Von Stefan Heerdegen, Berater der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in Thüringen (MOBIT)
Der letztjährige Jahresrückblick auf die Aktivitäten der extremen Rechten in Thüringen schloss mit der Erwartung, dass Funktionär_innen der extremen Rechten als Initiator_innen, Stichwortgeber oder Einpeitscher auftreten würden.
Bereits am 12. Januar bewahrheitete sich dieser Ausblick mit der ersten „SÜGIDA“-Demonstration (SÜGIDA stand für „Südthüringer gegen die Islamisierung des Abendlands“) im südthüringischen Suhl mit ca. 650 Teilnehmenden. Ein großer Teil der Demonstrationsteilnehmer_innen waren der regionalen extrem rechten Szene zuzuordnen. Es beteiligten sich aber auch Neonazi-Gruppierungen aus einem Umkreis von ca. 100 Kilometern. Als Organisatoren traten der NPD-Funktionär Patrick Schröder, Macher von FSN.tv und Inhaber der Neonazi-Marke „Ansgar Aryan“ aus der Oberpfalz und Tommy Frenck, Eigentümer eines Neonazi-Treffpunktes im südthüringischen Kloster Veßra, Inhaber des „Druck18“-Versands und Führungsfunktionär des neonazistischen „Bündnis Zukunft Hildburghausen“, in Erscheinung. Nach neun „SÜGIDA“-Demonstrationen in Suhl, deren Teilnehmendenzahl von der Polizei auf bis zu 1000 geschätzt wurden, erweiterten die Organisatoren ihren Aktionsraum auf ganz Thüringen. Seither werden diese Demonstrationen „THÜGIDA“ („Thüringen gegen die Islamisierung des Abendlands“) genannt. Bis zu einer selbstverordneten Sommerpause im Juli und Anfang August fanden noch mehr als ein Dutzend Demonstrationen unter diesem Label statt. In der besagten Sommerpause traten mehrere regionale/lokale Tarnstrukturen unter den Bezeichnungen „Wir lieben Gera“ oder „Wir lieben den Saale-Holzland-Kreis“ in Erscheinung. An einem Vernetzungstreffen am 05.07. in Kloster Veßra nahmen 25 Vertreter_innen dieser Gruppen und die bereits bekannten „THÜGIDA“-Organisatoren teil. Im dritten und vierten Quartal stieg die Anzahl der extrem rechten Demonstrationen und Kundgebungen auf bis zu sechs Veranstaltungen pro Woche. Insgesamt war die Zivilgesellschaft in Thüringen bis zum 15.12.2015 mit 125 Kundgebungen und Demonstrationen konfrontiert. (http://www.mobit.org/Chronik/Mobit%20Chronik%2014_12_2015). Nur wenige hatten kein fremdenfeindliches/rassistisches Motto.
Auch die Anzahl an Rechtsrock-Konzerten stieg im Jahr 2015 deutlich. Während im vergangenen Jahr 27 Konzerte von MOBIT gezählt worden waren sind bis zum 15.12.2015 bereits 37 Konzerte zu verzeichnen. Der Trend der letzten Jahre, vermehrt kleinere, weniger aufwändige Liederabende für die lokale bzw. regionale Szene zu veranstalten setzte sich auch in diesem Jahr fort. Häufig wurden mit dieser Konzertart politische Veranstaltungen „kulturell“ abgerundet. Im Unterschied zu den letzten Jahren organisierten Neonazis in diesem Jahr nur zwei RechtsRock-Großveranstaltungen. Im Vorjahr waren es noch vier Großveranstaltungen gewesen. Dabei blieb das „Live H8 III/Rock für Meinungsfreiheit“ am 23.05. in Hildburghausen mit 1500 Besucher_innen das bestbesuchte Festival der extremen Rechten in Thüringen der letzten sechs Jahre. Daneben fand im Eichsfeld zum vierten Mal der sogenannte „Eichsfeldtag“, organisiert von Thorsten Heise mit durchschnittlichen 400 Teilnehmenden statt.
Zu erwähnen bleibt, dass die Dominanz der thüringischen NPD im Jahr 2015 zerbrochen ist. In den vergangenen zehn Jahren wurde kaum eine öffentliche Veranstaltung der extremen Rechten in Thüringen nicht von NPD-Funktionären angemeldet. Die große Mehrzahl der Demonstration- bzw. Kundgebungsanmeldungen im Jahr 2015 gehen aber auf überparteiliche Zusammenschlüsse wie die bereits erwähnten „THÜGIDA“. Mit David Köckert, dem Thüringer NPD-Landesorganisationsleiter, ist zwar ein wesentlicher NPD-Funktionär für die Masse der öffentlichen Aufmärsche mitverantwortlich, jedoch bringt er diese nicht mit der NPD in Verbindung.
In diesem Jahr sind mit dem Landesverband der RECHTEN, der Stützpunktgründung des III. Wegs in Ostthüringen, aber auch mit der Neugründung parteiunabhängiger Strukturen neben der NPD durchaus Alternativstrukturen entstanden. Zumindest mit den Parteien dürfte sie bei künftigen Wahlen um Wähler_innenstimmen konkurrieren.
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