AfD als Monopolist der radikalen Rechten
Spätestens mit dem Weggang von Bernd Lucke 2015 hat die AfD auch in Baden-Württemberg die Stelle eines Monopolisten in der radikalen bis extremen Rechten eingenommen. Alles außerhalb des organisierten Neonazismus landet in diesem Sammelbecken: Nationalliberale, Rechtskonservative, völkische NationalistInnen, „Neue Rechte“, AntifeministInnen oder christliche Rechte.
In Baden-Württemberg verfügt die Partei inzwischen über mehr als 5.000 Mitglieder und Förderer.
Der tonangebende Teil der Partei ist als extrem rechts einzustufen. Unsanktioniert und kaum widersprochen dürfen Mitglieder Statements von sich geben, wie das folgende, was der AfD-Landtagsabgeordnete Hans Peter Stauch aus Reutlingen am 2. November 2019 auf Facebook postete: „Verstärkt strömt fremdes Blut und fremde Kultur im Rahmen der unkontrollierten Massenmigration über viele Länder hinweg, aber auch durch junge Studenten nach Europa – Hauptziel Deutschland. Multikulturelle Volksvermischung. Der hellbraune, afroasiatischmitteleuropäische Menschentyp ist das Wunschbild und soll mit der Durchmischung geschaffen werden.“ (vgl. tuebingenrechtsaußen)
Überschrieben war der Kommentar mit „Der große Volksaustausch kommt“, was stark an den Titel „The Great Replacement“ (Deut.: „Der große Austausch“) des Neuseeland-Attentäters Brenton Tarrant erinnert.
Vorläufer der AfD war die Republikaner-Partei, die in Baden-Württemberg als einzigem Bundesland zweimal in den Landtag einzog. Inzwischen ist die Republikaner-Partei in ihrer einstigen Hochburg nahezu verschwunden. Selbst Rolf Schlierer, der ehemalige, langjährige Bundesvorsitzende der Republikaner, kandidierte zur Kommunalwahl am 26. Mai 2019 für die AfD in Stuttgart auf dem aussichtslosen Platz Nr. 60.
Kommunalwahlen
Insgesamt kandidierten über 1.669 Personen bei den Kommunalwahlen für die AfD. In der Folge errang die Partei damit laut Zählung des APABIZ mindestens 257 Mandate. Somit errang die AfD bei den Kommunalwahlen in Baden-Württemberg 5,6% der Stimmen, wo sie antrat. Das waren im gesamten Bundesland insgesamt aber nur 1,9% der Stimmen.
Baden-Württemberg ist eine Hochburg der AfD in Westdeutschland, doch in dem Flächenbundesland fallen die Wahlergebnisse noch einmal regional sehr unterschiedlich aus. Das bestätigten auch die Ergebnisse der Kommunalwahlen. Zwischen einer Hochburg wie dem Kreis Pforzheim (14,9%) und Tübingen (1,5%) lagen ganz offensichtlich Welten. Zum Teil kam die Schwäche aber auch auf Grund der kurzen KandidatInnen-Listen zustande, aufgrund derer die AfD ihr Potenzial nicht ausschöpfen konnte.
Europawahlen
Doch auch die gleichzeitig stattfindenden Europawahlen belegen die Bandbreite an Hoch und Tiefs an Zustimmung. Etwa zwischen Pforzheim (17,6%) und Freiburg (5,3%). Im Durchschnitt errang die AfD bei der Europawahl 2019 9,9% der Stimmen.
Obwohl der Erfolg der AfD kein Flächenbrand war, wird sie sicher in Zukunft vernehmbarer sein. Dafür rüstet sich die Partei auch. Am 13. Juli 2019 wurde von der AfD der „Verein konservativer Kommunalpolitiker Baden-Württemberg“ (VKK-BW) gegründet, um ihre Kommunalpolitik künftig zu koordinieren und zu professionalisieren. Der Verein will Impulse setzen „für ein Ende der grünen Vormacht in unseren Kommunen und Landkreisen“, so Marc Bernhard (AfD-MdB) in seinem Newsletter.
Ein regional sehr wichtiges Thema der AfD war die Debatte um die Dieselfahrverbote, u.a. in Stuttgart. Dagegen wurde seit Januar 2019 zeitweise von bis zu 2.500 Menschen demonstriert. Die Versuche von AfD und der ihr nahe stehenden rechten Kleinst-Gewerkschaft „Zentrum Automobil“, diese überparteiliche und nicht-rechte Demonstration zu kapern, scheiterten. Die daraufhin von der AfD veranstalteten, eigenen Kundgebungen mobilisierten höchstens 100 Personen.
Geschwächt wird die AfD im Südwesten derzeit noch durch ihren innerparteilichen Streit und die Spendenskandale, die zwei hochrangige Mitglieder der Ländle-AfD betreffen: Jörg Meuthen (AfD-MdEP) und Alice Weidel (AfD-MdB). Die Streitereien innerhalb der Südwest-AfD reichen nicht selten bis auf Kreisebene. Aber auch an der Spitze gibt es Streit. Gespalten sind sowohl der AfD-Landesvorstand als auch die AfD-Landtagsfraktion in Stuttgart. In dieser entfaltet sich der Konflikt u.a. rund um die Person Wolfgang Gedeon. Dieser ist zwar nicht mehr Mitglied der AfD- Landtagsfraktion, aber weiterhin als AfD-Mitglied. Der Arzt schrieb in seiner Schrift „Der Grüne Kommunismus“ u.a.: „Wie der Islam der äußere Feind, so waren die talmudischen Ghetto-Juden der innere Feind des christlichen Abendlandes.“
Obwohl Gedeon nachweislich antisemitische und rassistische Inhalte vertritt, will ein Teil der AfD-Landtagsfraktion in ihn die Fraktion re-integrieren. Bei der letzten fraktions-internen Abstimmung votierten neun Landtagsabgeordnete für seine Rückholung, acht dagegen und zwei enthielten sich.
