Begründung? Der Kauf des Gasthofes durch Neonazis im Frühsommer 2010 sei erstmals durch einen Artikel auf der Homepage der „antifaschistischen Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München“ (a.i.d.a. e.V.) publik worden, und a.i.d.a, so die CSUler, sei „linksextremistisch“.* Dieses Beispiel stützt meine Befürchtung, dass die unsägliche „Extremismus“-Debatte im kommenden Jahr die dringend notwendige antifaschistische Arbeit weiter schwächen wird. Für 2011 würde ich mir auch gerne wünschen, dass die Verbreitung extrem rechter Ideologien in „der Mitte“ der bayerischen Gesellschaft abnimmt, aber ich erwarte es nicht.
* Der wegen seiner guten Recherche- und Aufklärungsarbeit angesehene Verein a.i.d.a. e.V. wurde im Jahr 2008 im bayerischen Verfassungsschutzbericht als „linksextrem“ bezeichnet – und zwar einzig wegen eines Links auf ihrer Homepage. Die Klage dagegen vor dem Bayerische Verwaltungsgerichtshof gewann a.i.d.a. e.V.am 23. September 2010.
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