Über das Jahr in Thüringen informiert heute das Team von Mobit, Mobile Beratung in Thüringen – Für Demokratie gegen Rechtsextremismus.
Was waren im Jahr 2011 die herausragenden Ereignisse in Thüringen?
Im Jahr 2011 werden alle zurückliegenden Aktivitäten und Ereignisse der extrem rechten, neonazistischen Szene in Thüringen überlagert durch die bis zum heutigen Tage peu à peu zum Vorschein kommenden Informationen und Neuigkeiten rund um die Neonazi-Terror-Gruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU).
Anfang November 2011 wird bekannt, dass die bereits Anfang 1998 untergetauchten Neonazis Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe aus Jena im Kern diese rechtsterroristische Gruppe NSU gebildet haben, welche u.a. für zehn Morde an Migranten und einer Polizistin im Zeitraum von 2000 bis 2007 verantwortlich sein soll. Die Erkenntnisse und Ermittlungen kamen ins Rollen, nachdem die beiden Männer Böhnhard und Mundlos am 4. November 2011 nach einem Banküberfall in Eisenach tot in einem brennendem Wohnmobil aufgefunden wurden. Zschäpe stellte sich, nachdem sie zuvor noch eine von der Gruppe benutzte Wohnung in Zwickau in Brand gesetzt hatte, am 8. November 2011 der Polizei.
Die drei Jenaer gehörten bereits in den neunziger Jahren der „Kameradschaft Jena“ und dem „Thüringer Heimatschutz“ (THS) an, einer überregionalen neonazistischen Vernetzungsstruktur mit bis zu 170 Mitgliedern, die aus der „Anti-Antifa Ostthüringen“ hervorgegangen war. Einer ihrer damaligen Weggefährten aus Jena, Ralph Wohlleben, befindet sich mittlerweile neben einigen weiteren Personen, seit dem 29. November 2011 als mutmaßlicher Unterstützer des NSU in Haft. Der ehemalige stellvertretende Landesvorsitzende der NPD Thüringen wird verdächtigt dem NSU eine Waffe samt Munition beschafft zu haben und sich kontinuierlich in engem Kontakt mit der Gruppe befunden und diese (auch finanziell) unterstützt haben.
Mit regem Interesse werden auch weiterhin die Entwicklungen in diesem Zusammenhang beobachtet ? sowohl im Hinblick auf den mit großer Wahrscheinlichkeit weiter anwachsenden Kreis von potentiellen Unterstützer_innen des NSU, als auch mit Blick auf die weiterhin dubiose Rolle des Verfassungsschutzes bei der „Überwachung“ der langjährig untergetauchten Personen.
Darüber hinaus lässt sich mit Bezug auf die extrem rechte Erlebniswelt in Thüringen konstatieren, dass im zurückliegenden Jahr drei Open-Air-Veranstaltungen der NPD durchgeführt wurden. Im weitesten Sinne handelte es sich dabei um „RechtsRock-Events“, umrahmt von extrem rechter, menschenverachtender Propaganda (mittels Reden, sowie diversen einschlägigen Informations- und Verkaufsständen) unter dem Schutz des Versammlungsrechtes. Den Auftakt machte der „Thüringentag der nationalen Jugend“ in Sondershausen am 4. Juni 2011 gefolgt vom sogenannten „Rock für Deutschland“ in Gera am 6. August 2011. Schließlich veranstaltete am 3. September 2011 der bundesweit bekannte extrem rechte Aktivist und NPD-Kader Thorsten Heise in Leinefelde zum ersten Mal den sogenannten „Eichsfelder Heimattag“. Mit einem Auftritt der „Lunikoff-Verschwörung“ sollte eine größere Zahl militanter Neonazis im Anschluß an den „Antikriegstag“ in Dortmund ins beschauliche Eichsfeld gelockt werden ? letztendlich wurde der Auftritt der Neonazi-Band behördlich verhindert und nur 300 extrem rechte Besucher_innen waren vor Ort.
Für das kommende Jahr sind aktuell bereits einige entsprechende Termine im NPD-Veranstaltungskalender 2012 vermerkt ? die Planungen der Proteste und Gegenaktivitäten seitens der regionalen Initiativen und Bündnisse gegen Rechts stehen allerdings auch nicht still!
Ende September 2011 wurde bekannt, dass der geschichtsrevisionistische Verein „Gedächtnisstätte e.V.“ eine Immobilie in dem kleinen Ort Guthmannshausen im Landkreis Sömmerda erwerben konnte. Bereits kurz zuvor hatte der Verein ein erstes Vortragswochenende in dem ehemaligen „Rittergut“ veranstaltet, angekündigt als Referentin war u.a. Ursala Haverbeck-Wetzel, ihrerseits bekannt als Holocaustleugnerin und einstige Vorsitzende des 2008 verbotenen Vereins „Collegium Humanum“ (CH). Zudem soll dort vor Ort auch die als extrem rechts einzustufende „Schlesische Jugend Thüringen“, in deren Umkreis sich vor allem völkische Nationale aus dem Umfeld der verbotenen „Heimatreuen Deutschen Jugend“ (HDJ) tummeln, offene Türen für ihre Treffen vorfinden. Somit hat die extreme Rechte ein weiteres „sicheres“ Domizil zur Verfügung ? in diesem Fall pikanterweise verkauft durch das landeseigene „Thüringer Liegenschaftsmanagement“(Thülima).
Mehr im Internet:
Die Fragen stellte Jan Rathje.
Mehr auf netz-gegen-nazis.de:
Jahresrückblicke 2011
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| Berlin: Brandanschläge und verheimlichte Demonstrationen
| Brandenburg: „Spreelichter“ und „Unsterbliche“
| Bremen: Von Wahlkampf und unpolitischen Überfällen
| Hamburg: Rechtsextreme PR-Offensive
| Hessen: Gaskammerpartys und terrorisierte Nachbarn
| Niedersachsen: Bald mit qualifizierter Opferberatung
| Nordrhein-Westfalen: Nazis setzen auf Islamfeindschaft und Gewalt
| Saarland: Proteste gegen „Deutschenfeindlichkeit“ undPotenzielle NSU-Morde
| Sachsen: Ein Todesopfer, eine Terrozelle und viele Nazi-Events
| Schleswig-Holstein: Legitimationsstrategie im Landtagswahlkampf
Thüringen: Mehr als NSU: Rechtsrock-Events und ein neues Schulungszentrum
| Belltower.news Jahresrückblick 2011
2010
| In Thüringen kämpft die NPD um Köpfe, Parlamente und die Straße