Dann ist da noch der Streit im Landesvorstand. Der AfD-Landesparteitag in Heidenheim im Februar 2019 konnte die Konflikte im Landesvorstand nicht beruhigen. Weder der eher pragmatisch agierende Vorstand noch seine Gegner*innen vom Höcke-Flügel, konnten sich durchsetzen. Auch wenn letzterer weniger Stimmen mobilisieren konnte. Damit scheiterte die anvisierte Machtübernahme, die aus Baden-Württemberg ein Flügel-Land machen sollte. Trotzdem wurde mit dem AfD-Bundestagsabgeordneten Dirk Spaniel ein Flügel-Freund im Februar zum zweiten Vorsitzenden gewählt. Inzwischen befinden sich er und ein Mitstreiter im Dauerzwist mit dem Rest des Landesvorstands.
Zum Jahresende musste die AfD im Landtag weitere Federn lassen: Im November 2019 traten die beiden AfD-Landtagsabgeordneten Harald Pfeiffer und Stefan Herre aus Fraktion und Partei aus. Damit verlor die AfD-Fraktion ihren Status als zahlenmäßig stärkste Oppositionsfraktion im Landtag an die SPD.
Außerparlamentarische extreme Rechte
Neben der AfD sind in Baden-Württemberg eher in geringen Maße noch die Parteien NPD, „Die Rechte“ und „Der III. Weg“ aktiv. Diese richten sich aber speziell an die Neonazi-Szene und schaffen es kaum, ein bürgerliches Klientel für sich zu aktivieren. Sie sind eher mit der außerparlamentarischen neonazistischen Rechten verbunden, die den Parteistatus z.B. für die Anmeldung von Demonstrationen nutzen.
Die Neonazi-Kleinstpartei „Die Rechte“ veranstaltete beispielsweise am 18. Mai 2019 in Pforzheim eine Demonstration mit etwa 80 Beteiligten. Dabei fuhr der Lautsprecherwagen provokativ vor die Synagoge der Stadt und es wurde ein Beitrag der inhaftierten Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck abgespielt. Außerdem wurde „Verlasst Deutschland“ skandiert und es wurden Plakate mit der Aufschrift „Israel ist unser Unglück“ mitgeführt (vgl. pz-news).
Insgesamt schwächelt aber die klassische Neonazi-Szene in Baden-Württemberg seit einigen Jahren. Doch manche Strukturen scheinen auch bewusst unterhalb des öffentlichen Radars zu fliegen. Am 9. Oktober 2019 fanden bundesweit Hausdurchsuchungen in sieben Objekten wegen rechten Droh-Emails unter dem Label „Combat 18“ und der verbotenen Organisation „Blood and Honour statt (vgl. Stuttgarter Zeitung, Pressmitteilung paca)
In Baden-Württemberg richteten sich die Hausdurchsuchungen laut unabhängiger Recherche gegen Fabian F. in Bingen (Kreis Sigmaringen) und Alexander S. in Fellbach (Rems-Murr-Kreis).
Gewalt geht nicht nur von der organisierten Neonazi-Szene aus. Viele Fälle von rassistisch, antisemitisch, homophob etc. motivierten Gewalt geht von Unbekannten oder bisher nicht auffällig gewordenen Täter*innen aus.
Am späten Abend des 24. Mai 2019 kam es etwa in der Kleinstadt Erbach (Alb-Donau-Kreis in Baden-Württemberg) zu einem Angriff mit einer brennenden Fackel auf einen Roma-Wohnwagen, in dem ein Ehepaar mit seinem neun Monate alten Baby schlief, durch vier oder fünf Verdächtige (vgl. SWP).
Im außerparlamentarischen Bereich ist auch noch die extrem rechte „Identitäre Bewegung“ (IB) aktiv, deren geringe Mitgliederstärke aber kaum den behaupteten Charakter einer Bewegung unterstreicht.
Anders als 2018 bewarben die beiden IB-Regionalgruppen Baden und Schwaben, letzteres inklusive des bayrischen Schwabens, keine monatlichen Stammtische mehr.
Am Wochenende vom 28. und 29. September 2019 fand offenbar in der Jugendherberge von Rottweil das „Unser Europa ist nicht eure Union“-Aktivistenwochenende statt, an der etwa 50 Personen teilnahmen. Das dürfte die derzeitige Kern-Potenzial der IB in Baden-Württemberg ungefähr widerspiegeln.
In Baden-Württemberg angesiedelt ist auch der IB-Verein „Alternative Help Association (AHA) e.V.“, der im Juni 2017 in Ulm gegründet wurde. Der als NGO für notleidende Geflüchtete in Syrien und im Libanon auftretende Verein soll der IB letztendlich in ihrer Argumentation dienen, dass Geflüchtete außerhalb von Europa geholfen werden soll. Gleichzeitig versucht man sich mit dem Verein vordergründig gegen Rassismus-Vorwürfe zu wehren. Letztendlich läuft es also auf den in neurechten Kreisen üblichen Ethnopluralismus hinaus, der jeder Gruppe ein Territorium zuweist und Migration und ‚Vermischung‘ ablehnt.
Die Versuche von Rechten, 2019 auch im an Frankreich angrenzenden Baden-Württemberg eine Gelbwesten-Bewegung zu initiieren, scheiterten. Trotzdem gab es mehrere rechte Gelbwesten-Demonstrationen an mehreren Orten wie Mannheim, Heilbronn oder Stuttgart. Mehr als 150 Personen kamen dabei aber nie zusammen.
Jahresrückblicke 2019 aus den einzelnen Bundesländern
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