Es antwortet Michael Distel, Politikwissenschaftler und unter anderem aktiv bei Courage Baden-Württemberg.
Was waren die wichtigsten Ereignisse in Baden-Württemberg im Jahr 2010, bezogen auf Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus?
2010 blieb Baden-Württemberg von Nazigroßaufmärschen, wie 2009 in Ulm, verschont. Auch ohne Großereignisse – rassistische Übergriffe und Gewalttaten gegen MigrantInnen und AntifaschistInnen sind auch hier Alltag. Ein Beispiel von vielen: in Heppenheim (Rhein-Neckar)wurden in der Nacht vom 27. Dezember mehrere Scheiben von drei Dönerimbissen und einem türkischen Supermarkt eingeworfen. Der mögliche rassistische Hintergrund der Tat wird in der Presse vollkommen ausgeblendet und das ganze als „jugendtypische“ und vor allem unpolitische
Randale dargestellt.
Zahlreiche Naziaktivitäten finden im Verborgenen statt. Am Dienstag den 21. Dezember 2010 fand eine bundesweite Razzia gegen die bei den „Jungen Nationaldemokraten“ (JN, Jugendorganisation der NPD) angesiedelte ?IG Fahrten und Lager? statt. Die Polizei durchsuchte dabei auch Objekte in Baden-Württemberg (Heidelberg und Sinsheim). In der Nachfolge der HDJ („Heimattreuen Deutsche Jugend“) veranstaltete die ?IG Fahrten und Lager? bundesweit Zeltlager, in denen Jugendliche und Kinder nationalsozialistisch indoktriniert wurden. Aufgrund öffentlichen Drucks wurde die HDJ 2009 verboten. Es bleibt zu hoffen das der ?IG Fahrt und Lager? das gleiche Schicksal blüht.
Ein massives Anwachsen verzeichnet die rechtsextreme Musikszene. 2010 fanden in Baden- Württemberg über doppelt so viele Nazirockkonzerte statt wie 2009. Verantwortlich für diesen Anstieg ist ein im März 2010 angemietetes ?nationales Zentrum? in Rheinmünster – Söllingen bei Rastatt. Aktivisten der ?Kameradschaft Rastatt? und des ?Karlsruher Netzwerk? veranstalteten seitdem dort 10 Konzerte mit durchschnittlich 200 BesucherInnen. Bundesweit bekannte Nazibands wie ?Noie Werte?, ?Endstufe? und ?Kategorie -C“ konnten unbehelligt ihre Propaganda verbreiten.
Was erwarten Sie 2011?
2011 liegt der Fokus vor allem auf den Landtagswahlen am 27. März. Die NPD will dabei flächendeckend antreten und der Landesvorsitzende Jürgen Schützinger rechnet sich bereits ein besseres Ergebnis als die FDP und den Einzug in den Landtag aus. Zumindest Letzteres scheint unwahrscheinlich, da die NPD in Baden Württemberg vergleichsweise schlecht aufgestellt ist.
Am 1. Mai 2011 soll wieder eine Nazigroßdemonstration in Baden-Württemberg stattfinden. Dafür hat sich ein ?nationales und soziales Aktionsbündnis 1. Mai? aus ?parteifreien? Nazis und der NPD gebildet. Der Aufmarschort wird Heilbronn sein. 2009 konnte die NPD/JN 800 Nazis nach Ulm mobilisieren. Für 2011 ist eine ähnlich hohe Teilnehmerzahl zu befürchten. Nachdem das Rudolf- Hess-Gedenken für die Naziszene nicht mehr als integrierendes Großereignis zur Verfügung steht, gewinnt der 1. Mai auch in Baden-Württemberg immer mehr an Bedeutung.
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